Enorme Leistung Was es bedeutet, einen Menschen zu pflegen
29.01.2021, 18:02 Uhr
Eine enorme Herausforderung: die Pflege kranker Angehöriger.
(Foto: imago images/photothek)
Im Januar gab die RTL-Moderatorin Nazan Eckes bekannt, sie werde sich eine TV-Auszeit nehmen, um ihre Mutter bei der Pflege des demenzkranken Vaters zu unterstützen. In Deutschland gibt es etwa 4,7 Millionen Menschen wie Eckes, die Angehörige pflegen - eine enorme menschliche Leistung, die häufig kaum anerkannt wird.
"Leider hat sich die Alzheimer-Erkrankung meines Vaters in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert, sodass ich und meine Geschwister uns intensiv um unsere Eltern kümmern und jetzt als Familie besonders füreinander da sein müssen", erläuterte RTL-Moderatorin Nazan Eckes am 8. Januar in einer Mitteilung ihres Senders. Ihre Kollegin, die RTL-"Punkt 12" Moderatorin Katja Burkard, teilte kürzlich ebenfalls einen emotionalen Post auf Instagram. Unter ein Foto ihres Vaters, der vor 11 Jahren an seiner Demenzerkrankung verstarb, schrieb sie: "Meine Mutter und meine Schwester haben ihn Zuhause gepflegt. Was das bedeutet, können sich nur Menschen vorstellen, die das auch erleben. Deshalb habe ich größten Respekt vor allen, die das leisten. Denn dafür muss man sein eigenes Leben größtenteils aufgeben.“ Sie ruft ihre Abonnenten in dem Beitrag dazu auf, eine vom Magazin "Stern" initiierte Bundestags-Petition für eine Reform des Gesundheitswesens zu unterzeichnen.
Dass ein lieber Mensch pflegebedürftig wird, ist ein Schicksal, das jeden treffen kann - und selbst für Menschen, die finanziell gut gestellt sind, ist das eine große Herausforderung. Die rund 4,7 Millionen pflegenden Angehörigen in Deutschland tragen einen bedeutenden Teil zur Versorgung der Pflegebedürftigen bei. Jeder Zweite wird hierzulande von Angehörigen zu Hause ohne Unterstützung durch eine ambulanten Pflegedienst versorgt, wie eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft zeigt, die im September 2019 veröffentlicht wurde. Laut dieser sind es zudem vorwiegend Frauen, die diese Aufgabe übernehmen (61 Prozent) - und oft schultern sie zusätzlich die Betreuung eigener Kinder, den Haushalt und gehen häufig, zumindest in Teilzeit, auch einer Erwerbstätigkeit nach.
Arbeitsfähigkeit leidet darunter
Dass es vor allem Frauen sind, die Angehörige pflegen, beobachtet auch Nikolai Dumke in seiner täglichen Arbeit als Leiter eines ambulanten Pflegedienstes im niedersächsischen Örtchen Sande. "Sie stehen dadurch unter einer enormen Mehrfachbelastung, haben viele Rollen, denen sie gar nicht gerecht werden können, und es ist eine Leistung, über die öffentlich kaum geredet und die auch wenig anerkannt wird", so Dumke.
Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland sei durch den demografischen Wandel in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, sagt Dumke. "Wir beobachten, dass ältere Menschen so lange wie möglich im häuslichen Umfeld bleiben möchten und erst sehr viel später in eine stationäre Einrichtung gehen. Dadurch steigt der Betreuungsbedarf für pflegende Angehörige und ambulante Versorger."
Einen lieben Menschen zu pflegen, sei für sie zwar selbstverständlich, aber eben auch energieraubend, sagt auch die Flötistin Katharina Sommer. Der Vater der 59-Jährigen ist nach einem schweren Schlaganfall vor neun Jahren halbseitig gelähmt, auch sprechen kann er nicht mehr. Sommer, die im sächsischen Radebeul lebt, fuhr vor der Corona-Krise zusätzlich zu ihrem beruflichen Pensum aus Konzerten und ihrer Tätigkeit als Musiklehrerin jeden Monat 400 Kilometer in das hessische Fulda, wo ihr 90-jähriger Vater in einem Pflegeheim untergebracht ist, und verbrachte einige Tage dort.
Gegenwärtig verzichtet sie aufgrund des Lockdowns darauf. Ihre 98-jährige Schwiegermutter ist mit Pflegegrad 4 ebenfalls auf umfassende Unterstützung angewiesen, sie wohnt bei Sommer und ihrem Mann in einer Einliegerwohnung. Derzeit übernimmt der Musiker das Gros der Pflegeaufgaben, da er aufgrund von Corona nicht auf Tour ist, zuvor war die Flötistin auch in die Pflege ihrer Schwiegermutter mehr eingebunden. All das sei auch an ihrer künstlerischen Arbeit nicht spurlos vorbeigegangen. "Angehörige zu pflegen ist sehr energieraubend und für mich gab es immer wieder Phasen, die unglaublich viel Kraft gekostet haben, was meine Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt hat", sagt Sommer. "Wenn die Lage mich emotional sehr mitgenommen hat, merkte ich auch, dass meine Kunst, die Musik, nicht mehr im Fluss ist."
