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Möglich dank Spezial-Sensor Amputierte fühlen Temperatur in fehlender Hand

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Der Wärmesensor an der Spitze einer Fingerprothese und das dazugehörige Wärmebild.

Der Wärmesensor an der Spitze einer Fingerprothese und das dazugehörige Wärmebild.

(Foto: EPFL / Alain Herzog, CC BY SA/dpa)

Wenn Menschen Gliedmaßen fehlen, fällt es ihnen nicht immer leicht, die Prothese als Teil ihres Körpers zu empfinden. Dazu gehört auch die Wahrnehmung, ob etwas heiß oder kalt ist - eine sehr wichtige Fähigkeit. Ein neues Gerät kann dabei helfen, sogar mit einer hohen Treffsicherheit.

Ein spezielles Gerät kann bei unterarmamputierten Menschen die Wahrnehmung von Temperatur an der Stelle der fehlenden Hand ermöglichen. Dabei wird ein Sensor, der beispielsweise am Finger einer Handprothese befestigt werden könnte, mit einer speziellen Stelle am Armstumpf verbunden, wie ein Forschungsteam aus der Schweiz und Italien im Fachmagazin "Science" erläutert. "Temperaturfeedback ist wichtig für die Weitergabe von Informationen, die über die Berührung hinausgehen und zu Gefühlen der Zuneigung führen", sagte Silvestro Micera von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL). "Wir sind soziale Wesen, und Wärme ist ein wichtiger Teil davon."

Eine Besonderheit an dem Gerät ist, dass es nicht wie ein Thermometer die tatsächliche Temperatur misst. Stattdessen empfinden die Probanden die Temperatur - wie an ihrer gesunden Hand auch - abhängig vom Material. So fühlt sich ein Gegenstand aus Metall tendenziell wärmer oder kälter an als einer aus Kunststoff, weil er eine höhere Wärmeleitfähigkeit hat. Bei der "MiniTouch" genannten Technik ist der Sensor mit einer Miniatur-Kühl-/Wärmeplatte auf einem Hautareal am Stumpf verbunden.

Phantomzonen von Patient zu Patient verschieden

Die erstmals in dieser Form umgesetzte Methode nutze das Vorhandensein sogenannter Phantomzonen, erklärte der Neurotechnologe Rüdiger Rupp vom Universitätsklinikum Heidelberg, der selbst nicht an der Studie beteiligt war. "Phantomzonen sind Hautabschnitte auf dem noch erhaltenen Armstumpf, deren Berührung Betroffene als Berührung der nicht mehr vorhandenen Finger wahrnehmen." Wird an solchen Stellen etwas Warmes oder Kaltes aufgelegt, fühlt es sich für die Amputierten an, als nähme der entsprechende Finger die Temperatur war. Ob es solche Zonen gibt und wo genau sie liegen, ist von Patient zu Patient verschieden.

Patient Fabrizio Fidati zeigt auf der Zeichnung einer Hand, wo er die Temperatur des MetaTouch-Geräts spürt.

Patient Fabrizio Fidati zeigt auf der Zeichnung einer Hand, wo er die Temperatur des MetaTouch-Geräts spürt.

(Foto: EPFL / Alain Herzog, CC BY SA/dpa)

Das Team um Micera und EPFL-Wissenschaftler Solaiman Shokur hatte zunächst für 27 Patientinnen und Patienten (24 bis 65 Jahre; vier Frauen) getestet, ob es bei ihnen solche Areale am Stumpf gibt. Bei 17 ließ sie sich in unterschiedlicher Ausprägung finden, wie die Forschenden in "Science" berichten. An neun Amputierten wurde dann das "MiniTouch"-System getestet, bei dem der Temperatursensor nichtinvasiv mit dem entsprechenden Hautareal verbunden wird.

Die Probanden spürten demnach mithilfe des Sensors in ihrer Phantomhand eine Temperatur, sie konnten unterscheiden, ob ein berührter Gegenstand heiß oder kalt ist, und zumindest in einem Teil der Versuche, ob er aus Kupfer, Kunststoff oder Glas war. Das Wärmeempfinden an der Phantomhand sei dabei dem an der intakten Hand ähnlich gewesen, hieß es.

