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Kinostart von "Schindlers Liste" vor 20 Jahren Ein Blick in den Abgrund der Geschichte

Oskar Schindler (Liam Neeson) und Itzhak Stern (Ben Kingsleys) erstellen die Liste mit den zu rettenden Juden.

Oskar Schindler (Liam Neeson) und Itzhak Stern (Ben Kingsleys) erstellen die Liste mit den zu rettenden Juden.

(Foto: imago stock&people)

Ein jüdischer Kofferverkäufer, ein australischer Autor, Billy Wilder und Dinosaurier - sie alle spielen eine Rolle bei der Entstehung von "Schindlers Liste". Vor 20 Jahren bringt der Film Steven Spielberg an seine persönlichen Grenzen. Für das deutsche Publikum ist er Aufarbeitung und Mahnung zugleich.

Spielberg (l.) und Hauptdarsteller Neeson bei den Dreharbeiten in Polen.

Spielberg (l.) und Hauptdarsteller Neeson bei den Dreharbeiten in Polen.

(Foto: imago stock&people)

Die Geschichte des Films "Schindlers Liste", der vor 20 Jahren in Washington uraufgeführt wurde, beginnt in Beverly Hills. Allerdings nicht in einem der Hollywood-Studios oder bei einem Treffen von Filmschaffenden. Es ist eine zufällige Begegnung in einem Koffergeschäft, die den Grundstein legt: Der australische Autor Thomas Keneally ist im Oktober 1980 nach einer Signiertour auf dem Weg nach Hause. Doch auf dem Weg zum Flughafen macht er Halt in einem Laden - er will sich einen neuen Aktenkoffer kaufen. Das Geschäft gehört Leopold Pfefferberg. Der ist, wie Keneally erfährt, ein Holocaust-Überlebender. Er entging dem nationalsozialistischen Völkermord an den Juden, weil er auf einer Liste stand. Auf Schindlers Liste.

Ganz neu ist die Story zu diesem Zeitpunkt nicht. Schon Ende der 50er Jahre wird bekannt, dass Schindler etwa 1200 Juden das Leben rettete, indem er sie in seiner Fabrik in Krakau arbeiten ließ. Seitdem versucht Pfefferberg, die Geschichte seiner Rettung durch den deutschen Industriellen bekannt zu machen. Er erzählt sie jedem Autor und Produzenten, der sein Geschäft betritt. Ein erster Filmversuch scheitert jedoch bereits 1963. Doch Pfefferberg hat noch einen Trumpf: Um Keneally von dem Projekt zu überzeugen, zeigt er ihm zwei Kisten mit Originaldokumenten, die er in einem Hinterzimmer des Ladens verwahrt. Keneally ist interessiert. Zusammen mit Pfefferberg besucht er die Schauplätze in Polen. 1982 erscheint das Buch unter dem Titel "Schindlers Ark" (Schindlers Arche).

Der reale Oskar Schindler starb 1974 in Hildesheim. Begraben wurde er jedoch in Jerusalem.

Der reale Oskar Schindler starb 1974 in Hildesheim. Begraben wurde er jedoch in Jerusalem.

(Foto: picture alliance / dpa)

Eine Rezension des Buches landet schließlich auf dem Tisch von Regisseur Steven Spielberg. Als er Interesse an dem Stoff signalisiert, sichert sich Universal 1983 die Rechte daran. Dabei wäre Spielberg eine ungewöhnliche Wahl. Hollywoods Wunderkind hat mit "Der Weiße Hai", "Jäger des verlorenen Schatzes" und "E.T. - der Außerirdische" Meilensteine des Blockbuster-Kinos vorgelegt. Ist er der Richtige für einen Holocaust-Film? Auch Spielberg selbst hat Zweifel. Er ist 37 und fühlt sich noch nicht reif für diesen Stoff, er geht ihm zu nahe. Schließlich begleitet ihn der Holocaust seit seiner Kindheit. Die Großeltern haben ihn von der Shoah erzählt. Mit 17 Jahren erfährt er, dass Mitglieder seiner ukrainischen Familie in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Die jüdische Identität spielt in seiner Familie eine große Rolle - Spielberg wird orthodox erzogen, lernt viele jüdische Rituale kennen, ist aber auch, wie er später erzählt, antisemitischen Angriffen ausgesetzt.

