Redelings Nachspielzeit

Redelings gratuliert Schafstall Als Pele plötzlich Claus-Dieter hieß

Ein lieber Kerl, ein knallharter Hund: Rolf Schafstall.

Ein lieber Kerl, ein knallharter Hund: Rolf Schafstall.

Nun schon 80 Jahre wird Rolf Schafstall alt. Unser Kolumnist würdigt einen knallharten Fußballtrainer der alten Schule mit "stahlblauen Augen", der aber auch einmal vor seiner Mannschaft weinte - weil seine Alkoholeskapaden bestraft wurden.

Sein ehemaliger Konditionstrainer Erich Klamma beschrieb ihn einmal so: "Der Schafstall war ja auch nicht besonders groß, aber wenn der ein bisschen was getrunken hatte … Mein lieber Mann, dann war der plötzlich nicht mehr ein Meter fünfundsechzig, sondern über zwei Meter." Und als Schafstall in Dresden seinem Spieler Torsten Gütschow mitteilte: "Ihre große Zeit ist vorbei", antwortete dieser: "Das unterscheidet mich von Ihnen, Trainer. Sie haben nie eine große Zeit gehabt!" Tatsächlich hebt auch der Fußballlehrer selbst einen Moment aus seiner Karriere heraus, der bei manch einem sicherlich für Verwunderung sorgt. Schafstall war damals Trainer des VfL Bochum: "Als wir 1985 wieder drinblieben, gab mir (Max) Merkel in seiner Bewertung sechs Bälle für den Trainerjob. Das war die höchste Auszeichnung."

Als Trainer pflegte Schafstall einen sehr direkten Umgang mit seinen Spielern. Thorsten Legat erinnert sich: "Ich weiß es noch ganz genau, so etwas vergisst man nicht mehr. Ich hatte Freitagnachmittag Abschlusstraining mit der A-Jugend. Da kam Trainer Rolf Schafstall auf mich zu und sagte zu mir: Hör zu, du Vogel, du fährst heute nicht nach Hause. Du sitzt bei den Profis gegen Borussia Mönchengladbach auf der Bank. Genau so war der Wortlaut." Ansgar Brinkmann spielte unter Coach Schafstall beim VfL Osnabrück.

"Ein Tor würde dem Spiel gut tun"

Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".

Eine Zeit voller schöner Anekdoten: "Als wir mit Osnabrück mal schnell 2:0 führten, hat die Mannschaft aufgehört zu kämpfen, und Pele Wollitz und ich haben uns gedacht, alles Weitere lösen wir hier mal schön locker spielerisch." Und so stand es zur Halbzeit plötzlich 2:2. Schafstall war außer sich, fuchsteufelswild. In der Kabine faltete er Wollitz nach allen Regeln der Kunst zusammen. "Peeeele, Peeeeele", rief der Trainer, "ab sofort heißt du wieder Claus-Dieter!"

Tränen wegen Führerscheinentzug

Noch etwas hatte es Brinkmann bei Schafstall angetan. Ehrfürchtig erzählte er einmal von den "stahlblauen Augen" seines ehemaligen Trainers: "Da haste lieber weggeguckt, wenn der dich fixiert hat!" Doch der harte Hund konnte auch weinen. Eines Tages wischte sich Schafstall vor versammelter Mannschaft die Tränen aus dem Gesicht. Tief getroffen hatte er seinem Team beichten müssen, dass er wieder einmal von der Polizei bei einer seiner alkoholisierten Fahrten erwischt worden war. Leise stammelte Schafstall vor sich hin, er wüsste gar nicht, wie das passieren konnte. Das Vorbild wankte, doch Brinkmann beeindruckten die Tränen weitaus mehr als das Fehlverhalten. "Wenn der in der Kabine was gesagt hat, bist du mit dem Kopf runtergegangen. Ja nicht angucken, ja nicht angesprochen werden."

Schafstalls Kabinenansprachen sind legendär. Am 22. August 1981 beehrte der große 1. FC Köln mit Spielern wie Toni Schumacher, Rainer Bonhof,
 Tony Woodcock
 und Klaus Fischer den VfL. Damals filmte das ZDF die Pausenansprache des Bochumer Trainers: "Hömma, habt ihr das schon gemerkt, dass wir im Moment dran sind, uns selber zu schlagen? Mit langen Pässen und Schnibbeln und machen den Gegner stark, indem wir hier sagen, da hast ’n doch, spiel doch mit, Köln. Wer seid ihr schon? Die hauen euch in der zweiten Halbzeit, hauen die euch den Laden voll. Das ist Köln! Schlimm ist das mit anzugucken. Leute, eins kann ich euch sagen: Die sind kaputt, und ich habe den Eindruck, die sind kaputter als wir. Die haben die Reise, Barcelona, haben die drin, da geht kein Weg dran vorbei, das müssen wir nur ausnutzen, indem wir konzentrierter sind als Köln, weil wir mehr draufhaben, müssen wir konzentrierter sein." Das Spiel endete 3:1!

