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Der Kriegstag im Überblick Ukraine mit Überfalltaktik im Osten - Oberbefehlshaber bestätigt Raketenangriffe auf Krim

Die Kriegsschäden in der Region Cherson sind enorm.

Die Kriegsschäden in der Region Cherson sind enorm.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Die Ukraine entfesselt kurz nach der Gegenoffensive in Cherson auch in Charkiw einen schnellen Vorstoß gegen russische Truppen - offenbar mit Erfolg. Putin rechtfertigt den Angriff auf die Ukraine und schießt gegen westliche Sanktionen. Kanzler Scholz sichert Präsident Selenskyj weitere Hilfe zu. Der 196. Kriegstag im Überblick.

Russland steht vor Drei-Fronten-Krieg

In der Ukraine wird nach britischen Angaben an mehreren Fronten heftig gekämpft: nahe der Stadt Charkiw im Nordosten, in der Region Donbass im Osten sowie im Gebiet Cherson im Süden. Die russischen Angreifer planen vermutlich vor allem, den Vormarsch auf die ostukrainische Stadt Bachmut fortzusetzen, wie das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mitteilte. Dabei stießen die Truppen aber auf Probleme. "Die Kommandeure stehen vor dem Dilemma, ob sie operative Reserven zur Unterstützung dieser Offensive einsetzen oder sich gegen fortgesetzte ukrainische Vorstöße im Süden verteidigen sollen." Die ukrainischen Vorstöße erschwerten die Lage der Angreifer, hieß es weiter.

Russland erobert kleines Dorf

Tatsächlich scheinen die ukrainischen Truppen derzeit vor allem in der Region Charkiw voranzukommen. Dort scheinen sie mit überfallartiger Taktik binnen zwei Tagen tatsächlich tief hinter russische Linien vorgestoßen zu sein. Auch wenn die ukrainische Militärführung nach wie vor zu konkreten Erfolgen schweigt, gibt es zahlreiche Fotos und Videos aus sozialen Medien. Zudem sollen auch Berichte russischer Soldaten das Vorrücken der ukrainischen Truppen bestätigen. Die Ukraine meldete allgemein Angriffe auf sieben russische Kommandoposten. Zudem seien 13 "Objekte, an denen russische Streitkräfte konzentriert sind", angegriffen worden, teilte das ukrainische Militär in seinem regelmäßigen Lagebericht mit. Wo diese Ziele liegen, blieb offen. Zudem seien in der Region Donezk im Osten russische Angriffe auf mehrere Städte abgewehrt worden, darunter Bachmut. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums sei zumindest die Siedlung Kodema im Osten der Ukraine erobert worden.

Ukraine verzeichnet mit Überfalltaktik Erfolge

Der Ukraine gelangen dagegen offenbar Vorstöße rund um die Stadt Balaklija. Nachdem bereits gestern Berichte über die Rückeroberung von Werbiwka kursierten, gab es nun Videos und Berichte über ukrainische Truppen, die die Ortschaft Bairak erobert haben sollen. Die Orte liegen nördlich und südlich von Balaklija. In den Vororten der Stadt selbst soll es bereits Gefechte geben. Balaklija ist unter anderem ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, durch den eine Eisenbahnstrecke und mehrere größere Straßen verlaufen. Bei einer Eroberung der Stadt könnten die ukrainischen Truppen leichter gegen das russisch besetzte und strategisch wichtige Isjum vorrücken. Zudem sollen ukrainischen Truppen auch weiter nördlich, in Richtung Sewtschenkowe vorgestoßen sein und auf dem Weg dorthin einige kleinere Ortschaften unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Ukrainischer Oberbefehlshaber bekennt sich zu Krim-Angriffen

Einen militärischen Blick zurück wagte der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, in einem langen, von ihm mitverfassten Bericht. Darin bestätigte er, dass die Explosionen auf der Halbinsel Krim vor einigen Wochen durch ukrainische Raketenangriffe herbeigeführt wurden. Damals war unter anderem der Flugplatz Saki beschossen worden, es wurden dabei zahlreiche Flugzeuge zerstört. Konkret schrieb er, dass der Krieg für viele "Durchschnittsrussen" aktuell weit weg sei und sie somit Verluste, Misserfolge und vor allem Kosten der Kämpfe kaum wahrnähmen. Das Ziel der Ukraine sei es gewesen, den Krieg näher an die Menschen heranzutragen. Das wäre etwa über die "erfolgreichen Raketenangriffe auf die gegnerischen Luftwaffenstützpunkte, allen voran der Flugplatz Saki" passiert.

Experte: Russische Truppen könnte im Winter Probleme bekommen

Einen Blick voraus wagte dagegen der Analyst der unabhängigen russischen Ermittlungsorganisation Conflict Intelligence Team (CIT), Kyrylo Mykhailov, in einem Interview mit NV Radio. Mykhailov zufolge deuten abgehörte Telefongespräche zwischen russischen Truppen darauf hin, dass Moskaus mobilisierte "Freiwilligen"-Truppe mit einem akuten Mangel an geeigneter Winterausrüstung zu kämpfen hat. "Ich glaube nicht, dass die russische Armee in der Lage ist, dieses Problem schnell genug zu lösen", sagte Mykhailov. Jegliche Kampfeinsätze seien im Winter schwieriger durchzuführen, fügte Mykhailov hinzu. Die ukrainische Armee erhalte jedoch Winterausrüstung "sowohl von internationalen Partnern als auch von ukrainischen Zivilisten" und habe einen "gewissen Vorteil" gegenüber den russischen Streitkräften.

