Kampf gegen Eisschmelze Schweizer hüllen Gletscher in Decken
17.09.2015, 14:29 Uhr
Seit einigen Jahren muss die Eisgrotte mit Planen abgedeckt werden, um die Eisschmelze zu reduzieren.
(Foto: imago stock&people)
Besonders dramatisch macht sich die Erderwärmung bei den Gletschern bemerkbar. Um eine Touristenattraktion zu erhalten, hüllen die Schweizer das Eis in Vliesdecken. Doch der Kampf scheint aussichtslos.

In den vergangenen drei Wochen ist der Rhonegletscher bereits um 6 Meter geschrumpft.
(Foto: imago stock&people)
Aus der Ferne wirkt er unberührt, doch aus der Nähe betrachtet entpuppt sich die weißgraue Oberfläche des Rhonegletschers als eine Ansammlung von Decken. Der einzige Farbtupfer ist die rote Schweizer Flagge. Die Dutzenden Vliesplanen an der Gletscherzunge sehen aus wie Zelte eines hastig verlassenen Flüchtlingslagers. Doch es gibt eine einfache Erklärung für das bizarre Bild: Die Abdeckung soll verhindern, dass das Gletschereis weiter so schnell schmilzt.
Unter der abgedeckten Gletscherzunge liegt eine der Touristenattraktionen der Schweizer Alpen. Seit 1870 wird hier jedes Jahr eine neue Höhle ins Eis geschlagen mit faszinierend blauen Wänden. "In den vergangenen acht Jahren mussten sie die Höhle abdecken, um die Eisschmelze zu reduzieren", sagt der Gletscherexperte David Volken, der für das Schweizer Umweltministerium arbeitet. Dadurch schmelze 70 Prozent weniger Eis.
"Die Abdeckung ist ein aussichtsloser Kampf"
Dank der Decken kann die Eishöhle auch während der heißen Sommermonate geöffnet bleiben, doch eine dauerhafte Lösung sind die Decken nicht. "Das verlangsamt die Dinge für ein oder zwei Jahre, aber dann wird das Eis unter den Decken verschwunden sein", sagt Jean-Pierre Guignard aus Lausanne. Der 76-jährige Tourist erinnert sich noch daran, wie er 1955 den Rhonegletscher zum ersten Mal besuchte. Damals reichte die Gletscherzunge noch weit den steilen Berghang hinunter. "Das tut mir in der Seele weh, den Gletscher schrumpfen zu sehen", sagt Guignard. "Die Abdeckung ist ein aussichtsloser Kampf, den sterbenden Berg zu retten."
1400 Meter bergabwärts steht in der Nähe des Dörfchens Gletsch eine hölzerne Markierung. 1856 reichte der Gletscher noch bis dorthin. Im Vergleich zu damals ist das Eis heute 350 Meter weniger dick. Allein im vergangenen Jahrzehnt schrumpfte es um etwa 40 Meter.
Rhonegletscher ist kein Ausnahmefall
Der Rhonegletscher ist bei Weitem nicht der einzige schrumpfende Gletscher in den Alpen. Studien zufolge nahm das Volumen des Eises in den Alpen seit 1850 um zwei Drittel ab. "Der Rhonegletscher ist ein typisches Besipiel für das, was in den Alpen passiert", sagt der Gletscherforscher Matthias Huss von der Universität in Fribourg. "In der Höhe wird weniger neues Eis gebildet und weiter unten schmilzt es schneller."
Ende des Jahres findet in Paris die UN-Klimakonferenz statt, die einen Plan zur Begrenzung der Erderwärmung verabschieden soll. Doch für die Alpengletscher kommen solche Pläne möglicherweise schon zu spät. Denn die Alpen - genauso wie die Arktis und die Antarktis - erwärmen sich Wissenschaftlern zufolge mindestens doppelt so schnell wie der Rest der Welt.
Flusspegel werden steigen
An heißen Tagen werde das Eis des Rhonegletschers um bis zu zwölf Zentimeter dünner, sagt Gletscherexperte David Volken. "In den vergangenen drei Wochen ist der Gletscher sechs Meter geschrumpft", sagt er und zeigt auf Felsen, die bis vor Kurzem noch mit Eis bedeckt waren. An der Gletscherzunge hat sich ein See gebildet. Längerfristig werden auch die Menschen in anderen Teilen Europas die Folgen der Gletscherschmelze zu spüren bekommen. Der Pegel von Flüssen wie der Rhone werde steigen und es werde mehr Überschwemmungen geben, prophezeit Volken.
Christine Ouedraogo ist als Touristin aus Burkina Faso in die Schweizer Alpen gereist. Sie steht am Rand der Gletscherzunge und lauscht, wie das Eis Tröpfchen für Tröpfchen schmilzt. "Der Gletscher ist so schön und es ist eine Schande, dass er schmilzt", sagt die 37-Jährige. "Ich fürchte, Decken allein werden das nicht aufhalten können."
Quelle: ntv.de, Nina Larson, AFP