"Dat Gras ist ein bisschen hoch gewesen, was?!"

Der spätere Europameister Stefan Kuntz holte unter Schafstall die Torjäger-Kanone nach Bochum. Er erinnert sich: "Das war ein echt harter Hund. Aber im Grunde hatte der auch was Soziales. Der hat allen Spielern erlaubt, selbst Vorschläge zu machen, wer uns als Mannschaft weiterhelfen könnte. Und so haben wir munter Bekannte und Familienangehörige zum Training mitgebracht. Einmal war dann auch ein Cousin von Heinz Knüwe da. Der schien allerdings nicht seinen besten Tag erwischt zu haben. Zum Ende hin spielten wir noch elf gegen elf. Eigentlich lief alles super, doch Schafstall war mal wieder mit irgendwas überhaupt nicht einverstanden und pflaumte gerade Zumdick an. Das Spiel war unterbrochen. Jedenfalls dachten das alle - bis auf den Cousin. Der trabt munter weiter rechts die Linie entlang, versucht eine Flanke zu schlagen und schießt den Ball im hohen Bogen hinters Tor. Wir bleiben alle wie angewurzelt stehen und schauen der Kugel hinterher. Dann hörst du plötzlich nichts mehr, und der Ball donnert Schafstall genau an den Hinterkopf. Im nächsten Moment: 22 Spieler auf dem Boden beim Schuhbinden. Wir haben uns kringelig gelacht. Nachher kam Gerland zum Cousin und hat ihm seinen Arm um die Schulter gelegt: Da kannst du nichts für, Junge. Dat Gras ist ein bisschen hoch gewesen, was?!"

Filmemacher Lucas Maria Böhmer drehte damals eine Dokumentation unter dem Titel "Fußball über alles". Er erzählte vom Alltag der Spielerfrauen in den 1980er Jahren und gab einen tiefen Einblick hinter die Kulissen des VfL. Schafstall wurde aus allen Blickwinkeln beleuchtet. Vormittags auf dem Trainingsplatz, Schafstall sprach an der Kamera vorbei: "Hier bist du jeden Tag verzweifelt. Weil so viele Antifußballer dabei sind. Wenn ich das manchmal sehe, was wir hier für schwache Fußballer haben. Mann, Mann, Mann!" Die Stimme aus dem Off fragte nach: "Aber woran liegt das denn?" "Warum? Weil sie sich keine Mühe geben, Herrgott noch mal! Das ist das doch hier. Zwei, drei sind dabei, die können das. Alle anderen können es nicht, ne! So eine Scheiße ist das hier. Da kannst du alles trainieren. Jede zehnte Flanke kannst du gebrauchen. Ende, ne!"

Während Schafstall mit Trikot in der kurzen Buxe und verzweifelt ausgebreiteten Armen seine Tiraden weiter rausschrie, lief er inmitten der trainierenden Spieler über den Platz. Als von rechts der Ball an die Strafraumgrenze gespielt wurde, rief der VfL-Trainer mitten in die Szene hinein: "Ja, und jetzt?!" Ein Bochumer Spieler nahm den Ball wunderschön volley, traf ihn optimal und ballerte ihn mit einer vorbildlichen Schusshaltung – an die Latte. Schafstall hatte endgültig genug. Mit einem letzten Blick voll angestautem Ekel schaute er knapp an der Kamera vorbei und rief quer über den Platz: "Siehste?! Mann, Mann, Mann!" Der Reporter fragte mutig nach: "Und wo schöpfen Sie dann Ihre Hoffnung her?" Schafstall antwortete trotzig: "Ich hoffe, dass ich heute Abend ein vernünftiges Abendessen kriege. Das kann ich Ihnen sagen." Alles Gute, zum 80. Geburtstag, lieber Rolf Schafstall, und ein herzliches Glück auf!

Das aktuelle Buch unseres Kolumnisten Ben Redelings: "Als die Axt den Toaster warf. Die schönsten Geschichten internationaler Fußballstars" bei Amazon bestellen. Mit seinem gleichnamigen Live-Programm ist er deutschlandweit unterwegs: Infos und Tickets zur Tour.

Quelle: ntv.de

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