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Was man aus Schweden weiß Schulen - Hotspots oder Corona-Bremsen?

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Wie wird sich die Pandemie in Deutschland nach der regulären Schulöffnung entwickeln?

(Foto: imago images/Patrick Scheiber)

Mit großem Argwohn werden Schulöffnungen inmitten der Corona-Pandemie begleitet - wie wird sich der Schulbetrieb auf den Verlauf der Infektionswelle auswirken? Hinweise darauf liefert ein Land, wo viele Schulen nie geschlossen waren: Schweden.

Fast reflexartig wurden Mitte März deutschlandweit Schulen und Kitas geschlossen, um die weitere Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Denn bekannt war, dass Schulen etwa in der Grippesaison regelrechte Treiber von Infektionswellen sein können. Daher entstand die Sorge, sie könnten sich auch zu Corona-Hotspots entwickeln. Nach den ersten zaghaften Öffnungsversuchen vor den Sommerferien geht es nun bundesweit wieder los mit regulärem Unterricht - wenn auch teilweise maskiert. Aber was weiß man mittlerweile eigentlich über die Rolle von Schulen in der Pandemie?

Bereits früh nach dem globalen Corona-Ausbruch fiel auf, dass Kinder seltener und schwächer an dem Virus zu erkranken scheinen als Erwachsene. Da die Schulen und Kitas in den meisten betroffenen Ländern jedoch wochenlang geschlossen blieben und zunächst nur schrittweise und sehr begrenzt wieder öffneten, war unklar, welche Rolle die Lehreinrichtungen in der Pandemie haben werden. Doch die Hinweise, dass Schulen vor allem für die Schüler vergleichsweise harmlose Ort sind, verdichteten sich zuletzt.

Für Aufsehen sorgte im Juli etwa die Corona-Schulstudie aus Sachsen. Die Wissenschaftler des Universitätsklinikums in Dresden kamen bei ihrer Forschungsarbeit zu dem Schluss, dass Kinder nicht nur keine Treiber der Corona-Pandemie sind, sondern diese sogar ausbremsen. In der Untersuchung bei rund 1500 Schülern und 500 Lehrern an weiterführenden Schulen wurden nur bei zwölf Antikörper festgestellt, die auf eine durchgestandene Infektion mit Sars-CoV-2 hindeuten.

"Bremsklötze bei der Infektion"

Man könne daraus ableiten, dass es in einer Region mit geringen Infektionszahlen keine explosionsartige Ausbreitung in Schulen gebe, sagte Studienleiter Reinhard Berner von der Uniklinik Dresden. Die ersten Ergebnisse der Studie zeigten zudem keine Hinweise, dass Kinder oder Jugendliche das Virus besonders schnell verbreiteten: "Kinder sind vielleicht sogar Bremsklötze bei der Infektion", sagte Berner. Eine weitere Studie an sächsischen Schulen kam zu einem ähnlichen Schluss.

Auch eine Studie aus Großbritannien fand heraus, dass Sars-CoV-2-Infektionen und -Ausbrüche an Schulen selten sind: Von einer Million Kinder in Vorschulen und Schulen waren nur rund 70 an Covid-19 erkrankt - es sei für Kinder wahrscheinlicher, sich zu Hause anzustecken als in der Schule, so die Autoren der von der britischen Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) durchgeführten Untersuchung. Ein besonders geringes Risiko machte die Studie zudem für die Übertragung von Schüler zu Schüler aus. Angestellte der Schulen hätten zwar ein höheres Infektionsrisiko, allerdings nicht höher als in der übrigen Bevölkerung.

Die PHE-Studie war im Juni vorgenommen worden, bevor die Schulen auf der britischen Insel für die Sommerferien erneut schlossen. Die Autoren räumten ein, dass die Schulöffnung zu dem Zeitpunkt der Untersuchung alles andere als vollständig war. Die Zahl der Schüler, die in dieser Phase zumindest einmal eine Schule besucht hatten, sei erst im Verlauf des Monats Juni von anfangs 475.000 auf schließlich etwas mehr als 1,6 Millionen angestiegen. Insgesamt gibt es jedoch mehr als 8 Millionen Schüler in England.

