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Untersuchungsausschuss kommt Union schießt sich auf Habeck ein - sein Gegenschlag läuft schon

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Habeck und Lemke waren beide an der Entscheidung beteiligt - dennoch nimmt die Union vor allem den Wirtschaftsminister ins Visier.

Habeck und Lemke waren beide an der Entscheidung beteiligt - dennoch nimmt die Union vor allem den Wirtschaftsminister ins Visier.

(Foto: IMAGO/Political-Moments)

Die Grünen seien die Hauptgegner in der Regierung, das sagte CDU-Chef Merz schon im vergangenen Jahr. Diesen Worten folgen immer mehr Taten. Im Zentrum der Angriffe steht Wirtschaftsminister Habeck. Nun soll es einen Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg geben. Doch der Minister weiß sich zu wehren.

Die Ampel-Koalition gleicht gerade einem Boxer, der nach einem heftigen Schlag wankt. Der Schlag, das war die desaströse Europawahl. Im Wanken droht sie nun außerdem zu stolpern: über den Haushalt für das kommende Jahr. Wenn sie den nicht zustande bekommt, ist sie am Ende. Jetzt holt die Union zum nächsten Hieb aus. Sie will einen Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg einrichten. Im Visier: Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Dabei geht es um die Zeit nach der russischen Invasion in der Ukraine, es geht um das Frühjahr 2022. Der Gaspreis explodierte, die Speicher waren leer und Energieknappheit wurde zum Staatsfeind Nummer 1. Kommen wir durch den Winter, ohne zu frieren? Das war damals die große Frage.

Konnte man sich in dieser Lage wirklich erlauben, die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke Isar II, Neckarwestheim und Emsland abzuschalten? Genau das war zum Jahreswechsel geplant. Union und FDP waren dagegen. In Zeiten drohender Energieknappheit wäre es absurd, auf die AKW zu verzichten, argumentierten sie. Die Grünen sahen das zumindest anfangs anders, insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke. Schließlich sprach Kanzler Olaf Scholz ein Machtwort und beschloss eine Verlängerung der Laufzeit bis zum 15. April 2023.

Ausgerechnet die Grünen

So weit ganz grob die Abläufe. Die Union interessiert sich nun in etwa für die Zeit zwischen März und September 2022. Damals versprachen Habeck und Lemke eine unvoreingenommene und ergebnisoffene Prüfung, ob ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke machbar sei. Genau daran hat die Union Zweifel. Dahinter dürfte ein grundsätzliches Misstrauen stehen. Würden ausgerechnet die Minister einer Partei, deren Lebensmotto von Anfang an "Atomkraft, nein danke" war, den Atomausstieg aussetzen?

Dieser Frage soll der Untersuchungsausschuss auf den Grund gehen. Es dränge sich die Schlussfolgerung auf, dass die Bundesregierung "in einer entscheidenden Frage unserer nationalen Energiesicherheit" nicht zum Wohle Deutschlands, "sondern ausschließlich nach der Logik grüner Parteipolitik" entschieden habe, schrieb CDU-Chef Friedrich Merz in einem Brief an die Unionsfraktion. Zugleich betont er, es gehe nicht um die Entscheidung an sich. Sondern nur um die Frage, wie sie zustande gekommen ist. Ob es da wirklich transparent und ergebnisoffen zuging.

Anhaltspunkte für Fragen gibt es durchaus. Die stecken in Akten, deren Freigabe das Magazin "Cicero" eingeklagt hat. Darin beschreiben Beamte, wie es möglich wäre, die AKW weiterzubetreiben. Das liest sich keineswegs so eindeutig und klar, wie Habeck und Lemke die Entscheidung noch im März darstellten. Diese von der Grünen-Linie abweichenden Meinungen könnten in den Ministerien unterdrückt worden sein - meint die Union.

Lemke und Habeck bestreiten das. Sie hätten stets im Sinne der Versorgungs- und Reaktorsicherheit entschieden, nicht nach den Wünschen ihrer Partei, beteuern sie. Im Bundestag nahmen Habeck und Lemke schon am 15. Mai Stellung zu den Vorwürfen. Er habe sich frühzeitig bei den Betreibern erkundigt, ob ein längerer Betrieb der AKW möglich sei, sagte Habeck da.

Die Antwort im Frühjahr 2022: Kommt drauf an. Die Brennstäbe seien zum Jahresende aufgebraucht, hätten die Betreiber mitgeteilt. Wenn man die Leistung herunterfahre, könnten die Meiler aber länger laufen. Unterm Strich werde aber kein zusätzlicher Strom produziert. Wozu sie dann am Netz lassen?