Zuerst muss der Dino-Film gedreht werden

So versucht der Regisseur zunächst, Kollegen von dem Projekt zu überzeugen. Roman Polanski lehnt jedoch ab. Er, der selbst das Krakauer Ghetto überlebt und seine Mutter in Auschwitz verloren hat, ist ebenfalls noch nicht bereit für dieses Thema - 2002 wird er mit "Der Pianist" seine Kindheitserinnerungen aufarbeiten. Interesse bekundet dagegen Billy Wilder, der 1933 aus Deutschland geflohen war und viele Verwandte im Holocaust verloren hat. Schließlich wird Martin Scorsese für den Job gehandelt. Doch Spielberg lässt das Thema nicht mehr los. So entschließt er sich doch noch, selbst die Regie zu übernehmen (während Scorsese im Austausch den von Spielberg entwickelten Film "Kap der Angst" dreht). Doch bevor er sich dem Thema zuwenden kann, stellt das Studio eine Bedingung: Zuerst soll Spielberg den Actionfilm "Jurassic Park" drehen. Man befürchtet, dass er nach den sehr persönlichen und ernsten Dreharbeiten in Polen zu erschöpft für den Dinosaurier-Blockbuster sein könnte.

Zu Beginn des Films feiert Schindler (Neeson, M.) rauschende Feste mit Wehrmacht und SS - doch wandelt sich seine Einstellung.

Zu Beginn des Films feiert Schindler (Neeson, M.) rauschende Feste mit Wehrmacht und SS - doch wandelt sich seine Einstellung.

(Foto: imago stock&people)

Und kräftezehrend sind die Arbeiten in Polen. Man dreht an historischen Schauplätzen in und um Krakau. Das Konzentrationslager Plaszow wird anhand von Originalbauplänen wieder errichtet. Auf eine bereits erteilte Drehgenehmigung für Auschwitz wird jedoch aus Respekt vor den Opfern verzichtet. Stattdessen errichtet man vor den Toren des Vernichtungslagers einen Nachbau. Angesichts dieser Settings und des Themas verwundert nicht, dass bei den Dreharbeiten eine düstere, gedrückte Stimmung herrscht. So bittet Spielberg seinen Freund Robin Williams, kleine Sketch-Filme zu drehen, um die Stimmung zu verbessern. Bei Spielberg selbst wecken die Dreharbeiten Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend, sie rufen seine jüdische Identität zurück ins Gedächtnis. "Das jüdische Leben floss zurück in mein Herz", sagt er später über die Dreharbeiten. "Ich weinte die ganze Zeit." Zur Aufmunterung, so heißt es, schaut sich der Regisseur jeden Tag ein paar Folgen der Sitcom "Seinfeld" an. Zudem überwacht er per Satellitenverbindung die Fertigstellung von "Jurassic Park".

Schonungslos zeigt der Film die Brutalität der deutschen Soldaten: SS-Mann Göth (Fiennes) versucht, Rabbi Menasha Levartov (Ezra Dagan) zu erschießen. Doch die Pistole klemmt.

Schonungslos zeigt der Film die Brutalität der deutschen Soldaten: SS-Mann Göth (Fiennes) versucht, Rabbi Menasha Levartov (Ezra Dagan) zu erschießen. Doch die Pistole klemmt.

