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Nur eine Modekrankheit? "Wechseljahre des Mannes gibt es nicht"

Müdigkeit, Erektionsstörungen, Nervosität - davon sind viele Männer in der zweiten Lebenshälfte betroffen. Die Symptome sind real, seit einigen Jahren haben sie auch einen Namen: Wechseljahre des Mannes. Was hilft, weiß die Pharmaindustrie. Doch gibt es die Krankheit überhaupt?

Da ist sie, die Midlife Crisis. Heute spricht man gern von den Wechseljahren des Mannes - und empfiehlt Hormone.

Da ist sie, die Midlife Crisis. Heute spricht man gern von den Wechseljahren des Mannes - und empfiehlt Hormone.

(Foto: imago stock&people)

Früher hieß es Midlife Crisis, heute spricht man von den Wechseljahren der Männer. Sie hat man im Verdacht, wenn der Mann über 40 plötzlich zunehmend gereizt ist, sich müde und schlapp fühlt, an Gewicht zulegt und womöglich auch noch bei der kleinsten Anstrengung ins Schwitzen gerät. Lust auf Sex? Vorbei. Was allerdings nicht bedeutet, dass es nicht trotzdem viele schlaflose Nächte gäbe. Nur haben die jetzt andere Ursachen.

Das also sind die Wechseljahre der Männer. Und ähnlich wie beim Klimakterium der Frau soll eine Hormonveränderung daran schuld sein. Während bei Frauen um die 50 der Östrogenspiegel sinkt, verlieren Männer ungefähr ab dem 40. Lebensjahr Testosteron. Das geschieht langsam, aber stetig. Jahr für Jahr sind es 1,2 Prozent. Ein biologischer Prozess, der offenbar Folgen haben kann. Doch gegen die lässt sich notfalls etwas tun: Testosteron gibt es auf Rezept - als Gel, Spritze oder Pflaster. Pharmafirmen machen sich die Wechseljahre der Männer zunutze, und immer mehr Ärzte verabreichen das Hormon. Die Zahl der Verschreibungen in Deutschland hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Die Sache hat aber einige Haken.

Umstrittene Wirksamkeit, ungeklärte Risiken

Auffällig ist, dass die zahlreichen Symptome, die als wechseljahrstypisch gelten, gar nicht immer etwas mit einem niedrigen Testosteronspiegel zu tun haben. Eine Studie der Universität Manchester aus dem Jahr 2010 zeigte, dass hier keine oder nur minimale Zusammenhänge bestehen. Nur drei der vielen Symptome gingen mit sinkenden Testosteronwerten einher: Das waren eine weniger häufige morgendliche Erektion, seltene sexuelle Fantasien und Erektionsstörungen. Mit denen aber hatten auch Männer mit erhöhtem Testosteronspiegel zu kämpfen. Die Wirksamkeit des Hormonersatzes ist daher umstritten. Womöglich, so schlussfolgern Fachleute, spielen weniger die Hormone als vielmehr die Psyche eine Rolle bei den Symptomen. Wenn in der zweiten Lebenshälfte die Kräfte nachlassen, und das in jeder Hinsicht, ist das eine zwar natürliche, aber alles andere als willkommene Entwicklung. Für viele Männer ist es nicht einfach, mit dem spürbar einsetzenden Alterungsprozess klarzukommen.

Testosteron ist wichtig für Muskeln und Knochen, für die Bildung von roten Blutkörperchen, für den Stoffwechsel im Fettgewebe, das Sexualleben und die Fortpflanzung. Beschwerden treten jedoch nicht grundsätzlich beim Verlust von Testosteron auf, sondern erst, wenn der Spiegel einen bestimmten Grenzwert unterschreitet – und auch dann nicht bei jedem Mann. Bei den meisten Männern ist der Testosteronmangel so gering ausgeprägt, dass er nicht behandlungsbedürftig ist. Eine Hormongabe wäre also überflüssig, vielleicht sogar gefährlich. Welche Risiken die Testosterontherapie hat, wird unter Fachleuten diskutiert. Einige fürchten, dass sie sich negativ auf die Prostata auswirken und im schlimmsten Fall sogar zu Krebs führen könnte. Auch kann der Hormonersatz Brüste wachsen lassen. Ungeklärt ist zudem, wie sich die Präparate auf das Herz und die Gefäße auswirken.

Werbewirksame Modekrankheit

Vor einer Testosterongabe gibt es also einiges zu bedenken. Und schließlich stellt sich die Frage, ob die Lebensphase, in welcher das Hormon allmählich weniger wird, überhaupt als Klimakterium bezeichnet werden kann. Während es bei Frauen in der Lebensmitte zu einem abrupten Absinken der weiblichen Hormone kommt, sodass diese danach nicht mehr überwiegen, sind im männlichen Körper zeitlebens die männlichen Geschlechtshormone vorherrschend.

"Die Wechseljahre der Männer sind aus meiner Sicht eine Krankheitserfindung", sagt Gisela Schott von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Sie sieht Marketing-Agenturen, die für Pharmafirmen arbeiten, an der Modekrankheit beteiligt. Normale Prozesse des Lebens würden als medizinisches Problem definiert, neue Krankheitsbilder durch Werbemaßnahmen geradezu erfunden, meint Schott. Auch Prof. Helmut Schatz von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) erklärt: "Man kann nicht von einem männlichen Klimakterium sprechen." Die Wechseljahres des Mannes, so die DGE, "gibt es nicht".

Gesund leben, gesund essen

Einen behandlungsbedürftigen Testosteronmangel haben tatsächlich nur sehr wenige Männer. Der DGE zufolge sind nur drei bis fünf Prozent der Männer über 60 davon betroffen. Hellhörig werden Mediziner, wenn das Testosteron einen bestimmten Wert unterschreitet und Fettstoffwechselstörungen, starkes Übergewicht oder Diabetes hinzukommen. Dann kann es sinnvoll sein, mit Testosteron zu behandeln.

"Wir warnen davor, Testosteron kritiklos zu verschreiben, nur wenn manche Anzeichen für einen Hormonmangel sprechen, insbesondere ohne Bestimmung des Hormonspiegels", resümiert Schatz. Jeder Fall müsse individuell entschieden werden und der Patient regelmäßig kontrolliert werden. Die meisten Männer brauchen keinen Testosteronersatz. Tauchen die für die Lebensmitte typischen Symptome auf, können eine gesunde Lebensführung, Sport und eine gesunde Ernährung hilfreich sein. Deuten sich Depressionen an, ist eine Therapie angeraten. Testosteron aber empfiehlt sich nur in wenigen Fällen. Die Wirksamkeit ist nicht bewiesen, und dass die Gesundheit Schaden nimmt, ist nicht auszuschließen. Eines aber steht fest: Mit Hormonprodukten lässt sich Geld verdienen.

Quelle: ntv.de, asc

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