Frage & Antwort

Frage & Antwort Wie rettet man abdriftende Astronauten?

Absichtlich abgedriftet: Marc Lee testet 1994 das SAFER-System. Erfolgreich.

Absichtlich abgedriftet: Marc Lee testet 1994 das SAFER-System. Erfolgreich.

Die Frage beschäftigt mich schon länger: Bei Außeneinsätzen an der ISS bleiben die Astronauten ja immer dicht an der Weltraumstation. Doch angenommen, es driftet mal einer ab - wie fängt man den wieder ein? Geht das überhaupt? (fragt Kersten M. aus Osnabrück)

Außenbordeinsätze im Weltraum sind kein Spaziergang, auch wenn sie gern als solcher bezeichnet werden. Sie sind gefährlich, denn ein Astronaut, der das Raumfahrzeug verlässt, begibt sich ins freie Vakuum. Ohne Raumanzug wäre das der sichere Tod – innerhalb weniger Minuten. Der Sauerstoffmangel würde in Sekundenschnelle zu Bewusstlosigkeit und dann zu Erstickung führen, nebenbei finge das Wasser im Körper an zu kochen, der Körper würde auskühlen, und er wäre zudem starker UV-Strahlung ausgesetzt. Vor einem solchen Schicksal schützt der Raumanzug – vorausgesetzt, er ist vollkommen dicht und hat nicht das kleinste Loch.

Astronaut Bruce McCandless 1984 bei einem Testflug mit der MMU, dem Vorgänger des SAFER-Systems.

Astronaut Bruce McCandless 1984 bei einem Testflug mit der MMU, dem Vorgänger des SAFER-Systems.

Doch natürlich kann ein Anzug nicht verhindern, dass der Astronaut womöglich den Kontakt zu seinem Raumfahrzeug verliert. Sollte das passieren, befände sich der Raumfahrer im freien Fall. Schwerelos würde er durch den Orbit sausen. (Die ISS ist dort mit einer Geschwindigkeit von 27.600 Kilometern in der Stunde unterwegs.) Nach und nach würde er durch Teilchen aus der Erdatmosphäre, die auch in fast 400 Kilometern Höhe noch vorhanden sind, gebremst werden. Ganz leicht. Dadurch würde der Astronaut ein wenig sinken, in ein e tiefere Umlaufbahn. Dort würden mehr Atmosphären-Moleküle auf ihn einwirken, er sänke weiter. Bis der Astronaut der Erde wirklich nahe käme, würden Monate vergehen. Von Satelliten weiß man, dass sie aus einer Umlaufbahn in 300 Kilometern Höhe nach etwa einem halben Jahr auf die Erde stürzen. Allerdings kommt nicht der komplette Satellit unten an. Ein Großteil verglüht in der Atmosphäre. Dem Astronauten erginge es nicht anders. Doch davon bekäme er längst nichts mehr mit. Der Sauerstoffvorrat in seinem Anzug reicht nur für etwa sechs Stunden ...

Raketenantrieb im Rucksack

Um ein solches Szenario auszuschließen, sind Raumfahrer bei einem Außeneinsatz an der ISS besonders gesichert – und zwar, wie uns Andreas Schütz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erklärt, über zwei 7,60 Meter lange Halteleinen. Diese sind an Stangen befestigt, die sich an der Außenhaut der ISS befinden. Und dann gibt es, wie Schütz betont, "für den Prozess der Bewegung an der ISS klare Vorschriften, die ein Abdriften verhindern. Eine Leine muss dabei immer an der Raumstation sein."

Das klingt schon recht beruhigend. Doch was ist, wenn sich diese Sicherungsleine löst? "Amerikanische Raumanzüge lassen sich mit dem System SAFER ausstatten", antwortet Schütz auf diese Frage und erklärt, was sich dahinter verbirgt: "Im Prinzip ist das ein Raketenrucksack. Er verfügt über 24 Düsen, die mit Stickstoff betrieben werden." Mit diesem Düsenantrieb also kann sich ein Astronaut wieder zurück zum Raumfahrzeug manövrieren, sollten die Halteleinen tatsächlich einmal reißen. 13 Minuten hat er dafür Zeit; das ist, wie Schütz weiß, die Betriebsdauer des SAFER-Systems. Selbstredend steht auch Raumfahrern im russischen Orlan-Anzug ein Rettungsgerät zur Verfügung: Es heißt USK und ähnelt dem SAFER-System, wie Schütz erklärt. Doch einen auffälligen Unterschied gibt es: Seine Betriebsdauer beträgt acht Stunden.

Das SAFER-System, 1994 eingeführt, hatte bereits in den 1970er Jahren einen Vorgänger: die MMU, Manned Maneuvering Unit. Dieser Düsentornister kam bei drei Space-Shuttle-Missionen zum Einsatz, jedoch nicht, um abdriftende Astronauten zu retten, sondern um Satelliten einzufangen. In Testflügen entfernten sich die Astronauten mit der MMU fast 100 Meter von der Raumfähre. Die Steuerung aber gelang nur ungenau, außerdem war das Gerät mit seinen 1,27 Metern Höhe, 85 Zentimetern Breite und 69 Zentimetern Tiefe sehr sperrig. Für Arbeiten an der ISS war es daher unbrauchbar. Das SAFER-System ist wesentlich handlicher. Es ist nur 35 Zentimeter hoch, 66 Zentimeter breit und 25 Zentimeter tief.

Übrigens: Auch die ISS sackt durch die Reibung mit Teilchen aus der Erdatmosphäre täglich um rund 100 Meter ab. Deswegen muss sie regelmäßig mit Raketentriebwerken angehoben werden.

Quelle: ntv.de

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