(Foto: imago stock&people)

Doch nicht nur für Spielberg sind die Dreharbeiten eine Kraftanstrengung. Mehrere Schauspielerinnen brechen während der Szene in der Dusche in Auschwitz zusammen. Mila Pfefferberg, die Frau von Leopold, erlebt einen tiefen Schock, als sie Ralph Fiennes in der Uniform des Lagerkommandanten Amon Göth sieht. Er erinnert sie zu sehr an den brutalen SS-Offizier. Spielberg hat Fiennes engagiert, weil der ihm die abrupten Wechsel zwischen Sensibilität und Boshaftigkeit zutraut. Er strahle eine "teuflische Sexualität" aus, so Spielberg. Die Rolle Schindlers, des sich zum Guten wandelnde Gegenspieler Göths, wird nach einer Absage von Bruno Ganz schnell mit Liam Neeson besetzt, der bis dahin vor allem in Theater und Film aufgetreten war. Zwar bekunden auch Kevin Costner und Mel Gibson Interesse an der Rolle, doch Spielberg bevorzugt den unbekannten Schauspieler, damit die Rolle nicht durch Starruhm überdeckt wird.

Einzelne Szenen brennen sich ins Gedächtnis

Das passt zum vergleichsweise geringen Budget von "Schindlers Liste". Technische Tricks und ausgefeilte Filmtechnik kommen nicht zum Zug. Zudem verzichtet Spielberg auf eine Bezahlung, aber nicht aus Kostengründen: Sie wäre ihm wie "Blutgeld" vorgekommen, sagt er. Während der Dreharbeiten fühlt er sich weniger als Filmschaffender, denn als Reporter. "Schindlers Liste" soll dokumentarisch wirken. Fast die Hälfte des Streifens wird mit der Handkamera gedreht. Auch das Schwarz-Weiß ist eine bewusste Entscheidung. Spielberg will ihn wie Dokumentationen aus dieser Zeit wirken lassen. Kameramann Janusz Kaminski geht es zudem um das Gefühl von Zeitlosigkeit. Der Film soll wie ein Dokument wirken, nicht Ausdruck eines Stils oder seiner Entstehungszeit sein.

Eine der erschreckendsten Szenen des Films: Lagerkommandant Göth erschießt vom Balkon aus Juden.

Eine der erschreckendsten Szenen des Films: Lagerkommandant Göth erschießt vom Balkon aus Juden.

(Foto: imago stock&people)

Vielleicht ist es dieser dokumentarische Charakter, der jene Szenen entstehen lässt, die so lange im Gedächtnis bleiben. Da sind die Augen von Schindler, die vor Arroganz und Geldgier leuchten, bevor sie die Unmenschlichkeit der Judenvernichtung erkennen. Da ist die Halle, in der die Gepäckstücke der deportierten Juden sortiert werden - Kleider, Schuhe, Schmuck und Goldzähne. Da ist das Förderband, über das die getöteten Juden des Krakauer Ghettos auf einem riesigen Scheiterhaufen landen, der einen Ascheregen über der Stadt niedergehen lässt. Da ist Göth, der zum Spaß nach dem Aufstehen vom Balkon einzelne Juden erschießt. Da sind die Frauen, die in Auschwitz unter den Duschen stehen und dem Tod ins Auge schauen. Und da ist der rote Mantel des Mädchens aus dem Krakauer Ghetto. Es ist jener Mantel, den Schindler später auf einem Leichenberg wiedererkennt und der zu seinem Umdenken beiträgt.

Kritiker bemängeln allerdings diese symbolisch aufgeladene Darstellung. Sie sehen darin die Handschrift des Hollywood-Regisseurs Spielberg. So sind etwa die Szenen, in denen Schindler und sein Buchhalter Itzhak Stern (Ben Kingsleys Rolle basiert auf mehreren realen Figuren) die Liste erstellen, sehr emotional und idealisierend inszeniert. Überlebende berichten, dass die Realität anders aussah. Marcel Goldberg, der an der Erstellung der realen Liste beteiligt war, habe sich demnach bestechen lassen, um Namen auf die Liste zu setzen und andere zu streichen.

Spielberg erhält zwei Oscars für "Schindlers Liste": als Co-Produzent und als Regisseur.

Spielberg erhält zwei Oscars für "Schindlers Liste": als Co-Produzent und als Regisseur.

