Naidoo fährt nicht zum ESC Was für ein Debakel!
21.11.2015, 19:05 Uhr
Au weia, das ging in die Hose: Xavier Naidoo.
(Foto: picture alliance / dpa)
Nur zwei Tage nach Verkündung muss der NDR die Nominierung von Xavier Naidoo für den Eurovision Song Contest zurückziehen. Für den Sender eine Blamage, für den Sänger beschämend, für seine Freunde "Terrorismus" - aber für alle anderen eine Erlösung.
Nach der harschen Kritik von Medien, aber auch von Fans und einstigen Wegbegleitern des Eurovision Song Contests (ESC) wie Guildo Horn waren die Unterstützer gerade dabei, sich zu formieren. Sänger Rea Garvey ließ ebenso Dampf ab wie etwa Comedian Michael Mittermeier und Schauspieler Til Schweiger. Mit mehr oder weniger Vehemenz nahmen sie ihren Kumpel Xavier Naidoo in Schutz. Und mit mehr oder weniger Fassungslosigkeit reagierten sie auf die öffentliche Diskussion darüber, ob der Mannheimer nach diversen fragwürdigen Äußerungen in der Vergangenheit tatsächlich der geeignete Vertreter Deutschlands beim kommenden ESC in Stockholm wäre.
Am moderatesten gab sich dabei noch Garvey. "Jeder, der glaubt, dass ich mein Zuhause mit einem Rassisten, jemand Homophoben oder einem Extremisten teilen würde, kennt mich nicht", schrieb er auf seiner Facebook-Seite - dazu ein Selfie, das ihn, Naidoo, Mittermeier und Gesangskollege Sasha zeigt. Diese Männer seien nicht nur seine Freunde, sondern seine "Brüder".
"Ich glaub, mein Putin pfeift"
Richtig in Rage geriet indes Mittermeier: "Es ist unglaublich, mit welcher Hetze Xavier durch die Presse getrieben wird, weil er nun für uns beim ESC antreten soll. Viele Journalisten sollten sich schämen, in Dauerschleife ein paar Zitate abzuschreiben (wow, immerhin 5) - einfach willkürlich aus verschiedenen Jahren und jeweils aus jeglichem Zusammenhang gerissen. Das ist wirklich die billigste Form von widerlicher Meinungsmache", schrieb er zum selben Foto auf seiner Facebook-Seite. Auch die Kritik daran, dass Naidoo sich keinem nationalen Vorentscheid stellen sollte, wollte der Comedian nicht gelten lassen: "Und dann noch von fehlender Demokratie zu faseln, weil man mal einen der besten deutschen Sänger setzt für den ESC, ich glaub, mein Putin pfeift - es wurden auch früher schon Künstler für den ESC einfach bestimmt."
Schweiger reagierte auf den Post von Mittermeier und stieß in das gleiche Horn. Er sei "erschüttert", wie hier mit einem "der liebsten, lustigsten und gutmütigsten Menschen im Showbusiness" umgegangen werde. "Wo kommt dieser Hass her? Woher die Lust zu zerstören? Was hier gerade von sogenannten Leitmedien abgezogen wird, das ist eine Form von Terrorismus! Es gibt viele Nazis in diesem Land und mindestens genauso viele Schwulenhasser, kümmert Euch um DIE, denn Xavier gehört nicht dazu!!!!", echauffierte sich der Schauspieler und Regisseur von Erfolgsfilmen wie "Honig im Kopf".
NDR zieht die Notbremse
Genützt hat das nichts mehr. Gerade einmal zwei Tage hielt der zuständige Norddeutsche Rundfunk (NDR) dem Donnerwetter nach der Nominierung Naidoos stand. Jetzt verkündete ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber auf der öffentlich-rechtlich betriebenen Internetseite "eurovision.de" den Rückzieher. "Xavier Naidoo ist ein herausragender Sänger, der nach meiner Überzeugung weder Rassist noch homophob ist", erklärt Schreiber. Dennoch werde Naidoo nicht für Deutschland starten. So schnell wie möglich werde nun über das weitere Vorgehen entschieden.