Corona erschwert die Situation zusätzlich
In Zeiten der Pandemie liegt der öffentliche Fokus vor allem auf der Situation in Pflegeheimen und Krankenhäusern - doch die Ergebnisse eines gemeinsamen Forschungsprojekts des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) und der Charité-Universitätsmedizin Berlin zeigen, dass die Pandemie auch für pflegende Angehörige eine zusätzliche Belastung ist. Fast jeder Dritte der Befragten gab an, die Pflegesituation habe sich seit Beginn der Corona-Krise verschlechtert, jeder Vierte sagte, er fühle sich mehr oder weniger überfordert, und bei jedem Fünften kommen Gefühle wie Verzweiflung und Wut dazu.
Pflegedienstleister Dumke sagt, das Gebot der Stunde, Kontakte zu reduzieren, steigere eben auch die Belastung pflegender Angehöriger. "Sie werden noch mehr gefordert, vor allem, wenn ein pflegebedürftiger Mensch an Corona erkrankt. Oft stecken sie sich dabei aber auch an und stehen dann vor dem Problem, dass sie jemanden finden müssen, der die Einkäufe erledigt. Das Netzwerk aus Unterstützern, das sich manche von ihnen aufgebaut haben, trägt in Zeiten der Pandemie und Kontaktbeschränkungen oft auch nicht mehr."
Dabei war die Pflege eines Angehörigen schon vor Corona oft mit enormen Herausforderungen emotionaler, körperlicher und praktischer Natur verbunden. Alleine die Antragsregelung sei kompliziert, es gebe auch Krankenkassen, die beantragte Unterstützungen zunächst ablehnen und erst nach einem Einspruch genehmigen. All das sei in einer Situation, in der ein Angehöriger krank ist und man sich sorgt, eine große zusätzliche Belastung und bringe einen unnötigen bürokratischen Aufwand mit sich, so Dumke.
Durch Pflege den Wert der Familie neu entdeckt
Bernd Bradtmöller pflegt seit Oktober 2020 seine 84-jährige Mutter Helga, die zuvor in Hannover lebte und dort in ihrer Wohnung trotz Unterstützung durch einen Pflegedienst nicht mehr gut zurechtkam. Neben einer Herzinsuffizienz und den Folgen eines Schlaganfalls leidet sie unter beginnender Demenz. Bradtmöller wollte nicht, dass sie in ein Pflegeheim kommt und holte seine Mutter zu sich nach Köln, baute dafür auch das Haus um, um ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Der 59-Jährige hatte seine Tätigkeit als Geschäftsführer einer Druckerei zuvor schon deutlich reduziert, als seine Frau schwer an Krebs erkrankte und schließlich im Mai 2020 starb. Auch sie pflegte er mit der Unterstützung eines Palliativteams.
Die Pflege eines Angehörigen werde von Außenstehenden eher als Hobby gesehen, die enorme Leistung, die dahintersteckt, häufig nicht anerkannt, sagt er: "Das liegt aber auch daran, dass wir als Gesellschaft sehr darauf getrimmt sind, individuelle Bedürfnisse zu verfolgen und der Familie ein geringerer Stellenwert eingeräumt wird."
Derzeit arbeitet Bradtmöller im Homeoffice als Berater für die Firma, die er früher führte - eine Vollzeittätigkeit hält er mit der Pflege seiner Mutter mit Pflegegrad 3 nicht vereinbar. "Ich muss sagen, ich habe das Ausmaß der Pflege unterschätzt. Wer voll arbeitet und dazu noch einen Angehörigen versorgt, der wird in den meisten Fällen weder dem einen noch dem anderen gerecht, das ist einfach ein zu großes Pensum." In der Pflege von seiner Mutter wird er durch seine Tochter sowie eine Freundin tatkräftig unterstützt. "Das ganz alleine zu machen halte ich für nahezu unmöglich", sagt er.
Bradtmöller hat in der Pflege seiner Mutter auch Erfüllung gefunden und den Wert von Familie für sich neu entdeckt. "Familie bedeutet auch, dass man füreinander einsteht, ohne Wenn und Aber", sagt er. Seitdem seine Mutter bei ihm lebt und wieder mehr Ansprache hat, geht es ihr auch gesundheitlich besser - die Ärzte konnten sogar ihre Medikamente zurückfahren.
Quelle: ntv.de