Aus der Schmoll-Ecke Daimler böse! Bayer kacke! Fuck RWE!
25.01.2020, 09:59 Uhr
Der Kolumnist ist auf der Suche nach der Provokation, ohne den Status als "Sehr-Gutmensch" einzubüßen.
(Foto: dpa)
Um in Deutschland Karriere zu machen, muss man Konzerne beschuldigen, den Weltuntergang zu beschleunigen. Unser Kolumnist übt sich gerade daran. Um Aufmerksamkeit zu erzeugen, schreibt er erstmals unter seinem richtigen Namen.
Geschätzte Leserschaft, ich habe lange mit mir gerungen, ehe ich mich dazu entschlossen habe, nicht mehr unter Thomas Schmoll zu schreiben, sondern unter meinem wahren Namen: Thomasius Freiherr zu Schmöllingen in Südsachsen. Ich möchte ein Zeichen setzen. Denn ich gehöre zu den Adelsmännern, die zu ihren Wurzeln stehen und sich nicht wegen ein paar beknackten Paparazzi vom Acker machen, wie es das britische Weichei und seine amerikanische Tusnelda getan haben.
Wo kommen wir denn da hin? Ich trete nicht als Mitglied meiner Familie zurück, sondern bin ihr nach wie vor von Herzen verbunden. Die ist nämlich absolut okay. Allerdings werde ich weiterhin als Autor arbeiten, um finanziell unabhängig zu bleiben. Auf öffentliche Zuwendungen aus der Kasse von König Olaf dem Zählbären möchte ich jedenfalls nicht angewiesen sein.
Geschafft! Nun kriege ich wieder die üblichen Mails: "Sie wollen ja nur auf sich aufmerksam machen." Exakt. Das waren mir die 100 Euro wert, für die ich mir den Freiherrentitel auf einer karibischen Insel gekauft habe. Aufmerksamkeit: Das trifft es ins Schwarze und wird ein weiterer Beleg sein für die absolute Unfehlbarkeit der Millionen Ferndiagnostiker hierzulande, nach meiner Einschätzung die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe Deutschlands. Leute lesen einen Artikel von mir und wissen mehr als meine Psychologin, die sich seit Jahren um mich bemüht und sich die elende Geschichte meiner Kindheit reinziehen muss. Ja, mein Vater. Und klar, auch meine Mutter. Die Eltern halt. Was sollte da aus mir werden?! Ein Optiker wie Anton? Nö, ein Schreiberling.
Sicher ist Ihnen schon aufgefallen, dass mein Bemühen, auf mich aufmerksam zu machen, bisher nicht gerade von Erfolg gekrönt ist. Leider sitze ich nicht jede Woche bei Anne Will oder Maybrit Illner und sage scheißkluge Sätze wie diesen: "Der westliche Blick auf den Osten verstellt die Sicht auf das Wesentliche." Wow! Wie cool ist das denn? Null. Es ist reiner Humbug, klingt nur irgendwie intelligent und nicht ganz so platt wie diese schwachsinnigen Kalendersprüche, aus denen Paulo Coelho ganze Bücher schreibt, die ich mich nicht trauen würde, einem Verlag anzubieten: "Glaube an dich, dann wird es das Universum richten." Jaja, das Universum hat gerade nix Besseres zu tun, als sich um Thomasius Freiherr zu Schmöllingen in Südsachsen zu kümmern. Der Gedanke ist: saukomisch.
Vegane Sprache und Taschen
Darf man noch saukomisch sagen oder beleidigt man damit die Vegetarier und Veganer und Tierschützer und Schweine und deren Züchter? Die Zeit dreht sich so schnell gerade, dass ich nicht mehr hinterherkomme, was politisch korrekt oder nicht korrekt ist. Ich möchte aber kein Risiko eingehen, damit ich nicht meinen Status als Sehr-Gutmensch verliere, den ich mir hart erarbeitet habe. Wobei ich gerade dieser Tage merke: Es ist nicht so leicht, ein Sehr-Gutmensch zu sein, es allen recht und trotzdem auf sich aufmerksam zu machen. Ich habe einige Ideen dazu entwickelt, die nicht völlig ohne Provokation auskommen.
Ich denke ernsthaft darüber nach, für das Taschenimperium von Philipp Bree zu arbeiten, der lustigerweise in Medien als "Lederwarenerbe" bezeichnet wird. Im Nachlass meiner Mutter war eine Handtasche aus Wildleder, die ich in die Kleidersammlung des Roten Kreuzes befördert habe. Ob das reicht, demnächst bei Anne Will als Wildlederwarenerbe angekündigt zu werden? Das glaube ich nicht. Ist auch egal. Mein Plan ist, für den Lederwarenerben einen Sack zu entwerfen, der einem angekokelten Kängurubeutel nachempfunden ist und mich dann mit eben dieser Einkaufstüte vor einem verbrannten Tier jener Art in Australien fotografieren zu lassen. Der Beutel kostet 551 Euro - unter Lars Eidinger mache ich es nicht - und hat eine - dito - Auflage von 251 Exemplaren. Im Sinne des Zeitgeistes taufe ich meinen Beutel auf "Green Trash by Thomasius Freiherr zu Schmöllingen in Südsachsen". Das wird der Hit!
