Wegen Waldbränden in Kanada Auf Sylt herrschte dieses Jahr ungewöhnlich dicke Luft
14.12.2023, 16:03 Uhr Artikel anhören
Sylt, 29.12.2021: Leuchtturm List- West und Seezeichen (Tagmarke) im Nebel in der Dünenlandschaft am Ellenbogen
(Foto: picture alliance / Jens Hogenkamp)
Der Klimawandel kann ungeahnte Kettenreaktionen auslösen. Die katastrophalen Waldbrände in Kanada in diesem Jahr sind ein Beispiel dafür. Denn die Folgen machen sich selbst in weit entfernten Regionen bemerkbar - wie auf der Urlaubsinsel Sylt.
In vielen Regionen der Welt gehören Waldbrände quasi zur jährlichen Routine. Doch die extrem heftige und lange Waldbrandsaison von 2023 hat die Expertenwelt dennoch mehrfach überrascht - und auch schockiert. Vor allem Kanada hat es in diesem Jahr wieder einmal stark getroffen. Bereits in den vergangenen sechs Jahren hatte das weitläufige Land im Norden Amerikas einige nie zuvor beobachtete Waldbrände erlebt. Ihr Rauch stieg zum Teil wie bei einer Vulkaneruption um bis zu 20 Kilometer in den Himmel auf.
Nicht zum ersten Mal zogen die Rauchschwaden in diesem Sommer von Kanada bis nach Europa. Auf diese Art beeinflussen die Waldbrände auf dem eigentlich weit entfernten Kontinent sogar die Luftqualität auf deutschem Boden. Auf Sylt beispielsweise stehen nahezu sämtliche über den Sommer 2023 gemessenen Spitzen der Feinstaubkonzentration mit den kanadischen Waldbränden in Verbindung.
Insbesondere der 29. Juni fällt in der Statistik des Umweltbundesamtes auf. An diesem Tag erreichte der Rauch aus der Region um Quebec Deutschland, nachdem er Tage zuvor über New York und anschließend tausende Kilometer über den Atlantik hinweg gezogen war. Ausgerechnet auf der Kurinsel Sylt verursachte er dicke Luft und eine Überschreitung des Feinstaub-Grenzwertes.
Eine Waldfläche halb so groß wie Deutschland ist verbrannt
Insgesamt fielen 2023 in Kanada laut dem Canada Wildland Fire Information Service (CWFIS) 184.000 Quadratkilometer Wald den Flammen zum Opfer, eine Fläche halb so groß wie Deutschland und mehr als doppelt so viel wie je zuvor beobachtet.
Durch die Brände gerieten auch zahlreiche Menschenleben in Gefahr. Im August etwa musste die Stadt Yellowknife mit fast 20.000 Einwohnern wegen eines nahen Großfeuers für ganze drei Wochen evakuiert werden. Und schon Anfang Juni versanken New York City und weite Teile der US-Ostküste im dichten Rauch der Waldbrände, die in der kanadischen Provinz Quebec wüteten. Die Bilder des rauchverhangenen und in ein apokalyptisch anmutendes, oranges Licht getauchten New Yorks gingen um die Welt.
Doch nicht nur in Nordamerika spricht man von einem Jahr der multiplen Umweltkatastrophen: Weltweit haben die Waldbrände in diesem Jahr mehr als doppelt so stark und zudem außergewöhnlich lang getobt. Laut einer Pressemitteilung des Copernicus Atmosphere Monitoring Service (CAMS) verzeichnete Griechenland im August nach wochenlanger Extremhitze rund um das Mittelmeer den größten Waldbrand, der jemals in Europa beobachtet wurde. Er erreichte mit über 800 Quadratkilometern fast die Größe Berlins. Dagegen wirkt der größere Waldbrand im Juni im brandenburgischen Jüterbog mit über 700 Hektar (sieben Quadratkilometer) geradezu winzig. Ebenfalls unvergessen sind die dramatischen Waldbrände auf der griechischen Ferieninsel Rhodos, wegen derer ähnlich wie in Kanada etwa 19.000 Menschen, darunter viele Urlauber, evakuiert werden mussten.
