Meeresströmung könnte versiegen Europas Winter drohen nach 2100 eisig zu werden
03.09.2025, 18:16 Uhr Artikel anhören
Die zuletzt schmelzenden Gletscher in den Alpen könnten laut der Studie mit dem Zusammenbruch der AMOC wieder deutlich an Masse zulegen.
(Foto: picture alliance / GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com)
Droht Europa in einigen Jahrzehnten eine Eiszeit? Der mögliche Kollaps einer atlantischen Meeresströmung könnte das Klima in Europa massiv destabilisieren, so eine Studie. Mit drastischen Folgen auch für Deutschland und seine Küste.
Eine neue Studie warnt vor dem Zusammenbruch der weltweit wichtigsten Meeresströmung, der Atlantischen Umwälzzirkulation, auch AMOC genannt. Der bekanntere Golfstrom ist ein Teil davon. Die Folgen des Zusammenbruchs für das europäische Klima wären wohl kaum zu meistern, schreiben die Autoren Syben Drijfhout vom Königlich-Niederländischen Meteorologischen Institut und Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Die AMOC (Atlantic Merdional Overturning Circulation) ist ein essenzieller Baustein des weltweiten Klimasystems und der Garant für ein komfortables Klima in Europa. Die Atlantische Umwälzzirkulation transportiert dabei Unmengen Wasser vom Südatlantik durch die Karibik und den Golf von Mexiko (Golfstrom) nordostwärts nach Europa (Nordatlantikstrom) und bis in die nordischen Meere zwischen Grönland und Norwegen.
Nur durch diese Strömung sind die Winter in Europa trotz der nördlichen Lage sehr mild. Die Sommer sind durch sie wechselhaft, was einer der wichtigsten Faktoren für unsere ertragreiche Landwirtschaft ist. Das Vorhandensein einer intakten AMOC wirkt sich auf die Lebensgrundlagen und den Wohlstand in Europa und Deutschland aus. Der Klimawandel bringt diese Strömung nun aber gewaltig ins Straucheln.
Wie funktioniert AMOC?
Kurz zum Verständnis: Die AMOC wird neben der Erdrotation durch zwei wesentliche Prozesse angetrieben. Zum einen gibt es große Temperaturgegensätze zwischen den Tropen und den subpolaren bis polaren Regionen. Das warme Wasser strömt also in die Kälte, kühlt sich ab, wird dadurch schwerer und sinkt in die Tiefe - eine Sogwirkung entsteht.
Das wiederum funktioniert nur mit salzreichem Wasser - dem zweiten Antrieb. Beim Verdunsten des warmen Wassers in kalter, trockener Luft im Norden wird das Wasser salzreicher und schwerer. Gleichzeitig bildet sich im Winter Meereis. Beim Gefrieren des Wassers fällt Salz aus und das verbleibende Wasser wird noch salzreicher und schwerer. Es bildet sich schließlich ein Strom schweren Wassers - zunächst abwärts und dann in ein paar Kilometern Tiefe südwärts bis zur Südhalbkugel. Hier schließt sich dann der Kreislauf.
Klimawandel schiebt AMOC zum Kipppunkt
Der Klimawandel stört diese Prozesse gleich mehrfach. Die nördlichen Breiten erwärmen sich überproportional. Der Temperaturkontrast schwächt sich ab und damit auch die Strömung. Die wärmere und feuchtere Atmosphäre über dem Nordatlantik produziert mehr Niederschläge, womit der "süße" Regen den Salzgehalt an der Oberfläche des Nordatlantiks senkt. Auch die Bildung von Meereis ist durch die Erwärmung gebremst. Und - womöglich der wichtigste Faktor - das Schmelzen des Grönländischen Eisschildes lässt Unmengen Süßwasser in den Nordatlantik fließen.
All das schwächt die AMOC schon heute messbar. In den vergangenen 1000 Jahren war sie noch nie so schwach wie aktuell. Seit Längerem besteht die Vermutung, dass es einen Kipppunkt geben könnte, ab dem Rückkopplungsprozesse die AMOC zum Erliegen bringen könnten. Und hier kommt die neue Studie von Drijfhout und Rahmstorf ins Spiel. Sie legt nahe, dass dieses Szenario mittlerweile sehr realistisch ist: "In unseren Simulationen tritt der Kipppunkt (…) in den nächsten Jahrzehnten ein. Das ist sehr bedenklich", so Rahmstorf.
Auf diesen Kipppunkt würde spätestens in 50 bis 100 Jahren das Aus der Strömung folgen: "Die Umwälzzirkulation im Nordatlantik verlangsamt sich bis zum Jahr 2100 stark und bricht danach in allen Szenarien mit hohen Emissionen und sogar in einigen Szenarien mit mittleren und niedrigen Emissionen zusammen. Das Risiko eines Zusammenbruchs ist somit höher als von vielen Menschen bisher angenommen."
Fataler Klima-Kollaps in Europa befürchtet
"Eine drastische Schwächung und ein Zusammenbruch dieses Meeresströmungssystems hätten gravierende weltweite Folgen", warnt Rahmstorf. Das gelte ganz besonders für Deutschland und Europa, denn: "Es gibt [für Europa] keine realistischen Anpassungsmaßnahmen, die mit den schnellen Temperaturänderungen bei einem Zusammenbruch der Atlantischen Umwälzzirkulation umgehen können." Zu diesem schockierenden Fazit kam bereits eine Studie aus 2024 vom gleichen Forschendenkreis.
Auch wenn Aussagen über ein Klima "nach der AMOC" noch auf wackeligen Füßen stehen, so deutet sich für die Nordhälfte Europas tatsächlich so etwas wie eine Eiszeit an. In der Studie von 2024 wurde ein Temperaturrückgang im Winter binnen 100 Jahren von rund 30 Grad errechnet - darunter Regionen wie Schottland, Norwegen, Schweden. Das arktische Meereis könnte sich dann bis zum Ärmelkanal ausbreiten. Auch die deutschen Küsten wären betroffen. Im Süden Europas wären die Auswirkungen auch deutlich zu spüren, aber nicht so extrem. Dennoch könnten die Alpen neue Gletscher bis in die heute stark bevölkerten Täler bilden.
Da die Atmosphäre weiterhin eine hohe Treibhausgaskonzentration besäße, würde sich in den Tropen und auf der Südhalbkugel der Temperaturanstieg fortsetzen. Heißt: Bei Südwinden wären trotzdem extreme Hitzewellen bis nach Deutschland möglich. Unvorstellbare Temperatursprünge wären die Folge. Gleichzeitig gibt es durch den kühleren Nordatlantik weniger Regen und wohl auch mehr Dürrephasen.
Quelle: ntv.de