Frage & Antwort

Frage & Antwort Kann Not wirklich religiös machen?

Beim Beten geht es unter anderem "um den Wunsch, gehalten zu werden".

Beim Beten geht es unter anderem "um den Wunsch, gehalten zu werden".

(Foto: picture alliance / dpa)

"Ich musste mich in diesem Jahr einer großen Operation unterziehen und hatte große Angst. Obwohl ich gar nicht religiös bin, habe ich am Abend zuvor gebetet. Ist das normal?" (fragt Inge T. aus Schilda)

"Alles ganz normal", sagt Professor Gereon Heuft, Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des Uniklinikums Münster. "Wenn jemand am Abend vor einer großen Operation feststellt, dass ihm zum Beten zumute ist, dann spürt sie oder er eine schlichte Wahrheit: Ich habe nicht alles in der Hand und weiß nicht alle Antworten für mein Leben", erklärt der Mediziner. Derjenige greift dann hierzulande einfach auf die christlichen Traditionen des Abendlandes zurück.

Professor Gereon Heuft hat mit der Studie "Not lehrt (nicht) beten" seinen zweiten Doktortitel erworben. Die Dissertation soll am Ende des Jahres als Buch erscheinen.

Professor Gereon Heuft hat mit der Studie "Not lehrt (nicht) beten" seinen zweiten Doktortitel erworben. Die Dissertation soll am Ende des Jahres als Buch erscheinen.

Heuft, der als Mediziner und Psychotherapeut tagtäglich Menschen bei der Bewältigung gravierender Probleme begleitet, hat die Fragestellung untersucht, ob gemäß dem alten Sprichwort "Not lehrt beten" eine scheinbar ausweglose Situation tatsächlich religiös(er) werden lässt. Der Mediziner befragte rund 1300 Patienten und verglich deren Antworten mit den Antworten einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe. Das Ergebnis: Not lehrt nicht beten. Die befragten Patienten hofften nur etwas häufiger, dass religiöse Fragen in ihrer Lebenssituation eine stärkere Rolle spielen mögen als die Befragten in der Bevölkerung. Heuft widerlegt damit eine weit verbreitete Vermutung. "Es kann als Tragik gelten, dass diese Suche für immer mehr Menschen in die Leere geht, weil sie nicht gelernt haben, sich mit solchen Fragen zu befassen", ergänzt der Forscher, der in seinem Klinikalltag immer öfter körperlich schwer Kranken begegnet, die sich selbst ablehnen und einen "selbstbestimmten Tod" als Autonomie idealisieren.

Beten, um Halt zu spüren

Es gibt aber auch Menschen, die in bestimmten Lebens- oder Notsituationen anfangen zu beten, auch wenn sie sich vorher als nichtreligiös gesehen haben. "Dann geht es meistens um Vertrauen zu einem größeren Gegenüber", erklärt der Experte. "Und um den Wunsch, gehalten zu werden, auch da, wo es nach menschlichen Maßstäben vielleicht keinen Halt mehr gibt. Sich selbst so zu erleben, vor allem, wenn es das erste Mal im Leben ist, kann durchaus verunsichern. Einen solchen Halt zu spüren, kann aber auch eine echte Ressource sein oder zu dieser werden. Das ist individuell ganz verschieden."

Aus diesem Grund sollten Angehörige und Pflegepersonal jeden Patienten in seiner religiösen oder nichtreligiösen Identität vorbehaltlos annehmen und so dessen Selbstwertgefühl stärken. Not lehrt nicht unbedingt das Beten, sondern eher das Suchen. Ein Sprichwort, das passen würde, wäre also etwa: "Not macht erfinderisch".

Quelle: ntv.de

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