Auch in den USA gab es in diesem Jahr einen größeren Waldbrand, der traurige Berühmtheit erlangte. Angefacht durch einen knapp an Hawaii vorbeiziehenden Tropensturm zerstörte er große Teile der Stadt Lahaina auf der zweitgrößten Insel Maui im Bundesstaat Hawaii und kostete mindestens 115 Menschenleben.
Warum fallen Waldbrände immer verheerender aus?
Gerade in den nördlichen Breitengraden gibt es seit einigen Jahren einen eindeutigen Trend zu immer intensiveren, heißeren und damit zerstörerischeren Waldbränden. Ihre Rauchwolken gelangen immer höher in die Atmosphäre, zum Teil bis in die untere Stratosphäre, über 12 Kilometer über dem Erdboden. Bisher kannte man das nur von größeren Vulkanausbrüchen. Seit dem Sommer 2017 häufen sich solche extremen Waldbrand-Ereignisse jedoch.
Ein Grund dafür dürfte die allgemeine Verschiebung der Klimazonen sein, denn die borealen Nadelwälder der kanadischen und sibirischen Taiga sind auf ein kaltes Klima mit langen schneereichen Wintern und kurzen, kühlen Sommern angepasst.
Allerdings spielen auch die zunehmenden marinen Hitzewellen im Nordostpazifik eine entscheidende Rolle. Besonders eine wegen ihrer markanten Form in den letzten Jahren als "The Blob" bekannt gewordene wiederkehrende Wärmeanomalie vor der Nordwestküste Nordamerikas verursacht im Norden des Kontinents zunehmend extreme Trockenheit und Hitze, an welche die in weiten Teilen kaum besiedelte Natur nicht angepasst ist.
In diesem Zusammenhang steht etwa auch der mit 49,6 Grad Celsius unglaubliche Hitzerekord im kanadischen Lytton am 29. Juni 2021, auf demselben Breitengrad wie Frankfurt am Main gelegen. Noch am selben Tag brach dort ebenfalls ein großer Waldbrand aus und zerstörte die Kleinstadt fast vollständig.
Etwa die Hälfte der Feuer entstehen laut CWFIS in Kanada durch Blitzschlag – sind also ein vorwiegend meteorologisches Phänomen. Die deutlich schnellere Erwärmung der Arktis dürfte ebenfalls eine Rolle spielen, aber auch menschliche Aktivitäten vor Ort, gezielte Brandstiftung sowie mangelhaftes Waldmanagement.
Brandbeschleuniger für den Klimawandel
Diese Entwicklungen bereiten Forscherinnen und Forschern große Sorgen. Denn die zerstörerische Kraft von Waldbränden wirkt lange nach und birgt viele Risiken für das globale Ökosystem. So entstanden etwa allein durch die Waldbrände in Kanada zusätzliche Emissionen von etwa 480 Megatonnen Kohlenstoff beziehungsweise 1760 Megatonnen CO2. Das entspricht mehr als dem Dreifachen der industriellen Emissionen Kanadas im Jahr 2021 und etwa zwei Dritteln der Emissionen der gesamten EU.
Global erreichten die CO2-Emissionen durch Waldbrände bis zum 10. Dezember einen Wert von 7700 Megatonnen CO2 (2100 Mt Kohlenstoff) und rangieren damit zwischen den beiden größten industriellen Emittenten, den USA (ca. 4800 Mt CO2, 2021) und China (zirka 12500 Mt CO2, 2021).
Dabei waren die globalen Emissionen durch Waldbrände zuvor kontinuierlich gesunken und hatten im Jahr 2022 das bisherige Minimum von 1500 Mt Kohlenstoff erreicht. Das Jahr 2023 hat diesen rückläufigen Trend jetzt aufgebrochen und landet am 10. Dezember auf Platz 8 von 20 der globalen Emissionen durch Waldbrände seit dem Beginn der CAMS-Datenreihe im Jahr 2003. Bleibt zu hoffen, dass das nur ein Ausreißer war. Leider sind durch die zunehmende Klimaerwärmung zukünftig weitere Waldbrandextreme zu erwarten.
Grafiken: Laura Stresing, Christoph Wolf
Quelle: ntv.de