Schweden beschritt Sonderweg

Es ist ein Problem bisheriger Studien zur Rolle der Schulen in der Corona-Pandemie: In den meisten Ländern herrschte in den Schulen über Monate kein Normalbetrieb. Doch es gibt eine Ausnahme, nämlich Schweden. In dem skandinavischen Land waren die Schulen für Schüler bis zur 9. Klasse zu keiner Zeit geschlossen. Auch die Kitas in Schweden blieben während der gesamten Pandemie geöffnet. Nur für ältere Schüler und Studenten gab es Fernunterricht.

Mittlerweile gibt es auch die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Auswirkungen des schwedischen Sonderweges bei den Schulen. Eine Studie etwa verglich Schweden mit dem Nachbarn Finnland, wo für die meisten Kinder die Schulen geschlossen blieben. Die Corona-Fallzahlen unter Schulkindern in Schweden und Finnland waren aber, so das Ergebnis, fast identisch. "Ob Schulen geschlossen wurden oder nicht, hatte keinen messbaren Einfluss auf die Zahl laborbestätigter Fälle bei Schulkindern in Finnland oder Schweden", schreiben die Autoren.

Auch konnte laut der Studie kein erhöhtes Risiko für Lehrer im Vergleich zu anderen Berufen ermittelt werden. "Dies ist außerdem ein Hinweis, dass die Rolle von Kindern bei der Verbreitung der Infektion gering ist", heißt es. Die Autoren verweisen zudem auf andere Untersuchungen, laut derer Kinder nur selten die ersten Covid-19-Fälle in Familien-Clustern gewesen sind.

Wenig Fälle bei schwedischen Kindern

Das Ergebnis einer anderen schwedischen Studie des Karolinska-Instituts in Stockholm geht in dieselbe Richtung: "Es hat nur eine sehr niedrige Zahl von schweren Krankheitsfällen durch Covid-19 bei schwedischen Kindern gegeben, obwohl Kitas und Schulen geöffnet blieben." Allerdings betonen die Autoren, dass der Einfluss der schwedischen "Offene-Schulen-Strategie" auf die Pandemie in Schweden insgesamt unbekannt bleibe. So liefere die Studie etwa keine Erkenntnisse über die Übertragbarkeit des Erregers von Kindern auf Erwachsene und die daraus resultierenden Konsequenzen - etwa den Einfluss auf schwere Verläufe und Todesfälle unter Erwachsenen.

Also alles kein Problem? Es gibt auch Vorfälle, welche Zweifel an einem zu unbesorgtem Umgang mit Schulöffnungen aufkommen lassen. Einer davon ausgerechnet in Schweden: In einer Schule in der Stadt Skellefteå starb eine Lehrerin in Zusammenhang mit Covid-19 und 18 ihrer 76 Kollegen waren positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden. Die Schule wurde schließlich zwei Wochen geschlossen. Allerdings wurden die Schüler nicht auf das Virus getestet - unklar bleibt daher, welche Rolle sie bei dem Ausbruch spielten. Experten gehen aber davon aus, dass in diesem Fall die Erwachsenen das Virus verbreiteten.

Von Kritikern einer Schulöffnung wird auch das Beispiel Israel angeführt: Dort wurde der Beginn einer zweiten Infektionswelle auch auf eine zu schnelle Öffnung der Schulen Ende Mai zurückgeführt. Besonders schwer betroffen war eine Einrichtung in Jerusalem - von dort aus breitete sich das Virus auf die Familien und andere Schulen aus. Am Ende waren Hunderte Schüler, Lehrer und Angehörige infiziert. Die Lehren aus dem Vorfall, so der israelische Epidemiologe Hagai Levine gegenüber der "New York Times": Man könne das Bildungssystem zwar wieder öffnen, aber man dürfe es nur langsam und vorsichtig machen.

Quelle: ntv.de

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