Plastik hat auch gute Seiten "Der Müll ist der Spiegel unseres Konsums"
10.02.2019, 11:21 Uhr
Die Beute einer Müllsammel-Aktion an einem Strand an der Ostsee.
(Foto: Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa)
Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht mit Bildern von Plastikverschmutzung in Meeren konfrontiert werden. Deswegen würden viele gerne gänzlich auf Verpackungen verzichten. Im Gespräch mit n-tv.de erklärt Hans-Georg Böcher, Leiter des Verpackungsmuseums in Heidelberg, des einzigen seiner Art in Deutschland, warum Plastik und Co. auch ausgesprochen sinnvoll sein können.
n-tv.de: Durch die Fotos von vermüllten Meeren reagieren Menschen mittlerweile sensibler auf Verpackungen als noch vor ein paar Jahren. Bekommen Sie das im Verpackungsmuseum auch zu spüren?
Hans-Georg Böcher: Die Skepsis gegenüber Verpackungen hat uns von Anfang an begleitet. Sie war überhaupt der Grund, warum das Museum 1997 eröffnete. Ich würde sogar sagen, dass die Skepsis gegenüber Verpackungen damals noch größer war als heute. In den 90er-Jahren rückte die Umweltproblematik immer mehr in den Fokus. Uns ging es darum, die damals plötzlich aufgetretenen Ansehensprobleme der Verpackung zu bekämpfen, indem wir die Geschichte der Verpackung und unseres Konsums ehrlich erforschen und erzählen.

Hans-Georg Böchers Begeisterung für Verpackungen wurde während seines Kunstgeschichtsstudiums geweckt. Auf Flohmärkten erstand er künstlerisch gestaltete Blechdosen aus der Jugendstilzeit.
(Foto: Privat)
Was ist denn überhaupt der Nutzen von Verpackungen? Kann man sie nicht einfach weglassen?
Nein, das kann man nicht.
Aber früher ging das doch auch. Da ist man zum Fleischer oder Gemüsehändler gegangen und hat alles frisch von der Theke gekauft, da war nichts eingeschweißt. Oder man ist mit der Kanne Milch holen gegangen. Sollten wir nicht wieder dahin zurück?
Heutzutage ist es undenkbar, die Milch im Supermarkt einfach ins eigene Gefäß zu füllen. Denn es gibt lebensmittelrechtliche Bestimmungen. Milch fängt sofort an zu keimen. Man hat Experimente dazu gemacht. Es gab mal so eine stählerne Kuh, die im Handel aufgestellt wurde. Dort konnte man sich die Milch dann selber abfüllen. Dann hat sich herausgestellt, dass an den Düsen, wo die Milch herauskommt, ein großer Keimbelag war. Das Aufsichtsamt hat den Abfüllautomaten daraufhin geschlossen. Heute gibt es noch stählerne Kühe direkt bei Milchbetrieben. Das funktioniert, weil der Betreiber den Automaten jeden Tag kontrolliert, säubert und pflegt.
Also hat die Verpackung auch Vorteile. Welche genau?
Die Verpackung hat hygienische Aufgaben, aber auch komplexe logistische. Sie ist Träger des EAN-Codes. Sie verbindet uns also direkt mit dem Hersteller. Wenn eine Glasscherbe oder Ähnliches im Produkt gefunden wird, kann man genau nachverfolgen, wo in der Kette der Fehler passiert sein muss. Jede Charge kann rückverfolgt werden. Und: Unser Essen ist enorm haltbar geworden, was der Umwelt wiederum zugutekommt. Was nützt mir ein Käse, der zwar in Papier verpackt ist, aber schnell trocken und ungenießbar wird? Dann wird er auch weggeworfen. Und für den Käse hat eine Kuh gelebt und die hat auch Abgase in den Himmel gepupst.
Was sind für Sie unnütze Verpackungen?
Manche Produkte sind tatsächlich übertrieben verpackt, wie zum Beispiel in der Spielwaren-Industrie. Wenn man seinem Kind eine Puppe kauft, was man da alles entfernen muss, bis man an die Puppe gelangt! Wahnsinn, wie die verschnürt ist und was da alles an Kunststoff dran ist. Zum Teil ist das Diebstahlsicherung. Im Handel wird sehr viel gestohlen und die Dinge müssen groß werden, damit sie nicht in die Tasche reinpassen. Vielleicht kann man hier aber trotzdem bescheidenere Lösungen finden. Zum Beispiel braucht man keine Kunststofffolie als Sichtfenster. Man könnte das auch einfach freilassen, auch wenn der Artikel dann einstauben könnte.
Was halten Sie von Unverpacktläden?
