"Mandy, du bist genug!" Women Empowerment ist kein Hashtag
05.03.2021, 18:10 Uhr
Kommt gut mit sich selbst klar: Mandy Capristo.
(Foto: DNA Creative Collective)
Seit sie klein ist, schreibt sie Tagebuch. Dass ihr das einmal helfen würde, als Erwachsene ihre Gefühle zu sortieren, manchmal sogar Song-Ideen daraus zu entwickeln, hätte sie damals sicher nicht gedacht, aber Mandy Capristo hat dieses Ritual beibehalten. Heute weiß sie, wie sie Krisen überwinden kann, kennt sich besser denn je, hat irgendwie ein neues Leben angefangen und gibt das, was sie weiß, gerne an andere weiter. Zum Beispiel in ihrem neuen Song "Genug" oder auf der von ihr ins Leben gerufenen Plattform "Felice" (ab 14. März), auf der es um seelische Gesundheit geht, und auf der Menschen, die gerade jetzt in Lockdown- und Corona-Zeiten zweifeln und einfach nicht mehr mithalten können, Hilfe und Halt finden. Im Gespräch mit ntv.de erzählt die 30-Jährige die Geschichte einer jungen Frau auf der Reise zu sich selbst. Sie beschreibt, was es mit einem macht, wenn man das Gefühl und das Vertrauen zu sich selbst verliert, wenn man seine eigene innere Stimme nicht mehr hört. Und dass es zwischendurch auch mal dunkel werden kann. Mandy Capristo weiß inzwischen, wie wichtig es ist, ihre eigene beste Freundin zu sein.
ntv.de: Was haben Sie in den letzten Monaten, dem letzten Jahr denn so gemacht, liebe Mandy Capristo?
Mandy Capristo: Wir, mein Team und ich, waren wirklich superfleißig in den letzten Monaten: Irgendwie muss man gegen diesen ganzen Corona-Wahnsinn ja ankommen und der Situation standhalten. Und wir dachten auch: Wir Musiker müssen weitermachen! Ich weiß, ich bin nicht allein in der Situation, doch man muss sich zusammenfinden, um sich den Flow nicht nehmen zu lassen. Wenn wenigstens etwas gut war an Corona, dann, dass an manchen Stellen etwas Ruhe reingekommen ist. Aber ansonsten könnte ich jetzt gern mal wieder durchstarten.
Sie haben aber nicht nur Musik gemacht …
Stimmt. Vor fünf Jahren bereits habe ich die Idee gehabt, eine Plattform zu gründen, die Menschen als Anlaufstelle nehmen können, was ihre mentale Gesundheit betrifft. Jetzt sind wir mit "Felice" in der "The Baby is born"-Phase und lernen quasi laufen (lacht). Diese Schritte teilen wir nun, um diesem Thema die Relevanz zu verleihen, die es verdient.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Ich schreibe von klein auf Tagebuch. Das tut mir gut, weil ich gerne schreibe. Und beim Schreiben verarbeite ich, reflektiere und optimiere. Irgendwann habe ich angefangen, mehr Bücher zu dem Thema "Mentale Gesundheit" zu lesen und irgendwann war der Moment, an dem das Schreiben und Lesen nicht mehr funktioniert hat. Ich hatte das Gefühl, ich möchte über meine Emotionen mit jemandem, bei dem sie gut und vertraut aufgehoben sind, sprechen. Das habe ich getan und auf diesem Weg vieles gelernt. Das ganze Wissen, das ich mir angeeignet habe, die Menschen, mit denen ich gesprochen und gearbeitet habe, das alles würde ich gerne teilen und Menschen damit einen Einblick schenken. Ich möchte die Einsamkeit, die auch ich gefühlt habe, anderen gerne nehmen. Ich würde gerne mit "Felice" meinen Beitrag dazu leisten, mehr Aufmerksamkeit auf das Thema "Mentale Gesundheit" zu lenken, ohne den noch immer leicht negativen Beigeschmack. Wir gehen ins Fitnessstudio, um unsere Muskeln zu trainieren. Doch was ist mit unserem Kopf, trainieren wir den auch weiterhin?
Es gibt auch eine neue Single …
Die Single "Genug" ist entstanden, weil ich oft das Gefühl hatte, ich könnte ruhig mal wieder ein bisschen mehr bei mir sein. Das Thema Selbstliebe - vor allem bei Frauen - ist und bleibt intensiv: Da können wir machen, was wir wollen - am Ende des Tages gehen wir ins Bett und denken oft nur: "Das war nicht genug." Und das geht dann über in "Ich bin nicht genug". Es gab Momente in meinem Leben, da ging es nur um "Schneller, höher, weiter" bei mir. Und irgendwann habe ich mir dann in mein Tagebuch geschrieben: "Mandy - du bist genug!" Und alles, was on top kommt, ist ein i-Tüpfelchen. Aber das, was schon ist, das ist fein! Und mit diesem Gedanken dann bei sich zu sein und Lebensentscheidungen zu treffen - das war und ist mein Ziel.
Wie kommen Sie diesem Ziel näher?
