Ewig jung, vom Aussterben bedroht Umsiedlung könnte Axolotl retten
15.06.2015, 00:52 Uhr
Die Axolotol-Population sinkt drastisch.
(Foto: picture alliance / dpa)
Das Axolotl ist ein Wunderwerk der Natur, denn es kann seine Organe selbstständig nachbilden. Doch trotz dieser Eigenschaft ist der mexikanische Lurch vom Aussterben bedroht. Nun suchen Forscher einen neuen Lebensraum für den "Peter Pan" der Tierwelt.
Um Peter Pan zu retten, fährt Carlos Sumano Tag für Tag raus auf die verzweigten Kanäle im Süden von Mexiko-Stadt. Dort spricht er mit Gemüsebauern, prüft die Wasserqualität und nimmt Bodenproben. Sumano, ein großer, bärtiger Mann Anfang 30, ist Wissenschaftler an der Universität UNAM und "Peter Pan" der Spitzname des mexikanischen Schwanzlurchs Ambystoma mexicanum, besser bekannt als Axolotl.
Dessen körperliche Entwicklung endet mitten im Larvenstadium. Er wird also - wie Peter Pan - niemals ganz erwachsen. Der Axolotl ist akut vom Aussterben bedroht. "Beim letzten Zensus wurden hier fast keine Exemplare mehr gefunden", erzählt Sumano. Die Population in den Kanälen von Xochimilco, dem weltweit einzigen natürlichen Habitat des Axolotl, ist innerhalb von 15 Jahren von 6000 auf gerade noch 0,3 Tiere pro Quadratkilometer geschrumpft.
Urbanisierung gefährdet Ökosystem
Damit droht ein Lebewesen auszusterben, das über die Jahrhunderte vom Heiligtum zum Labortier geworden ist. Die Azteken verehrten den Lurch als Nachkommen ihres Gottes Xolotl und verspeisten ihn als Delikatesse. Als Biologen dann herausfanden, dass der Axolotl seine Gliedmaßen und sogar Teile von Herz, Hirn oder Rückenmark selbstständig nachbilden kann, entstanden in Laboren weltweit Populationen zu Forschungszwecken. Beim Axolotl heile eine Verletzung komplett ohne Narbenbildung, erläutert die Biologin Andrea Meinhardt vom Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden. "Die Organe bleiben vollständig funktionell. Nach der Regeneration kann man das neu gebildete nicht mehr vom ursprünglichen Gewebe unterscheiden."
An der UNAM arbeitet eine Forschergruppe an der Rettung der ungewöhnlichen Spezies. "Wir haben festgestellt, dass es nicht die Lösung ist, die Tiere einfach zu züchten und den Kanälen zuzuführen", erklärt der Gruppenleiter und Biologe Luis Zambrano. "Das Problem ist nicht der Axolotl, sondern das Ökosystem." Dieses müsse wieder so gestaltet werden, dass der Axolotl sich wohlfühlen kann. Entworfen wird die Axolotl-Traumwelt in einem kühlen, fensterlosen Laborraum der UNAM. An den Axolotl-Kolonien, die in hellblauen Plastikbecken in der Mitte des Raumes schwimmen, haben die Wissenschaftler in den vergangenen Jahren untersucht, wie die Tiere auf äußere Reize reagieren, etwa auf Lärm oder andere Tiere in ihrer Umgebung. So wollten sie herausfinden, was die Gründe für das Massensterben sind und unter welchen Bedingungen die Population in Xochimilco wieder wachsen könnte.

Forscher Carlos Sumano prüft die Wasserqualität in einem Kanal in Xochimilco, dem Lebensraum der Axolotl.
(Foto: picture alliance / dpa)
Neben einer wachsenden Population aggressiver Fressfeinde, vor allem Karpfen oder Barsche, hat in erster Linie der Mensch den Axolotl vertrieben. "Die Urbanisierung hat dem Axolotl große Probleme bereitet", erklärt Zambrano. Der gestiegene Wasserverbrauch der Metropole Mexiko-Stadt senkte den Wasserspiegel in den Kanälen, das künstlich zugeführte Wasser verunreinigte sie. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts siedelten außerdem immer mehr Menschen an den Ufern der Kanäle von Xochimilco. "Für den Axolotl bedeuten Bewegung, Licht und Lärm großen Stress", sagt Zambrano. "Er wird krank und stirbt."
Gemüsebauern sollen helfen
Was seine Kollegen im Labor herausfinden, setzt Sumano eine halbe Autostunde südöstlich des Campus' gemeinsam mit den Chinamperos, den Gemüsebauern von Xochimilco, um. Sie haben zehn Refugien angelegt, die sich wie kleine Nebenkanäle rund um die Bohnen-, Mais- und Blumenfelder schlängeln. Mit engmaschigen Metallgittern sind sie von den Kanälen abgetrennt, damit Wasser zirkulieren kann, die Fressfeinde und Barsche aber ausgesperrt bleiben. "Wenn man die Farbe und Transparenz des Wassers draußen im Kanal mit der hier vergleicht, sieht man, dass die Qualität im Refugium deutlich besser ist", sagt Sumano. Das Wasser ist voller hellgrüner Pflanzen, ein Hinweis auf einen hohen Sauerstoffgehalt.
Die Chinamperos bauen und schützen die Refugien auf ihren Grundstücken, als Gegenleistung soll ihr Gemüse von der guten Wasserqualität der Refugien profitieren, die die Felder mit Wasser versorgen. Ende des Jahres sollen hier probeweise Labortiere ausgesetzt werden, um zu prüfen, ob die Refugien tatsächlich als Schutzraum taugen und man die letzten verbliebenen Exemplare aus den Kanälen umsiedeln könnte. Langfristig kann die Laborzucht laut Zambrano aber keine Lösung sein. "Die Tiere dort werden oft krank und sind genetisch gesehen minderwertig", erklärt er.
Parallel startet das Forscherteam deshalb ein neues Projekt: Die Zucht der Tiere soll in ein natürliches Umfeld verlagert werden, das dem in Xochimilco ähnelt. In einem Naturschutzgebiet mit vier großen Tümpeln auf dem Campus der UNAM hat das Team zehn Tiere ausgesetzt, deren Verhalten nun mit Hilfe implantierter Chips untersucht werden soll. Nehmen sie den Lebensraum gut an, könnte der weltweit erst zweite Lebensraum für den Lurch entstehen, der nie erwachsen wird.
Quelle: ntv.de, Jannis Carmesin, dpa