Gift oder sinnvolle Prävention? Fluoridhaltiges Wasser könnte IQ von Kindern senken


In Deutschland wird dem Trinkwasser nicht extra Fluorid zugesetzt.
(Foto: imago images/YAY Images)
Seit Jahrzehnten wird um Fluorid gestritten. Vor allem Eltern sind besorgt, dass ihre Kinder dadurch Schaden nehmen könnten. Nun klärt eine Übersichtsstudie aus den USA über mögliche Folgen auf – und löst damit erneut eine Debatte im Land aus.
Hohe Fluoridwerte im Trinkwasser könnten im Zusammenhang mit niedrigeren Intelligenzquotienten bei Kindern stehen. Das hat ein US-Forschungsteam um Kyla Taylor vom National Institute of Environmental Health Sciences mit einer aktuell in "JAMA Pediatrics" veröffentlichten Übersichtsarbeit herausgefunden. Durch umfassende Meta-Analysen sollte geklärt werden, inwieweit sich fluoridhaltiges Trinkwasser auf die kognitive Entwicklung bei Kindern auswirken kann.
Fluorid kann als natürlicher Bestandteil im Grundwasser oder in der Erde vorkommen. In Ländern wie den USA, Kanada und Australien wird es in weiten Teilen dem Trinkwasser zugesetzt. Durch die Fluoridierung des Wassers soll die öffentliche Gesundheit profitieren, da es den Zahnschmelz stärkt und so vor Karies schützt. Aus diesem Grund wird Fluorid auch zu Zahnpasten, Mundspülungen und Speisesalz beigefügt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR empfiehlt Fluorid als Kariesprophylaxe schon für Säuglinge und Kleinkinder, weist aber gleichzeitig darauf hin, entweder die Tabletten - die meistens mit Vitamin D kombiniert werden - oder eine fluoridhaltige Kinderzahnpasta und nicht beides gleichzeitig zu verwenden.
Der Grund: Zu hohe Dosen des Mineralstoffes bergen die Gefahr einer Vergiftung und können zu einer sogenannten Skelett- oder Zahnfluorose führen. Aus diesem Grund sollten Kinder bis zum achten Lebensjahr nicht mehr als 0,1 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht am Tag zu sich nehmen. Dieser Wert wird von der European Food Safety Authority als Tageshöchstmenge angesehen. Die Menge von 0,05 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht am Tag wird als optimale Dosis für den höchsten kariespräventiven Effekt bei geringem Fluoroserisiko bewertet.
Die Forschungsgruppe in den USA wertete in drei verschiedenen Meta-Analysen die Ergebnisse von insgesamt 74 Studien aus 10 Ländern, darunter China, Mexiko, Kanada, Indien und Dänemark, aus. Ihr Fazit: Eine höhere Fluoridexposition steht mit niedrigeren IQ-Werten bei Kindern in Zusammenhang. Die Analyse, die kein Beweis für eine Kausalität ist, liefert jedoch einen Hinweis auf eine Dosis-Wirkung-Beziehung. Das bedeutet: Je höher die Fluoridbelastung, umso stärker sanken die IQ-Punkte bei den betroffenen Kindern.
Gesamtfluoridaufnahme könnte zu hoch sein
"Es gibt Bedenken, dass schwangere Frauen und Kinder Fluorid aus vielen Quellen aufnehmen", wird Taylor von der New York Times zitiert. "Und dass ihre Gesamtfluoridbelastung zu hoch ist und die neurologische Entwicklung von Föten, Säuglingen und Kindern beeinträchtigen könnte." Tatsächlich bezogen die Forschenden eine Reihe von Untersuchungen in ihre Analysen ein, bei denen die Fluoridbelastung im Urin von Kindern gemessen und mit den Werten der IQ-Tests abgeglichen wurde. Es zeigte sich ein Verlust von 1,14 IQ-Punkten pro zusätzlichem Fluoridgehalt um 1 Milligramm pro Liter.
Auch wenn die dargestellten Auswirkungen für eine einzelne Person gering erscheinen mögen, seien die Konsequenzen auf einer größeren Skala erheblich, resümieren die Forschenden, insbesondere für jene, die aufgrund von Risikofaktoren wie Armut und Ernährung gefährdet seien. "Ein Rückgang des IQ einer Bevölkerung um beispielsweise fünf Punkte würde die Zahl der Menschen, die als geistig behindert eingestuft werden, nahezu verdoppeln", so die Schlussfolgerung.
Drei Viertel aller Menschen in den USA konsumieren Trinkwasser mit Fluorid. Das Mineral ist jedoch auch in schwarzem Tee, Kaffee, Erfrischungsgetränken sowie in bestimmten Lebensmitteln wie Rosinen, in Medikamenten und in Industrieabgasen enthalten. Keiner kann also ohne Weiteres ausrechnen, wie viel er davon aufnimmt. Und dies verunsichert - vor allem Eltern.
Kontroverse Debatte
Über die veröffentlichten Ergebnisse wird in der Wissenschaft debattiert. Zahnarzt Steven M. Levy, der an der University Iowa auch zur Präventiven Zahnheilkunde forscht und nicht an der Untersuchung beteiligt war, gab auf Anfrage seinen Standpunkt in einem Bericht zum Ausdruck, der als Leitartikel ebenfalls bei "JAMA Pediatrics" veröffentlicht wurde. "Trotz einiger Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen IQ und hohem Fluoridgehalt im Wasser auf eine nachteilige Wirkung bei den niedrigeren Fluoridgehalten, die üblicherweise (in den USA - Anm. d. Red.) verwendet werden."
Der Zahnarzt macht darin nicht nur darauf aufmerksam, dass eine Reihe der einbezogenen Studien von geringer wissenschaftlicher Qualität sei und keine einzige aus den USA komme. Levy warnte auch davor, dass nun die amerikanische Fluoridierungspolitik geändert werden müsse. "Ein Laie oder ein Politiker bei einem Wasserwerk in einer kleinen Gemeinde irgendwo im Land sieht die Ergebnisse und denkt, dass es ... Anlass zur Sorge gibt", sagte Levy laut NYT. "Doch es ist nicht so eindeutig, wie sie es darstellen wollen."
Weitere Untersuchungen sind nötig
Der Experte für öffentliche Gesundheit, Bruce Lanphear von der Simon Fraser University in Vancouver sieht das anders. Er macht in einem zweiten Leitartikel, der ebenfalls bei JAMA Pediatrics erschien, klar: "Wir müssen innehalten, … die Beweise prüfen, anstatt einfach den Kopf in den Sand zu stecken." Für ihn seien die Ergebnisse der Analyse bemerkenswert. Sie entlasteten Fluorid nicht von dem Verdacht, der kognitiven Entwicklung der Kinder zu schaden.
Studienleiterin Taylor erklärte, die Analyse solle zum Verständnis der sicheren und wirksamen Verwendung von Fluorid beitragen. Die Untersuchung sei jedoch nicht dazu gedacht, "die umfassenderen Auswirkungen der Fluoridierung des Wassers in den Vereinigten Staaten auf die öffentliche Gesundheit" zu bewerten.
Quelle: ntv.de