
Jin - Jiyan - Azadi: Das heißt Frauen - Leben - Freiheit. Alle drei bedeuten Mut!
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Im Iran und überall auf der Welt protestieren Frauen gegen Unterdrückung, Gewalt und Folter. Für Selbstbestimmung, für ein freies Leben. Zum ersten Mal werden sie dabei von ihren Ehemännern, Lehrern, Brüdern, Vätern unterstützt. Junge Mädchen und erfahrene Frauen zeigen sich furchtlos - höchste Zeit, sich bei ihnen etwas abzugucken.
Neulich habe ich auf Instagram (!) gelesen: "Wie viele Frauen braucht es, um eine Glühbirne in eine Lampe zu schrauben?" Die Antwort ist erschütternd einfach: Eine. Sie stellt sich mit der Glühbirne in der Hand einfach unter die Lampe und lässt die sich um sie herum drehende Erde die Arbeit machen. Zugegeben, das ist ein alter Witz, den fortgeschrittene Frauen gern machen, wenn sie ausdrücken wollen, wie einfach das Leben doch eigentlich ist. Und dass sie das wissen. Im Gegensatz zu vielen Männern vielleicht. Die denken könnten: Eine Frau? Eine Glühbirne? Lass das mal lieber den Papa machen! Und dann umständlich an der Glühlampenfassung rumfummeln.
Warum nun können Frauen normalerweise über so blöde Witze erhaben sein? Weil sie denken, dass sie klüger sind, und das ist ja auch ganz oft der Fall. Das Gute ist, dass Frauen in meiner Welt, so wie ich sie kenne, sowieso sein dürfen, was und wie sie wollen (theoretisch und vom Grundgesetz her), dass sie Witze über sich und andere machen können und dass auch Männer teilweise sogar darüber lachen oder höchstens mit den Schultern zucken. Selbst wenn Männer denken würden, dass Frauen doof sind, dann würde das die meisten Frauen hier nicht jucken, sie würden nur lachen. Frauen in meiner Welt würden unter Umständen einen Mann sogar auslachen.
Denn das geht, ohne dass einer Frau hier der Mund mit Seife ausgewaschen, die Hand abgehackt oder gleich die ganze Fresse so poliert wird, dass sie an ihren inneren Verletzungen sterben wird. Es geht, weil in unseren Breiten und vielen anderen Kulturen der Welt Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Ich sage nicht, dass diese Gleichberechtigung immer zu 100 Prozent ankommt, ausgelebt werden kann oder anerkannt wird, es gibt noch immer zu vieles, was dagegen spricht. Unterschiedliche Bezahlung zum Beispiel oder unterschiedliche Auffassungen davon, wie Gleichberechtigung nun wirklich ausgelebt werden darf und wann eine Frau doch lieber den Mund zu halten hat. "Zuwiderhandlungen" werden "bei uns" üblicherweise aber nicht mit dem Leben bezahlt.
Sie können ja mal probieren, wenn Sie eine Leserin sind, in Ihrem nächsten Meeting zum Beispiel, wirklich auf Ihrer Meinung zu beharren. Sie haben einen Vorschlag, eine Verbesserung? Mal gucken, ob das genommen wird. Nein? Und der Kollege nach Ihnen? Seine Idee? Super, Mensch Meier, guter Mann, das is' ja 'n dolles Ding, da machen Sie sich gleich mal ran, top! Obwohl es quasi dasselbe in Grün ist, was Sie soeben gesagt haben? Ich übertreibe leicht, aber es ist so. Sie - Frau - nerven mit Ihrer Beharrlichkeit, Sie, Mann, sind einfach durchsetzungsstark und gehen auch mal unbequeme Wege.
Jin Jiyan Azadi - Frauen Leben Freiheit
Aber darüber wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Ich wollte über die Frauen im Iran schreiben, die so stark sind. Ich kenne einige Iranerinnen, sie sind wunderschön, sehr klug, haben den besten Humor, leben in meiner Umgebung, fahren äußerst selten nach Hause und würden ihre Töchter nur ungern nach Teheran schicken. Das ist nicht nur schade, das ist ein Drama. Vor drei Wochen bin ich zufällig über Teheran geflogen, habe die Lichter der riesigen Metropole von oben gesehen. Diese Stadt löst irgendeine Sehnsucht in mir aus, ich habe Bilder von ihr im Kopf. Ich würde gern hin, mich überzeugen von meinen Bildern - das geht nun nicht, noch weniger als sonst.