"Geeintes Russland" will Referenden am 4. November abhalten

Aller militärischen Erfolge zum Trotz, ist Russland offenbar fest entschlossen, die Referenden zur Annexion ukrainischer Gebiete durchzuführen. Nachdem die geplante "Abstimmung" in der Region Cherson bereits aufgeschoben wurde, gab die Partei von Präsident Wladimir Putin, "Geeintes Russland", nun einen neuen Termin bekannt: "Es wäre richtig und symbolträchtig", ein solches Referendum am 4. November abzuhalten, dem Tag der Nationalen Einheit in Russland, erklärte Andrej Turtschak, Generalsekretär der Partei "Geeintes Russland". Nach der Abstimmung würden "Donezk, Luhansk und viele weitere russische Städte endlich in ihren Heimathafen zurückkehren". Die "russische Welt", die derzeit "formell durch Grenzen getrennt" sei, würde so "ihre Einheit zurückerlangen", fügte Turtschak hinzu.

Putin will mit Krieg eigene Souveränität stärken

Der Kremlchef selbst hat den vor mehr als sechs Monaten angeordneten Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine erneut als angeblich notwendig zum Schutz Russlands verteidigt. "Ich kann sagen, dass der hauptsächliche Zugewinn die Stärkung unserer Souveränität ist - und das ist ein unweigerliches Ergebnis dessen, was gerade passiert", sagte Putin in Wladiwostok. Mit Blick auf den Krieg fügt er an: "Wir haben (dadurch) nichts verloren und werden nichts verlieren."

Russland in Schwierigkeiten wegen westlicher Sanktionen

Dass Russland zumindest ökonomisch doch einiges verliert, gab wiederum Putin ein wenig verbrämt zu. Er sagte, die heimische Wirtschaft trotze den Sanktionen, die er als finanzielle und technologische Aggression des Westens bezeichnete. Zugleich räumte er beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok aber auch ein, dass es in einigen Branchen und Regionen Schwierigkeiten gebe. So hätten Unternehmen zu kämpfen, die auf Zulieferungen aus Europa angewiesen seien. Schuld daran sei der Westen mit seinen Sanktionen, so Putin weiter. Darum sei etwa auch die Gaspipeline Nord Stream 1 derzeit nicht in Betrieb. Der russische Energieriese Gazprom könne den ausgesetzten Gasfluss durch die Röhre wieder herstellen, wenn eine entscheidende Turbine zurückgegeben werde, sagte Putin. Vorwürfe, Russland setze Energie als Kriegswaffe ein, wies er zurück.

EU-Kommission will Gaspreis deckeln

Und gerade die Europäische Union möchte weiter an der Sanktionsschraube drehen. So dringt die EU-Kommission auf eine Preisdeckelung für russisches Gas. Präsidentin Ursula von der Leyen begründete den Vorschlag der Brüsseler Behörde mit den explodierenden Preisen. Die Einnahmen Russlands müssten reduziert werden, Präsident Wladimir Putin nutze das Geld, um den Angriffskrieg in der Ukraine zu finanzieren. Zudem will die EU-Kommission eine Deckelung auf Gewinne von Stromunternehmen einführen, die günstig produzieren könnten. Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft sollten demnach einen Solidaritätsbeitrag leisten, um die hohen Belastungen der Menschen kompensieren zu können.

Russland wirft Westen Missbrauch des Getreideabkommens vor

Neben dem "kollektiven Westen" ist Russland mittlerweile auch das mit Ukraine, Türkei und den UN vereinbarte Getreideabkommen ein Dorn im Auge. Russland behauptete, dass der Großteil des Getreides gar nicht in den armen Ländern landen würde, sondern in Europa. Tatsächlich soll mit 20 Prozent der Großteil in die Türkei gegangen sein, 15 Prozent demnach nach Spanien und 10 Prozent nach Ägypten. Insgesamt 30 Prozent würden in ärmeren Ländern landen. Allerdings waren klare Quoten nicht Gegenstand des Abkommens. Wladimir Putin kündigte bereits ein Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan an. Derweil sagte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge, dass seit Wiederaufnahme der Getreideausfuhren rund 100 Schiffe mit 2,5 Millionen Tonnen Agrarprodukten an Bord die Ukraine verlassen hätten.

Scholz sichert Selenskyj weitere Hilfe zu

Bundeskanzler Olaf Scholz telefonierte mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und tauschte sich zur militärischen, humanitären und wirtschaftlichen Lage der Ukraine und Möglichkeiten der weiteren konkreten Unterstützung, einschließlich beim Wiederaufbau, aus. Der Bundeskanzler betonte, dass Deutschland nicht nachlassen werde, die Ukraine militärisch, aber auch politisch, finanziell und humanitär zu unterstützen. In diesem Zusammenhang spricht der Bundeskanzler über die intensiven Vorbereitungen für die Wiederaufbau-Konferenz in Berlin am 25. Oktober dieses Jahres. Zum Thema Waffenlieferungen hatte sich zuvor bereits der ukrainische Waffenkoordinator, Rustem Umerov, geäußert und mehr Waffen von Deutschland gefordert. "Das bisher gelieferte deutsche Equipment reicht nicht einmal aus, um einen einzigen weiteren Monat durchzuhalten", sagte er dem "Spiegel". "Wir benötigen mindestens zehnmal so viel, und zwar von allem. Die Kampfintensität ist extrem hoch, und diese Intensität ist tödlich. Man hat uns jetzt Zusagen gemacht, dass die Industrie nachproduziere, es müssen aber noch Finanziers gefunden werden, die dann die Rüstungsindustrie bezahlen." Die Ukraine brauche weitere Haubitzen und Schützenpanzer, sowie Luftverteidigungswaffen.

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Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP/rts

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