Stresstest bringt neue Erkenntnisse

Den Grund lieferte ein Stresstest des Netzes: In einem Extrem-Negativszenario könnten die AKW womöglich im Winter noch gebraucht werden. Daher sei es zur Entscheidung gekommen, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Aber eben nur bis zum 15. April 2023. Danach wären neue Brennstäbe benötigt worden. Deren Beschaffung hätte aber wohl mindestens bis zum folgenden Herbst gedauert.

Umweltministerin Lemke führte in der gleichen Debatte Sicherheitsbedenken an. Eine eigentlich alle zehn Jahre erforderliche "periodische Sicherheitsüberprüfung" habe bereits 13 Jahre zurückgelegen. Die hätte nachgeholt werden müssen - mit ungewissem Ausgang. Die Betreiber hätten zudem die gesamte Haftung auf den Staat abwälzen wollen. Dieses Risiko habe die Bundesregierung nicht eingehen wollen.

"Und Sie hätten es auch nicht getan", sagte Lemke in Richtung der Unionsabgeordneten im Bundestag. Dabei verwies sie auf einen Prüfvermerk vom 7. März 2022, der mit den AKW-Betreibern abgestimmt worden war. Auf dessen Grundlage entschieden sich die Minister damals gegen einen Weiterbetrieb. Der sei seitdem im Internet einsehbar - womit sie den Vorwurf der Intransparenz zu entkräften sucht.

Im ZDF sagte Habeck vergangene Woche, es sei natürlich möglich gewesen, die AKW weiterzubetreiben, wenn man es unbedingt gewollt hätte. "Das ist ja unstrittig", so der Minister. Es sei aber um die Frage gegangen, ob die geholfen hätten, Gas einzusparen. Das sei aber eben nicht der Fall gewesen. Gaskraftwerke werden kurzfristig an- und wieder abgeschaltet, wenn es Versorgungsengpässe gibt - etwa bei Windflaute oder Nacht. Atomkraftwerke können diese Aufgabe konstruktionsbedingt nicht erfüllen.

Der SPD-Politiker Helmut Kleebank sagte in derselben Debatte Mitte Mai, im Sommer 2022 seien dann etwa die Hälfte der französischen Atomkraftwerke vom Netz gegangen. Die Belieferung der deutschen Kohlekraftwerke habe sich schwierig gestaltet und Russland habe seine Gaslieferungen an Deutschland eingestellt. Die Lage habe sich also deutlich geändert. Das habe dann zur Entscheidung geführt, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Das sei tatsächlich eine politische Abwägung gewesen - aber das sei auch die Aufgabe der Politiker.

Union spricht von "Habeck-Akten"

Die Union hat offenkundig besonders Wirtschaftsminister Habeck ins Visier genommen - obwohl mit Lemke eine weitere Ministerin mit am Tisch saß. Den Untersuchungsausschuss nennen CDU und CSU "die Habeck-Akten". Das könnte den Eindruck erwecken, es seien seine persönlichen Papiere, die er unter Verschluss gehalten hatte. Es dürfte hier auch um Wahlkampf gehen. Schon CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble schrieb in seinen lesenswerten Memoiren, ein Untersuchungsausschuss habe immer auch einen "grundlegend politischen Charakter".

Wenn der Ausschuss im Sommer seine Arbeit aufnimmt und Habeck dort aussagt, wird das wie eine Gerichtsverhandlung aussehen. Habeck auf der Anklagebank. Das soll wohl auch als Munition im beginnenden Wahlkampf dienen. Bei der komplizierten Materie blickt ohnehin kaum jemand durch, darauf kann die Union vertrauen. Und ein bisschen was bleibt immer hängen. Auch wenn da vielleicht gar nichts war.

Die Sache könnte allerdings nach hinten losgehen. Wie ein Lamm zur Schlachtbank führen lassen will Habeck sich nicht. Sein Gegenangriff läuft bereits. Er geißelt nun die Energiepolitik der CDU unter Angela Merkel. Die habe Deutschland erst in die Abhängigkeit von Russland gebracht, sagt er. Er dagegen habe im kritischen Winter '22/'23 das großen Frieren in den Wohnzimmern verhindert. Munition für den Wahlkampf hat er also auch. Ziemlich gute sogar.

Quelle: ntv.de

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