Seit über zwei Wochen - aktuell - protestieren die Frauen im Iran (und inzwischen Gott sei Dank auch viele Männer), gegen Unterdrückung und Verfolgung. Sie wollen sich frei bewegen können, sagen, was sie denken und tragen, was sie wollen. Lange Haare, kurze Haare, mit oder ohne Kopftuch, es soll jeder Frau überlassen sein, wie sie sich geben möchte, wen sie liebt, wen sie wählt. Frauen brauchen keine Moralpolizei - die braucht niemand - die ihnen diktiert, ob sie ihre Schleier richtig oder falsch tragen. Ob sie sie überhaupt tragen.
Der aktuelle Protest ist groß, mächtig und sichtbar, vor allem, weil durch die sozialen Netzwerke deutlich gemacht wird, dass die Frauen in Iran (und auch in Afghanistan und überall dort, wo Frauen brutal unterdrückt werden) nicht allein auf der Welt sind. Sicher, es gibt Momente, wo sich andere Frauen einfach reinhängen in diesen großen Protest, der so lebenswichtig ist, mit anderen Forderungen. Zum Beispiel der Forderung, ein Kopftuch tragen zu DÜRFEN! Das ist relativ unklug, weil es die einzelnen Interessen von Frauen vermischt und zu einer großen, verwässerten Angelegenheit macht, die dann im Boden versickert. Liebe kopftuchtragenwollende Frauen - sucht euch bitte einen anderen Zeitpunkt für eure Forderungen! Wir wollen keine Äpfel mit Birnen vermischen und deswegen diese ungeheuer starke Bewegung, die auf der Welt gerade immer größer wird, nur für die Frauen in Iran nutzen und keine "Trittbrettfahrerinnen!
Haare abschneiden?
Es gibt nun reihenweise Frauen, die sich die Haare abschneiden, und sei es auch nur eine Strähne. Ich wurde gefragt, ob das sinnvoll sei. Ist es, weil die Geste symbolisch ist. Sie kommt wuchtiger rüber, wenn der ganze Zopf dran glauben muss, aber das Abschneiden jeglicher Haare ist ein Zeichen, das von den iranischen Frauen erkannt und anerkannt wird. Wenn das lange Haar, das als verführerisch gilt und deswegen mit dem Schleier bedeckt werden muss, nicht mehr da ist, dann wird dem Mann, der darauf besteht, dass "seine" Frau gefälligst langes Haar zu haben hat und dieses dann verdeckt, ja quasi das Territorium genommen. Wir sollten alle unsere Haare abschneiden. Es geht um mehr als Haare und es geht sogar um mehr als Frauen, es geht um ein ganzes System, das - auch von Männern - nicht mehr hingenommen werden kann. Auch sollten wir bitte die Trennung zwischen religiösen Vorschriften und simplen Gesetzen nicht außer Acht lassen.
Um nun aber noch auf diese Glühbirnen-Sache zurückzukommen: Um jede Frau, die eine "Glühbirne" (bildhaft für "eine Fahne", "ihre Haare", "ein Plakat", "ein blutiges Kleidungsstück") hocherhobenen Hauptes in der Hand hält, dreht sich die Welt. Und wir drehen uns mit ihr. Momentan drehen wir uns vor allem mit Mahsa Amini, Sarina Esmaeilzadeh, Nagihan Akarsel, Nika Shakarami.
Dieses Mal werden wir gewinnen!
Die Namen dieser Frauen stehen für einen Kampf, der seit Jahren und Jahrzehnten gekämpft wird. Es sind Frauen, die nur 16 oder 17 Jahre alt wurden und Musik machen, ihre Meinung vertreten wollten oder einen Youtube-Kanal mit harmlosen Schminktipps betrieben. Iranerinnen sind gern schön. Die Mädchen aus den Schmink-Tutorials waren noch Kinder, die sich ausprobieren wollten. Die selbstbewusst in die Welt hinausgeblickt habe, ohne sich hinter dem Schleier zu verstecken. Oder sie hatten die Schleier eben falsch aufgesetzt. Und nun gar nicht mehr - sie nehmen in Kauf, dass sie diese Art von Protest mit dem Leben bezahlen könnten.
Aber: Dieses Mal werden wir gewinnen, sind sich die Protestierenden sicher. Sie wollen nicht aufgeben, bis Gerechtigkeit herrscht - für die vielen Toten, die bereits einem Unrechtsregime zum Opfer gefallen sind, und für die Lebenden, die selbstbestimmt in die Zukunft blicken wollen. Wir dürfen nicht wegsehen, nicht weghören. Der Winter wird eh kalt und ungemütlich, gehen wir also auf die Straße! Denn eins ist klar: Wut ist größer als Angst!
Quelle: ntv.de