Andere Kritiker bemängeln, dass der Film ein Happy End zeige, das es für sechs Millionen ermordete Juden nicht gegeben habe. Claude Lanzmann, der mit dem neunstündigen "Shoah" den Holocaust dokumentarisch verarbeitet hat, nennt "Schindlers Liste" ein "kitschiges Melodram", das die historische Wahrheit verzerre. Explizit kritisiert er, dass die Geschichte aus der Sicht eines Deutschen erzählt wird. Der Historiker Raul Hilberg berichtet von weinenden Menschen, die aus dem Kino kommen. Und doch befürchtet er, dass sie nicht um die Opfer des Holocaust weinen würden, sondern um Schindler, an dessen Grab sich am Ende des Films Überlebende und Schauspieler versammeln.

In Deutschland freilich erleichtert dies vermutlich den Zugang zum Film. Mehr als sechs Millionen Menschen sehen hierzulande "Schindlers Liste" im Kino. Doch nicht nur das: Der Film wird auch breit diskutiert, in Feuilletons und Schulklassen. Dass die Hauptfigur ein Deutscher ist, der sein Gewissen entdeckt und sich - unter Einsatz seines Vermögens und Lebens - der Tötungsmaschinerie entgegensetzt, dürfte diese Resonanz noch gefördert haben. Aber der Streifen ist Anfang der 90er noch aus anderen Gründen äußerst relevant. Spielberg gibt den Zeitzeugen noch einmal eine Stimme, bevor sie aussterben. Er will verhindern, dass der Holocaust in Vergessenheit gerät. Deshalb gründet er die Shoah Foundation, die Berichte von Holocaust-Überlebenden aufzeichnet und der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Die Opfer des Holocaust bekommen Gesichter

Zudem fördert der Film in Deutschland die historische Aufarbeitung einer neuen Generation - der Enkel. Sie sind noch nicht geboren oder zu jung, als Ende der 70er Jahre die Fernsehserie "Holocaust" in der Bundesrepublik eine breite Diskussion über den Völkermord auslöst. Krieg und Judenvernichtung kennen sie zwar aus dem Geschichtsunterricht oder von Erzählungen der Großeltern. Doch es ist Spielbergs Film, durch den die Opfer des Holocaust Gesichter bekommen, der die Vernichtung von Millionen Juden an Einzelschicksalen illustriert.

Das soll auch ein Zeichen gegen erstarkenden Ausländerhass und Antisemitismus sein: 1991 kommt es in Hoyerswerda zu rassistischen Übergriffen. Im Jahr darauf wird in Rostock-Lichtenhagen ein Asylantenheim von hunderten Randalierern belagert und angezündet. Im gleichen Jahr werden in Mölln Wohnhäuser türkischer Familien in Brand gesteckt. Neeson bringt es in einem damaligen Interview auf den Punkt: "Ich finde nicht, dass die Deutschen den Film sehen sollten, um sich schuldig zu fühlen, sondern um ihre Verantwortung zu schärfen, sich gegen die Neonazis zur Wehr zu setzen."

Und noch etwas sagt Neeson: "Dieser Film war für Steven Spielberg eine Art Wiedergeburt." Tatsächlich führt der lange innere Kampf mit dem Thema für den Regisseur zum Erfolg. Weltweit erregt "Schindlers Liste" großes Aufsehen und erhält überwiegend begeisterte Kritiken. Er gilt heute als Meisterwerk und einer der wirkungsmächtigen Filme aller Zeiten. Er wird außerdem mit sieben Oscars ausgezeichnet. Darunter ist Spielbergs erster Regie-Oscar. Hollywoods Wunderkind beweist, dass es nicht nur für unterhaltsame Blockbuster taugt - in "Der Soldat James Ryan" wird er 1998 noch einmal den Zweiten Weltkrieg zum Thema machen, mit "München" setzt er sich 2005 erneut mit seiner jüdischen Identität auseinander. Als er 1994 den Oscar für "Schindlers Liste" entgegennimmt, dankt er dem Produzenten, den Schauspielern, seiner Mutter - und Leopold Pfefferberg. "Ich stehe in seiner Schuld", sagt Spielberg. "Er hat uns allen die Geschichte von Oskar Schindler nahe gebracht."

Quelle: ntv.de

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