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Video-Chat statt Bewerbungsmappe Betriebe müssen Stellen oft digital besetzen

Video-Chat statt Bewerbungsmappe: Unternehmen müssen Stellen in der Corona-Krise öfter digital besetzen.

Video-Chat statt Bewerbungsmappe: Unternehmen müssen Stellen in der Corona-Krise öfter digital besetzen.

(Foto: dpa-tmn)

Klassische Bewerbungs- und Einstellungsprozesse sind durch das Coronavirus nur noch bedingt möglich. Zudem werden in vielen Branchen derzeit ohnehin nicht viele Arbeitnehmer eingestellt. Da, wo händeringend nach Arbeitskräften gesucht wird, nimmt digitales Recruiting Fahrt auf.

"Ich hatte den Job zu 99 Prozent sicher, dann kam Corona dazwischen", sagt Thomas. Der studierte Maschinenbauer ist noch keine 30 Jahre alt und sucht mittlerweile in halb Deutschland nach Angeboten. Wie ihm erschwert das Virus derzeit vielen jungen Menschen die Zukunftsplanung - ebenso wie ihren potenziellen Arbeitgebern.

In der Corona-Krise stellen viele Unternehmen kaum noch neue Beschäftigte ein, besonders in stark betroffenen Branchen wie der Industrie. Hinzu kommt: Klassische Bewerbungs- und Einstellungsprozesse sind durch das Virus und die Kontaktbeschränkungen nur noch bedingt möglich. Wo noch Personalbedarf besteht, wird das Internet zur Alternative. Arbeitgeber sehen sich gezwungen, ihre Personalbeschaffung mit Nachdruck zu digitalisieren.

"Zurückhaltende" Personalplanung

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erklärt es diplomatisch: Die Personalplanung der Unternehmen sei "derzeit sehr zurückhaltend". Die Zahlen sind deutlicher: 2,4 Prozent der Betriebe in Industrie, Baugewerbe und Einzelhandel gaben in einer Schnellumfrage des DIHK an, noch zusätzliches Personal einzustellen. Etwa jede dritte Firma muss demnach Personal abbauen. In der Reisewirtschaft müssen zwei Drittel der Unternehmen Stellen streichen, im Gastgewerbe 70 Prozent, nahezu niemand stellt hier mehr ein.

Für den Handel zeichnet der Branchenverband HDE ein positiveres Bild - auch wenn die meisten Geschäfte außerhalb der Grundversorgung gerade geschlossen sind. Dafür bräuchten insbesondere Lebensmitteleinzelhändler, Drogerien und Baumärkte in Corona-Zeiten neues Personal, ebenso Logistiker. "Darum nimmt digitales Recruiting jetzt Fahrt auf bei den Unternehmen", sagt Katharina Weinert, Leiterin Berufsbildung beim HDE.

"Es wird verstärkt auf Video-Bewerbung gesetzt, insbesondere bei jüngeren Bewerbern und vor dem Hintergrund, dass jetzt eigentlich die Hauptrekrutierungszeit für Auszubildende ist", erklärt Weinert. Gerade für die großen Lebensmittelketten sei das nicht grundlegend neu, sie nutzten auch Online-Masken für die Übermittlung von Bewerbungsdaten und könnten oft auf digitale Bewerberpools zurückgreifen.

Nun verlagerten sie aber zunehmend das komplette Verfahren bis zur Einstellung ins Netz. Wer hier indes noch gar keine Erfahrung habe, "muss jetzt natürlich nachrüsten und tut sich schwerer", sagt Weinert. Insgesamt aber "gehen die Prozesse jetzt schneller".

"In der Tendenz zunehmend digital"

Auch in der Zukunftsbranche IT, die naturgemäß ohnehin empfänglicher für das digitale Arbeiten ist, werden Recruiting-Prozesse in der Krise "in der Tendenz zunehmend digital", sagt Adél Holdampf-Wendel, Arbeitsrechtsexpertin beim Digitalverband Bitkom.

Nach wie vor erwarte die Mehrheit der Branchenunternehmen steigende Beschäftigung, wenn auch in deutlich geringerem Umfang als zuletzt. Nachholbedarf besteht aber selbst hier: "Auf der Suche nach IT-Spezialisten setzten viele Unternehmen bislang noch auf persönliche Gespräche mit Bewerbungsmappe", sagt die Expertin.

Die Telekom bemüht sich laut DIHK zumindest bei Auszubildenden um einen anderen Weg und "erwartet von Bewerbern um einen Ausbildungsplatz zum Beispiel mittlerweile keine schriftlichen Unterlagen mehr, sondern macht alles über Videobewerbungsgespräche".

Zukunft ungewiss

Und auch die Deutsche Bahn, die in diesem Jahr noch bis zu 15.000 neue Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen einstellen will, verlagerte nach eigenen Angaben zuletzt "tausende Vorstellungsgespräche", Recruiting-Events und Teile ihrer Berufsausbildung ins Internet - "aus der Not heraus", wie Bahn-Chef Richard Lutz sagte.

Ob sich die virtuelle Bewerbung nach der Corona-Krise durchgesetzt haben wird, bleibt also abzuwarten. Aus Sicht von Holdampf-Wendel sollten Unternehmen die Krise "als Chance begreifen, die Digitalisierung entschlossener voranzutreiben". Digitale Prozesse, die sie jetzt einmalig aufsetzen, seien "eine gute Investition".

Laut Weinert zahlt diese sich später durch ein günstigeres und standardisiertes Recruiting wieder aus. Doch wenngleich persönlicher Kontakt mit Bewerbern auch per Video-Chat möglich sei: "Letztlich wird sich die soziale Komponente erst im Markt zeigen - wie immer, wenn man mit Menschen zu tun hat."

Quelle: ntv.de, Daniel Wolf, AFP

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