Hohe Treffsicherheit

Die Teilnehmenden hätten mit hoher Treffsicherheit einen warmen von einem kalten Gegenstand unterscheiden können, sagte Rupp. Eine Unterscheidung von Materialien wie Glas oder Plastik allein durch das Temperaturempfinden hingegen sei nur schwer möglich.

Patientin beim Testen der Technik: Sie gibt an, welche Empfindung sie während der thermischen Stimulation hat.

Patientin beim Testen der Technik: Sie gibt an, welche Empfindung sie während der thermischen Stimulation hat.

(Foto: Centro Protesi Inail/dpa)

Die Technik sei ein weiterer Schritt dahin, die reichhaltigen Empfindungen wiederherzustellen, die die natürliche Hand biete, sagte Micera. Die Patientin Francesca Rossi erklärte, sie spüre ein Kribbeln in ihrer fehlenden Hand, wenn sie den Stumpf mit ihrer anderen Hand berühre. Nun auch Temperaturschwankungen in der Phantomhand empfinden zu können, sei wichtig und schön.

"Sensible Rückmeldungen sind generell wichtig, weil nur so die Prothesen von den Nutzern als Teil des eigenen Körpers wahrgenommen werden", erklärte Rüdiger Rupp. Ein fast natürliches Berührungsempfinden könne mit der direkten Stimulation von noch im Arm erhaltenen Nerven bereits wiederhergestellt werden. Nun sei das zumindest eingeschränkt auch für das Temperaturempfinden denkbar - bisher allerdings sei das System bei keinem Probanden mit einer tatsächlichen Prothese getestet worden.

Hinzu kämen weitere Einschränkungen. So zeige die Arbeit, dass nur bei etwas mehr als der Hälfte der Menschen mit Unterarmamputationen geeignete Phantomzonen auch für die Temperaturwahrnehmung vorhanden seien, erklärte Rupp. "Leider sind die Entstehungsmechanismen dieser Phantomzonen noch nicht genau bekannt, sodass noch nicht klar ist, bei wie vielen Menschen mit Amputationen das System überhaupt eingesetzt werden kann." Die Zonen entstünden auch erst im Laufe der Zeit nach einer Amputation und gingen leider oft mit Phantomschmerzen einher, was den potenziellen Nutzerkreis weiter einschränke.

Nächster Schritt: Feinabstimmung

Das Forschungsteam will nun eine Feinabstimmung der erzielten Temperaturempfindung und die Integration in Prothesen angehen. "Von den Größenverhältnissen passt das System aktuell noch nicht in eine Prothese, auch ist bei der verwendeten Technologie mit nicht allzu langen Laufzeiten zu rechnen", sagte Rupp. Genauer zu klären sei zudem noch die Stabilität der Temperaturphantomzonen über längere Zeit. "Diese Aspekte sind aber für die Alltagsanwendung entscheidend."

Wie warm oder kalt sich ein Gegenstand für uns anfühlt, hängt auch von seiner Wärmeleitfähigkeit ab. Die Rezeptoren in der Haut erfassen nicht die tatsächliche Temperatur des berührten Gegenstands, sondern den Wärmestrom an der Stelle - eine abhängig vom Material eher langsame oder eher schnelle Abkühlung oder Erwärmung der Haut.

Wird ein kühler Gegenstand berührt, findet ein Energietransport von der warmen Haut in das kühlere Material statt. Wie schnell der Haut dabei Wärme entzogen wird, hängt von der Wärmeleitfähigkeit des Materials ab. Metall zum Beispiel kühlt die Haut aufgrund der höheren Wärmeleitfähigkeit schneller ab als Holz. Bei niedrigen Temperaturen erscheint uns ein Metallzaun darum kälter als ein Holzzaun - obwohl beide Umgebungstemperatur haben. Aus demselben Grund fühlt sich Holzfußboden bei Raumtemperatur wärmer an als Fliesenboden.

Quelle: ntv.de, Annett Stein, dpa

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