Lehrbücher umschreiben? Saurier-Stammbaum muss erneuert werden
23.03.2017, 15:05 Uhr
Die Nachbildung eines Dinosauriers im Saurierpark in Germendorf.
(Foto: picture alliance / Paul Zinken/d)
Ob Alles-, Fleisch- oder Pflanzenfresser, Eierleger oder Lebendgebärende: Die Biologie teilt ihre Untersuchungsobjekte gern in Gruppen und Familien ein. Die bestehende Unterteilung für Dinosaurier allerdings stellen Forscher nun grundsätzlich infrage.
Forscher wollen das seit über 100 Jahren etablierte Modell zu Ursprung und Verwandtschaft der Dinosaurier stürzen. Nach der Analyse Hunderter Fossilien schlägt das Team um Matthew Baron von der englischen University of Cambridge vor, den Dino-Stammbaum radikal neu zu ordnen. Ihre im Fachblatt "Nature" veröffentlichte Studie liefert demnach auch neue Hinweise zur Entstehungszeit und Lebensweise der Dinosaurier. Ein deutscher Experte bewertet die Analyse als plausible Auswertung der Datenlage, ein US-Kollege spricht von einem "radikalen Vorschlag", der das Forschungsfeld voranbringen werde.
Dinosaurier entstanden vor etwa 245 Millionen Jahren, vor 235 Millionen Jahren tummelte sich schon eine ausgeprägte Vielfalt auf der Erde. Seit 1888 unterschieden Forscher zwei grundlegende Gruppen: Vogelbeckendinosaurier (Ornithischia), zu denen Stegosaurus gehört, und Echsenbeckensaurier (Saurischia). Zu Letzteren zählten nach der bisher gängigen Einteilung auch die auf zwei Beinen laufenden Theropoden. Prominenter Vertreter dieser ursprünglich fleischfressenden Gruppe ist Tyrannosaurus rex, aber auch sämtliche heutige Vögel gehen auf nicht-flugfähige Theropoden zurück.
Theropoden bekommen eine Schwestergruppe
Diese gängige Einteilung sei nie umfassend überprüft worden, bemängeln die Autoren nun. Um das nachzuholen, trugen sie das nach eigenen Angaben bislang umfangreichste Datenmaterial zusammen. "Die Resultate unserer Studie stellen ein mehr als 100-jähriges Dogma infrage", schreibt das Team. Anhand anatomischer Ähnlichkeiten und Unterschiede gruppieren sie die Gruppen der Dinosaurier radikal um. Demnach zählen die Theropoden, als deren Beispiel die Forscher den Haussperling (Passus domesticus) nennen, nicht mehr zu den Echsenbeckensauriern, sondern bilden eine Schwestergruppe zu den Vogelbeckensauriern. Dies stützen sie auf 21 anatomische Gemeinsamkeiten vor allem der Beine.
"Die Auswirkungen dieser Untersuchung sind sowohl überraschend als auch tiefreichend", wird Barons Cambridge-Kollege David Norman in einer Mitteilung der Universität zitiert. "Die Vogelbeckensaurier, die als fehlbenannt galten, weil sie scheinbar nichts mit dem Ursprung der Vögel zu tun hatten, sind nun fest mit den Ahnen der heutigen Vögel verbunden. Wenn unser Vorschlag der akademischen Prüfung standhält, müssen alle wichtigen Lehrbücher zur Evolution der Wirbeltiere umgeschrieben werden."
Neue Einteilung wirkt plausibel
Die neue Einteilung bestätigt Erkenntnisse, denen zufolge die ersten Dinosaurier relativ klein waren, auf zwei Beinen liefen und Hände zum Greifen hatten wie etwa der Herrerasaurus. Im Gegensatz zu diesem Fleischfresser seien die ursprünglichen Dinosaurier aber Allesfresser gewesen, vermutet das Team und stützt die Vermutung auf die Zahnformen der ältesten Arten. Beispiele dafür seien Eoraptor und Heterodontosaurus.
Zudem vermuten die Autoren, dass die ersten Dinosaurier nicht wie bisher gedacht in Gondwana entstanden, dem Südteil des auseinanderbrechenden Superkontinents Pangäa, sondern auf dessen nördlichem Pendant Laurasia. Demnach lebten die ersten Dinosaurier vor etwa 247 Millionen Jahren - etwas früher als bisher vermutet.
Jahrelange Experten-Diskussion
"Die Diskussion über Ursprung und Verwandtschaftsbeziehungen der Dinosaurier läuft schon seit etlichen Jahren", sagt Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München. "Diese Forscher haben zum ersten Mal systematisch Daten zusammengetragen und analysiert." Der neue Stammbaum klinge plausibel, müsse aber im Detail geprüft werden, sagt der Paläontologe. "Die Studie wird mit Sicherheit eine Diskussion anstoßen." Die Folgerungen der Forscher, die ersten Dinosaurier hätten in Laurasia gelebt und seien Allesfresser gewesen, überzeugen den Experten dagegen nicht.
In einem "Nature"-Kommentar nennt Kevin Padian von der University of California in Berkeley den Vorschlag radikal und revolutionär: "Weil die Autoren Standardmethoden anwenden, können ihre Resultate nicht einfach nur als abweichende Meinung oder Spekulation abgetan werden." Stattdessen müssten die Analysen minuziös überprüft werden. "Letztlich kann das nur gut für das Forschungsfeld sein."
Das Ende der Dinosaurier kam vor etwa 65 Millionen Jahren, durch den Einschlag eines riesigen Meteoriten auf der Erde, durch vulkanische Aktivitäten oder aber durch beide Faktoren.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa