Untersuchung an Marathonläufern Gehirn "frisst" im Notfall Schutzschicht der Nerven
01.04.2025, 16:43 Uhr
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Das Gehirn kommt durch einen Marathonlauf in eine Art Energie-Notstand.
(Foto: IMAGO/peopleimages.com)
Ein Marathonlauf ist eine extreme Belastung für den Körper. Das Gehirn versucht, den schweren Energieverlust durch die langanhaltenden Strapazen auszugleichen. Wie das abläuft, findet ein Forschungsteam mit einer Pilotstudie heraus.
Wenn es im menschlichen Körper zu einem extremen Energieverlust kommt, beginnt das Gehirn möglicherweise eigene Fettgewebe zu nutzen. Das hat ein Forschungsteam bei der Untersuchung von Marathonläufern herausgefunden. Die Ergebnisse der Pilotstudie mit 10 Freiwilligen deuten auf eine neue Form der Neuroplastizität hin, schreiben die Forschenden im Fachmagazin "Nature Metabolism".
Für die Untersuchung gewann das Team um Pedro Ramos-Cabrer und Alberto Cabrera-Zubizarreta die Zustimmung von acht männlichen und zwei weiblichen Personen, die bei verschiedenen Marathonläufen teilnahmen. Die Probanden und Probandinnen waren im Alter von 45 bis 73 Jahren, gut auf den Lauf vorbereitet und gesund. Bei ihnen wurden mehrere Ganzkörperscans vor und nach dem Marathonlauf durchgeführt. Bei dem Vergleich der Bilder vom Gehirn sahen die Forschenden signifikante Veränderungen der Myelin-Marker in der weißen Substanz des Gehirns, der als besonders fetthaltiger Bereich gilt.
Myelin - fettreiche Schutzschicht
Myelin ist für das Nervensystem von entscheidender Bedeutung. Es handelt sich dabei um einen fetthaltigen Stoff, der die langen, dünnen Ausläufer der Nervenfasern umhüllt. Es schützt diese sogenannten Axone und erhöht die Übertragungsgeschwindigkeit der elektrischen Impulse. Zudem ist es an der Regeneration des Axons beteiligt, wenn dieses verletzt wird. Ein Verlust an Myelin wird mit verschiedenen neurologischen Erkrankungen, wie Multipler Skelrose in Verbindung gebracht.
Das Myelin könnte jedoch auch als Fettreserve dienen, wenn das Gehirn in einen kritischen Zustand der Unterversorgung gerät, mutmaßen die Forschenden aufgrund ihrer Ergebnisse.
Bei der Auswertung der Hirnscans war 24 bis 48 Stunden nach dem Lauf ein deutlicher Myelinverlust in verschiedenen Gehirnregionen zu sehen. Dabei handelt es sich um Areale, die mit Motorik, Koordination sowie sensorische und emotionale Aufgaben in Verbindung gebracht werden. Zwei Wochen nach dem Marathon stieg das Myelin nachweisbar wieder an und erreichte zwei Monate später den Ausgangswert bei den sechs weiterhin untersuchten Studienteilnehmern.
Energiereserve für den Notfall?
Auch wenn es sich bei der aktuellen Untersuchung nur um eine kleine Stichprobe handelt, decken sich die Ergebnisse mit Untersuchungen, bei denen verlangsamte Reaktionszeiten und Gedächtnisleistungen bei Marathonläufern festgestellt worden sind. Außerdem gibt es vergleichbare Studienergebnisse bei Mäusen. Auch bei den Versuchen mit den Tieren wurde beobachtet, dass bei einer ernsthaften Unterversorgung des Gehirns auf das Myelin als Energiereserve zurückgegriffen wird. Es scheint so zu sein, dass das Gehirn in diesem Fall das eigene Gewebe in manchen Bereichen vorübergehend schadet, um das Gehirn als Ganzes zu schützen.
Die Ergebnisse, die vom Forschungsteam als "metabolische Plastizität des Myelins" bezeichnet wird, geben erstmals Hinweise darauf, dass Myelin nicht nur, wie bisher angenommen, ein einfacher statischer Schutz für die Nervenzelle ist. Es scheint vielmehr so zu sein, dass das Gehirn im Notfall sogar auf die eigenen Fettreserven im Gehirn in Form von Myelin zugreift, natürlich nur, wenn es dringend nötig ist. Bei dem Mechanismus könnte es sich um eine evolutionäre Anpassung handeln, die es unseren Vorfahren ermöglichte, lange Distanzen zurückzulegen und gleichzeitig wachsam bleiben zu können.
Quelle: ntv.de