Amazon Pilot Season: der Serientest Miese Action, mieser Held, miese Ehe
19.08.2016, 20:17 Uhr
"Jean-Claude van Johnson" ist nur eine der drei Serien, die Amazon im Rahmen der "Pilot Season" testen lässt.
(Foto: Amazon Video)
Sie mögen Action oder vielleicht Superhelden oder doch eher klassische Paargeschichten? Hervorragend, dann könnte Amazon genau die richtigen Serien-Piloten für sie haben. Drei neue Formate führen bekannte Genres ad absurdum.
Das Verfahren ist mittlerweile erprobt. Bevor Amazon für sein Streaming-Portal eine neue Serie einkauft, holt sich das Unternehmen zunächst einmal die Meinung der potenziellen Zuschauer ab. Sie sollen die Pilot-Folge Probe gucken und danach entscheiden, mit welcher Serie sie künftig ihre Abende verbringen wollen.
In der Vergangenheit schnitten etwa preisgekrönte Serien wie Amazons Aushängeschild "Transparent", die Musikshow "Mozart in the Jungle" und "Tumble Leaf" für die Kleinen mit ihrer Pilot-Folge bereits bestens beim Publikum ab. Gleiches gilt für "The Man in the High Castle". Die Nazi-Dystopie ist Amazons am häufigsten gestreamte Eigenproduktion.
Nun ist mal wieder "Amazon Pilot Season". In dieser Runde wollen drei halbstündige Formate bewertet werden: "The Tick", "Jean-Claude Van Johnson" und "I Love Dick".
"The Tick"
Nein, so richtig ernst nehmen kann man "The Tick" nicht - und so ist es auch gar nicht gedacht. Der Titelheld mag zwar unverwundbar sein, nach eigenen Angaben ausgestattet mit Reflexen "wie eine olympiataugliche Wildkatze" und stark "wie eine Bushaltestelle voll Männer". Doch er trägt nun mal ein blaues Ganzkörperkondom versehen mit Fühlern und ist auch unter verschiedenen weiterführenden Gesichtspunkten im besten Sinne nicht das, was man von Superhelden so gewöhnt ist.
"The Tick", herrlich seltsam gespielt von Peter Serafinowicz, könnte ein amüsanter Typ sein, doch die gleichnamige Serie scheint nicht besonders unterhaltsam zu werden. Regisseur Wally Pfister war schon bei Netflix' "Flaked" nicht so witzig, wie es versprochen war. Sein Pilot zu "The Tick" hat lichte Momente - wenn Schurke "The Terror" etwa in wenigen Sekunden Eissuppe schlürfend das Leben eines kleinen Jungen zerstört, wirkt aber konstant ungelenk und mehr unfreiwillig komisch als pointiert humorvoll.
Vielleicht wird dem blauen Helden selbst nicht genug Raum geschenkt. Stattdessen dreht sich alles um den deprimiert-belämmerten Verschwörungstheoretiker Arthur (Griffin Newman). Der Cast an sich hatte mit Jackie Earle Haley als besagter "Terror", Valorie Curry aus "The Following" und Yara Martinez aus "Jane the Virgin" jedenfalls einiges versprochen.
"Jean-Claude Van Johnson"

"Jean-Claude Van Johnson" ist gealterter Action-Star bei Tag, bei Nacht jedoch der gefährlichste Geheimagent der Welt.
(Foto: Amazon Video)
Man muss schon was übrig haben für diese ganzen Martial-Arts-Ikonen, um an "Jean-Claude Van Johnson" seinen Gefallen zu finden. Die Serie eröffnet der Öffentlichkeit die Wahrheit über Jean-Claude Van Damme. Eigentlich ist er nämlich nicht nur sicher in Sachen Kampf-Spagat, sondern glatt der gefährlichste Geheimagent der Welt. Das Ganze ist natürlich großer Humbug, aber ein netter Aufhänger, um eine lang verehrte Kinolegende wieder auferstehen zu lassen.
Van Damme benutzt in Peter Atencios Pilotfolge nur Pflegeprodukte, die mit seinen Initalen bedruckt sind, die Zeitung holt er mit dem Segway und Mahlzeiten bereitet er in der Mikrowelle zu. Erst als er aus Versehen in seine große Liebe stolpert, ist er bereit, nochmal den Haudegen zu geben.
Selbstverständlich ist "Jean-Claude Van Johnson" kein besonders kluges Format und wer schauspielerische Finesse als Grundvoraussetzung für gelungenen Serienspaß betrachtet, wird an den liebenswert hölzernen Darbietungen wenig finden. Dahinter jedoch verbirgt sich warme 80er-Nostalgie, kluge Hollywoodkritik und immer wieder erfrischende Parodie auf all das, was man derzeit so als zeitgeistig empfindet. Allerdings scheint die Geschichte mit dem Ende der Pilotfolge auch auserzählt.
"I Love Dick"

"I Love Dick" ist das herausragende Format der aktuellen "Amazon Pilot Season".
(Foto: Amazon Video)
Wer ein bisschen Englisch kann, wird hinter "I Love Dick" schon allein aufgrund des infantil-fröhlichen Titels vielleicht eine lustige Geschichte vermuten. Tatsächlich erzählt Jill Soloway von einer Künstlerehe mehr mit der ihr eigenen Tragikkomik. Die Regisseurin, die mit "Transparent" Amazons bislang größten Serien-Hit landete, trägt am Titel ihres Formats keine Schuld. Grundlage ist schließlich der gleichnamige Roman von Chris Kraus.
Kaum vorstellbar, dass aus diesem Piloten keine ganze Serie wird. Die weibliche Hauptrolle spielt Kathryn Hahn mit der gleichen überlegenen Verletzlichkeit, mit der sie schon lange das kleinere Art-House-Publikum für sich gewonnen hat. Den männlichen Part, den Dick, übernimmt Kevin Bacon - mit Bart und einer Extraportion Sex-Appeal. Sie droht in der intellektuellen Suppe des kleinen texanischen Städtchens Marfa zu ertrinken, ihn umschwärmt die clevere Community.
Über die "Neuinterpretation des Holocausts" oder den post-konzeptionellen Vorlesungsstil, der ohne Lektüreliste auskommt, kann vielleicht nur ein Nischenpublikum schmunzeln. Das vergeistigte Scheitern irgendwo zwischen Anspruch und Antrieb wird vornehmlich die Verkopften begeistern. Das macht aber nichts. Die Pilotfolge von "I Love Dick" bietet bereits eine Vielschichtigkeit, die mindestens ihr Zielpublikum unbedingt erreicht.
Alle Pilot-Folgen sind über Amazon Video abrufbar.
Quelle: ntv.de