Unverpackt ist etwas, das man früher hatte und zwar aus der Not heraus. Wenn Sie jemanden fragen, wie das damals war im Lebensmittelhandel, dann bekommen Sie die Antwort: Schön war es. Und: Es hat in jeder Schublade geknistert und Geräusche gemacht. Überall war Leben. Es gab Maden, Schaben, Fliegen, Motten. Mit diesen Schädlingen hat man früher gelebt. Heute haben Insekten gerade durch die Kunststoffverpackungen keine Chance mehr. Nicht ohne Grund werden in Unverpacktläden meistens trockene Nahrungsmittel wie Müsli-Mischungen angeboten. Meiner Meinung nach können Unverpacktläden den Besuch in einem Supermarkt nicht ersetzen.
Aber die Verpackung sorgt nun mal für Umweltprobleme.
Die Verpackung ist nicht der Verursacher der Probleme, sie ist nur der Indikator. Schuld ist unsere Lebensführung, unser Konsum. Der Müll ist der Spiegel unseres Konsums. Wir können nicht unseren Konsum unverändert weiterführen und am Ende das, was davon übrigbleibt, verurteilen. Sie müssen immer bei Verpackungsvermeidung über Konsumvermeidung reden. Sie können nicht sagen: Wir lassen einfach die Verpackung weg, aber es isst jeder weiter seine Lieblingssorte Joghurt im kleinen Plastikbecher. Das funktioniert nicht.
Was ist die Lösung? Ganz auf Verpackungen zu verzichten, scheint ja auch nicht zu gehen.
Man sollte seinen eigenen Konsum reflektieren. Man kann seinen Verbrauch einschränken und aufmerksamer mit Verpackungsmüll umgehen. Man kann beispielweise einen großen Becher Joghurt kaufen statt viele kleine und den leeren Becher wiederverwenden, zum Beispiel für die Aufbewahrung von Speiseresten. So kann man den Lebenszyklus dieses Bechers verlängern. Man muss sich nicht radikal einschränken, um Müll zu reduzieren. Selbst wenn man im Versandhandel bestellt, ist das okay. Aber die Frage ist doch: Muss der Bote mit dem Zalando-Paket wirklich jeden zweiten Tag vor der Tür stehen? Oder hat nicht eine Sammelbestellung für mehrere Produkte mehr Sinn? Und was auch wichtig ist: Man muss bei der Mülltrennung genau sein, zum Beispiel die Flaschen tatsächlich zum Glascontainer bringen und sie dort nach Farben sortieren.
Gut, im Privatbereich kann man schon eine Menge ändern. Wie kann die Politik helfen?
Der Joghurtbecher ist ein Wertstoff. Für ihn wurde Geld bezahlt. Er enthält Öl und das ist wertvoll, damit kann man zum Beispiel heizen. Er ist thermisch verwertbar und recyclebar. Das wird den Leuten nicht gesagt, dass dieser Müll attraktiv ist. Ich kritisiere, dass mit diesem Müll gehandelt wird. Ich würde den Handel ausgedienter Artikel in die Dritte Welt unterbinden, so dass man also gezwungen ist, die Entsorgung in einem hochindustrialisierten Land vorzunehmen. Wenn der Müll also dort bleibt und recycelt wird, wo er entstanden ist. Und ich würde ich es gut finden, wenn man uns Bürgern Geld erstattet, wenn man vernünftig trennt. Nicht einfach die Verpackung dafür verurteilen, dass sie da ist, sondern den Konsumenten noch stärker in die Pflicht nehmen. Also ihm etwas zurückgeben, wenn er etwas in den gelben Sack tut.
Was kann die Industrie für unsere Umwelt tun und was tut sie schon?
Es hat sich in den letzten Jahren unfassbar viel getan. Die Wandungsstärken von Folien sind dünner geworden, bei gleichen Barriere-Eigenschaften. Es gibt jetzt Öko-Karton-Sorten, in den schnell nachwachsende Rohstoffe wie Hanf oder Gras eingebunden werden, um weniger Bäume zu fällen. Wir haben mittlerweile verrottbare Müllsäcke. Es gibt auch Folien, die aus Zucker bestehen oder aus Materialien, die wasserlöslich sind. Wenn die Wurst in einer wasserlöslichen oder verrottbaren Verpackung verpackt ist, hat sie natürlich nur ein eingeschränktes Haltbarkeitsdatum. Der Kunde müsste dann natürlich mitziehen. Auch, weil diese Verpackungen mitunter etwas teurer sind und der Kunde ein paar Cent mehr bezahlen muss. Die Richtung, in die Kunststoff-Industrie forscht, ist aber völlig eindeutig: Sie geht Richtung Öko.
Mit Hans-Georg Böcher sprach Kira Pieper
Quelle: ntv.de