Für den Sender ist das eine Blamage. Aber es ist auch eine Notbremse, die nach der Rasanz, die die Auseinandersetzung um Naidoos Nominierung aufgenommen hatte, unausweichlich erschien. "Die laufenden Diskussionen könnten dem ESC ernsthaft schaden", erklärt Schreiber. Und tatsächlich wäre man bei einem Festhalten an der Entscheidung für Naidoo nach dem Hick-Hack um Andreas Kümmerts Rückzug in diesem Jahr das zweite Mal in Folge ins Tohuwabohu geschlittert. Die Debatte um den deutschen Vertreter hätte schließlich auch während der internationalen Pressekonferenzen beim eigentlichen Song Contest in Stockholm keine Pause gemacht. Gleichwohl gibt es einen Unterschied zwischen beiden Fällen: Anders als bei Kümmerts unvorhersehbarem Spontan-Verzicht ist das Debakel - denn das bleibt der Vorgang trotz der raschen Umkehr des NDR - im Falle Naidoo hausgemacht.
Fehleinschätzung mit Folgen

Von den Reaktionen überrascht: ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber.
(Foto: picture alliance / dpa)
Indirekt gibt das auch Schreiber zu: "Es war klar, dass er polarisiert, aber die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht. Wir haben das falsch eingeschätzt." Just diese Fehleinschätzung, gepaart mit dem Vorhaben, ausgerechnet Naidoo die Mühlen eines Vorentscheids zu ersparen, aber ist der eigentliche Skandal. Die teils wirklich kruden Zitate des Sängers - und das sind mehr als 5 - haben in den vergangenen Jahren nicht nur in "Leitmedien", sondern etwa auch in schwulen Publikationen ein Echo zwischen Kopfschütteln und Entsetzen hervorgerufen. Fotos, auf denen der Sänger ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Freiheit für Deutschland" trägt, sind nicht "aus jeglichem Zusammenhang gerissen". Auch sein Auftritt vor "Reichsbürgern" und die Skepsis, mit der ihm inzwischen Politiker in seiner Heimatstadt Mannheim ebenso begegnen wie die Popakademie, sind keine Erfindung der Medien.
Dennoch: Auch Naidoos große Verdienste als Sänger, Musiker und TV-Macher sind unbestritten. Und viele, die ihm vielleicht eher Anflüge geistiger Verwirrung als wirklich ernsthaft Rassismus oder Schwulenfeindlichkeit unterstellen, hätten ihn sicher auch gerne in Stockholm gesehen. In einem Vorentscheid, in dem sich Naidoo mit all seinem Für und Wider der Abstimmung gestellt hätte, hätten die Zuschauer die Abwägung treffen können. Gerade ihn jedoch den ESC-Fans als gesetzt zu servieren, war der entscheidende Fehler. Ein Fehler, der nun einkassiert wurde, der den Sänger aber dennoch beschämt und beschädigt. Und ein Fehler, der nicht einer kritischen Öffentlichkeit angelastet werden kann, sondern denen, die seine Wirkung nicht bedacht haben.
Was bleibt, ist ein Kind, das zwar schon in den Brunnen gefallen ist, mit der Kehrtwende des NDR aber vielleicht noch rechtzeitig aufgefangen wurde. Der Schaden, der dadurch für die Betroffenen entstanden ist, ist zu bedauern. Für alle anderen indes ist die Einsicht eine Erlösung. Auch ohne Naidoo bleibt die Hoffnung: Germany, 12 points!
PS: Freundschaft ist etwas Schönes und Gutes. Dennoch sollte man auch bei Loyalitätsbekundungen darauf achten, nicht über das Ziel hinauszuschießen. Die deutsche Medienlandschaft mit "Terrorismus"-Vergleichen zu überziehen, ist nicht nur unangebracht, sondern auch geschmacklos. Und wer der Presse hierzulande pauschal "Hetze", "Willkür", "widerliche Meinungsmache" und "Faseln" von Demokratie vorhält, begibt sich ganz schnell in die Nähe der "Lügenpresse"-Schreihälse. Und das kann doch wohl niemand wollen, oder?
Quelle: ntv.de