In Interviews sage ich dazu: "Der westliche Blick auf verbrannte Kängurus verstellt die Sicht auf das Wesentliche." Wow! Wie hot ist das denn? Oder etwas intellektueller: "Oftmals messen wir Luxusartikeln, die wir vielleicht ein bis zwei Mal im Jahr benutzen, einen höheren Wert bei als Tieren. Die Tasche ist eine Verneigung und eine Wertschätzung vor allen Kängurus und Menschenaffen in Krefeld, egal ob verbrannt oder nicht. Natürlich spielt der Beutel wie alles von Green Trash damit, ein Einwegprodukt nachhaltig zu machen." So viel Zynismus in einem Freiherrn - das geht ja gar nicht! Ich muss mich bessern.
Komisch, dass Eidinger diese Fotos gemacht hat. Die von ihm entworfene Aldi-Tasche, mit der er sich vor - immerhin nicht in Brand gesetzten - Obdachlosen fotografieren ließ, sieht behämmert aus und passt damit zu den sehr hässlichen Sachen, die der Schauspieler immer trägt, wofür ich ihm total dankbar bin, weil er mir Hoffnung schenkt, dass sich Karriere und schlechte Kleidung nicht ausschließen. Denn ich habe einen deutlichen Hang zu merkwürdigen Klamotten, den allein meine Schwester mit Geschenken torpediert, damit ich nicht wie Eidinger ende, was angesichts meiner anziehmäßigen Entwicklung nicht völlig auszuschließen ist.
Wie auch immer: Lars Eidinger ist ein genialer Schauspieler, ich habe ihn in Ibsens "Hedda Gabler" an der Berliner Schaubühne gesehen und war begeistert. Großartig! Alles, was ich über den Mann weiß anhand seiner Interviews, deutet daraufhin, dass er im Gegensatz zu mir kein Zyniker ist. Doch das Millionenheer der Ferndiagnostiker war schnell zur Stelle und erklärte den Mann zum Bösewicht, der keinen Respekt vor Obdachlosen habe und "Prekariat ästhetisch ausbeutet", was natürlich viel gemeiner ist, als wenn das Cindy aus Marzahn tut. Tatsächlich war es doof von Eidinger, Design mit Kunst zu verwechseln. Bitte keine Protestmails! Design kann auch Kunst sein, weiß ich. Aber die Aldi-Tasche gab es schon, ist keine Kunst und wird es auch nie werden. Das Foto vor Obdachlosen war ein Fehler. Dass Eidinger ein Fiesling ist, der über Leichen oder lebende Obdachlose geht - nee, das glaub ich nicht. Der ist eher ein Feingeist.
Heiliges verkohltes Känguru
Ich bin da anders. Wenn der Lederwarenerbe mir ein Angebot für meine Kängurubeutel macht, bin ich dabei. Das kann ich schön verschwurbelt mit dem Klimawandel erklären. "Die Tasche ist eine Verneigung und eine Wertschätzung vor allen Klimaschützern, egal ob sie das Klima an Freitagen schützen oder die ganze Woche." Auch für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Lederwarenerbe mich abblitzen lässt, habe ich eine, wie ich mir selbst bescheinige, brillante Idee. Ich gehe Dax-Konzernen auf die Nerven. Das fördert nämlich neuerdings die Karriere. Daimler ist ganz böse! Diesel und so. Böse, böse, böse. Bayer ist kacke! Monsanto und so. Ihr seid echt scheiße. Fuck RWE! Verfickter Kohleabbau. Schlimm! Und schwups, schon bieten die mir einen Posten im Aufsichtsrat an. Dann habe ich endlich ausgesorgt und kann mich den schönen Dingen des Lebens widmen.
Ich wollte in dieser Kolumne eigentlich einen Bogen um Fridays for Future machen. Doch lesen Sie selbst. Manuel René Theisen, Professor für Betriebswirtschaft an der Uni München, wählte kürzlich für einen Gastkommentar im "Handelsblatt" die Überschrift: "Kinder haben in Aufsichtsräten nichts verloren". Unfassbar, nachdem sich Fans von Luisa Neubauer darüber beschwert hatten, änderte die Zeitung den Titel und entschuldigte sich "für die irreführende Überschrift, die in der Tat den Inhalt des Gastbeitrags nicht korrekt wiedergibt. Es tut uns leid, wenn deswegen ein falscher Eindruck entstanden ist. Frau Neubauer hat erst kürzlich in einem Handelsblatt-Interview bewiesen, dass sie alles andere als naiv und kindlich auf die Welt blickt."
Heiliges verkohltes Känguru in Eidingers Aldi-Beutel - da haut es den Lederwarenerben vom Baum! Überspitzte Überschriften dienen doch dazu, die Botschaft eines Kommentars zu verdeutlichen. Dem Professor ging es nicht um Neubauer, sondern um den bekloppten PR-Gag von Siemens-Chef Joe Kaeser, der Klimaaktivistin einen Aufsichtsratsposten anzubieten. Theisen warb dafür, Erfahrung und Sachversand in Aufsichtsräte zu entsenden. Schade, dass eine bürgerliche, wirtschaftsnahe, aber kritische Zeitung wie das "Handelsblatt" lieber einen Gastautor verrät, als den grünen Zeitgeist auszuhalten.
Ein Portal namens Utopia.de veröffentlichte einen Text unter dem Titel: "Handelsblatt würdigt Luisa Neubauer herab - und ändert schnell die Überschrift". Es ist nun also schon eine Herabwürdigung, wenn ein Professor in einem Kommentar davor warnt, unerfahrene Jungspunde in Aufsichtsräte zu wählen. Kinder, Kinder, wohin soll das noch führen??!!
Quelle: ntv.de