"Mama, ich hap dich lip" SMS schuld an schlechter Rechtschreibung?
24.04.2019, 17:38 Uhr
Kurznachrichten auf dem Handy verändern laut Experten die Lesegewohnheiten von Schülern.
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Die Art, wie Grundschüler das Lesen und Schreiben erlernen, sorgt erneut für Diskussionen. Bildungsexperten machen erhöhte Handynutzung und fehlende Korrekturen für die bundesweit immer schlechter werdende Rechtschreibung verantwortlich.
Keine Bücher, dafür täglich Hunderte von Kurznachrichten auf dem Handy - die veränderten Lesegewohnheiten von Schülern sind nach Ansicht eines Bildungsexperten einer der Gründe für die schlechtere Rechtschreibung. So spiele das zusammenhängende Lesen nur noch eine geringere Rolle bei Kindern, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger.
"In sozialen Netzwerken spielt die Rechtschreibung keine Rolle", sagte Meidinger. "Da wird eher der schief angesehen, der eine korrekte Rechtschreibung hat und sich die Mühe macht, Großbuchstaben zu schreiben." Lehrer gäben inzwischen sogar die Rückmeldung, dass Schüler Quellentexte oder literarische Texte nicht mehr verstehen. Das ziehe sich bis ins Studium, wo wissenschaftliche Texte nicht mehr verstanden würden und Studierende nicht mehr in der Lage seien, argumentative Texte zu verfassen.

Das umstrittene Konzept des Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen aus den 1980er-Jahren steht inzwischen in vielen Bundesländern auf dem Index.
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Die Ursachen für die späteren Probleme im Studium, kommen schon in der Grundschule auf. Mehr als jeder fünfte Viertklässler in Deutschland erfüllt bei der Rechtschreibung laut einer Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) die Mindeststandards nicht. "Fata", "Hunt" und "Mama, ich hap dich lip" – "Lesen durch Schreiben" heißt die Methode, die allgemein zum Sündenbock für das sinkende Rechtschreibniveau geworden ist. Jahrelang sollten Grundschüler nach dieser Methode anfangs nach Gehör schreiben, ohne von Lehrern oder Eltern korrigiert zu werden.
Kürzlich verordnete auch Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer den Grundschullehrern eine neue Handreichung, die die wilden Anfangsschreibversuche der Schüler wieder einfangen soll. "Die Regeln der deutschen Rechtschreibung können und müssen von der ersten Klasse an gelernt werden", sagt die FDP-Politikerin.
"Lesen durch Schreiben" wird kaum praktiziert
In Hamburg und Schleswig-Holstein ist die umstrittene Methode des Schreibens nach Gehör schon verboten. Auch in Bayern oder Baden-Württemberg sowie in den meisten Ost-Bundesländern kommt "Lesen durch Schreiben" nicht zum Einsatz. Bestätigt fühlen sich die Kritiker durch eine Bonner Studie, wonach Grundschüler Orthografie am besten nach der klassischen Fibelmethode lernen, also erst Buchstabe für Buchstabe und dann Wörter.
Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn nur zwei bis drei Prozent der Grundschulen wenden bundesweit die Methode des Schreibens nach Gehör in Reinform an, so die Schätzungen. "Das ist so ein Schlagwort, aber nicht die Unterrichtsrealität", sagt Anne Deimel vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). Das reine "Lesen durch Schreiben" nach der Reichen-Methode werde kaum praktiziert. Deimel ist selbst Grundschullehrerin. Lehrkräfte ließen die Kinder beim Erlernen der Rechtschreibung nicht allein, betont sie. Der richtige Methodenmix sei der Schlüssel zum richtigen Schreiben. "Nicht für jedes Kind ist jeder Ansatz gleich gut", sagt Deimel.
Zu spätes Korrigieren ist ein Fehler
"Es ist auch entscheidend, wo im Wort der Laut sitzt, ob die Silbe betont ist oder nicht", sagt Lehrerin Monika L., die seit fast 30 Jahren im Schuldienst tätig ist. Der neue Leitfaden für NRW ist für sie die Bestätigung der Methoden, die sie seit Jahren praktiziert. "Für mich war da nichts neu." Rechtschreibung sei nun mal ein komplexer Vorgang, in dem viele Sinne wie Sprechen, Sehen, Motorik und besonders das Hören eine Rolle spielten. Ihre Schüler sollen deshalb beim Schreiben immer die Silben mitsprechen. "Natürlich regt sich die halbe Elternschaft darüber auf, dass die Kinder nicht mehr gescheit schreiben lernen", sagt L. Die Gründe dafür seien aber ein "großes Paket". Mangelnde Konzentration, schreibmotorische Probleme - all das gehöre dazu.
Hanna Sauerborn, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben, sieht das zu späte Korrigieren als eines der Hauptprobleme. "Es hat sich im Fach Deutsch die absurde Haltung eingebürgert, Fehler nicht mehr von Anfang an zu verbessern", moniert sie. In Mathe würden Fehler ja auch korrigiert. Der Grund für sinkende Rechtschreibleistung sei aber nicht allein die die Reichen-Methode, meint Sauerborn.
"Unterricht wie früher" wird Probleme nicht lösen
Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, räumt ein: "Die abfallenden Rechtschreibleistungen beobachten wir nicht nur in den Ländern, die sehr stark auf die Lesen-durch-Schreiben-Methode gesetzt haben." Auch in den Ost-Bundesländern, wo die Methode nie verbreitet war, sinke das Niveau. "Es ist ein ganzes Bündel von Ursachen."
Über die künftige Vorgehensweise sind sich die Experten nicht einig. "Schon frühere Studien haben immer wieder schlechte Rechtschreibleistungen erbracht", sagt Bildungsforscher Hans Brügelmann. "Aber die Illusion, wenn wir wieder so unterrichten würden wie früher, dann hätten wir das Problem nicht, die müssen wir uns abschminken."
Quelle: ntv.de, joh/dpa