Meist gelingt es mir inzwischen sehr gut, nicht ständig Anforderungen an mich selbst zu haben, aber natürlich habe ich auch mal einen schlechten Tag, und dann gelingt mir eh nichts. (lacht) Was ich meine: Zum Beispiel ein und dieselbe Schlagzeile trifft mich an dem einen Tag vielleicht hart und ich bin verunsichert, an einem anderen ist es nicht sonderlich schlimm. Aber das Spiel kenne ich ja schon eine Weile und da habe ich mir ein dickes Fell antrainiert. Das nehme ich inzwischen zumindest besser an als früher. Gewöhnen kann man sich nämlich nicht daran, wenn man ungerecht oder fies behandelt wird, die Gefühle sind da. Es kommt nur darauf an, was man selbst daraus macht. Ich kann durchaus in die Kritik mit mir selbst gehen.
Wie war es für Sie, als Sie jünger waren?
Als ich so jung mit der Band Monrose unterwegs war, wurde ich auf der einen Seite zwar irgendwie bestimmt und gelenkt, hatte dafür aber auf der anderen Seite eine enorme Leichtigkeit. Ich wollte das ja unbedingt, ich bin noch heute dankbar für diese Zeit. Das änderte sich natürlich, als ich älter wurde, da entwickeln sich dann eigene Ansichten und Interessen, andere Meinungen, andere Werte - da kam ich ein bisschen in die Bredouille mit mir selbst. Nichtsdestotrotz war das eine sehr interessante Reise.
Denken Sie gern an diese Zeit zurück?
Ja. Ich bin grundsätzlich niemand, der im Zorn zurückguckt. Ich strenge mich aber auch an, glücklich zu sein (lacht) und versuche, Positives aus Negativem herauszuziehen. Ich mag nicht die Schuld bei anderen suchen, um behaupten zu können, bei mir stimmt alles, das ist ja nicht richtig. Ich nehme mein Leben in die Hand und versuche, so gut es eben geht lösungsorientiert zu handeln. Und egal, wie dunkel ein Kapitel auch gewesen sein mag - ich sage irgendwann wirklich: "Jetzt reicht's, wie komme ich hier raus?"
Haben Sie bestimmte Leitsätze, Prinzipien, die Ihnen helfen?
Ich will weder andere bewerten noch bewertet werden. Einer meiner Lieblingssprüche ist aber: "Sorge dich nicht um morgen, denn morgen hat seine eigenen Sorgen."
Gleichberechtigung - warum ist die nicht selbstverständlich inzwischen?
Mädchen und Frauen standen schon immer unter Druck - aber heute, mit dem Internet und den anonymen Kommentaren beispielsweise, ist der Druck um ein Vielfaches höher geworden. Zum Thema Women Empowerment gehört für mich auch, dass man/frau Schwäche zeigen darf. Niemand bekommt immer alles hin - sich da unter Druck zu setzen, wäre wirklich dramatisch. Der Druck, den man sich selbst macht, ist wahrscheinlich der schlimmste. Es sind für mich die Momente, wenn alles zu viel wird. Am Ende des Tages muss man Dinge loslassen - man kann nicht alles kontrollieren. Und wenn mal etwas nicht aufgeht, hat das ja nicht immer etwas mit einem selbst zu tun.
Das muss man lernen zu erkennen ...
Jeder soll seinen eigenen Weg gehen - wenn man sich klarmacht, "Du bist genug", dann reicht man sich, das ist irre hilfreich für die eigene Akzeptanz. Ständige Vergleiche sind furchtbar und vollkommen unnötig. Jeder bestimmt sein Tempo, seine Form. Jeder schreibt seine Geschichte. Nur du kannst dir das Glück verschaffen, von dem du wirklich träumst, das kann kein anderer für dich übernehmen.
Stichwort "Soziale Medien" …
(lacht) Ja, die sind Fluch und Segen gleichzeitig.
Wer hat Ihnen schon immer den Rücken gestärkt?
Meine komplette Familie. Ich konnte mich immer mit meiner Mutter über meine Gefühle austauschen. Mit meinem Vater auch, aber natürlich enger mit meiner Mama. Weil sie eine Frau ist. Sie ist meine Vertraute, sie war es vor allem am Anfang meiner Karriere, als ich das Gefühl hatte, dem einen oder der anderen nicht vertrauen zu können. Dieses Sich-nicht-anvertrauen-können fand ich oft sehr schwierig in der Branche.
Und Freundinnen?
Enge und langjährige Freundschaften sind auch sehr wichtig für mich, und ich bin ein sehr vorsichtiger Mensch. Ehe ich mich öffne, vergeht schon etwas Zeit. Und natürlich wurde ich auch schon enttäuscht. Da nicht den Kopf hängen zu lassen ist aber ganz wichtig, nicht alle über einen Kamm zu scheren. Ich mache aber nach wie vor viel mit mir selbst aus.
Thema Frauentag: Wir sind noch lange nicht bei einer Form von Gleichberechtigung angelangt, wie sie ideal wäre, aber wir sind weiter als vor 100 Jahren.
Frauenzusammenhalt ist ein so wichtiges Thema! Female Empowerment muss im Alltag stattfinden. Das ist keine Kampagne, das ist kein Hashtag, das muss man leben! Es reicht nicht, ein T-Shirt zu tragen - du musst deine Kollegin aufbauen, auch wenn du eigentlich lieber im Mittelpunkt stehen würdest. Ich glaube, da sind uns Männer immer noch um Längen voraus. Das beste Beispiel ist eine Fußballmannschaft - die ist nur so stark wie das schwächste Glied im Team. Frauen glauben oft immer noch, sie wären eine Ballerina und müssten um das Solo kämpfen.
Mit Mandy Capristo sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de