Städte wie Schwämme Wie wir in Zukunft bauen
05.03.2023, 07:35 Uhr Artikel anhören
Die Stadt der Zukunft muss grüner werden, um Wasser zu speichern und die Artenvielfalt zu erhöhen.
(Foto: IMAGO/Westend61)
Städtebau verschlingt kostbare Rohstoffe und stößt schädliche Klimagase aus. Forscher arbeiten an verschiedenen Lösungen: Beton soll dank Bakterien klimafreundlicher werden, Häuser sollen aus wiederverwendbaren Teilen errichtet werden. Und die Idee einer Schwammstadt soll bei Extremwetter helfen.
Das Bauen muss sich neu erfinden: Noch verschlingt der moderne Städtebau zu viele wertvolle Rohstoffe - Kupfer und Aluminium, Stahl und Kunststoff, Sand und Holz. Allein in Deutschland ist eine Masse von 50 Milliarden Tonnen verbaut, schätzt das Umweltbundesamt (UBA). Und nur ein Bruchteil davon wird nach der Nutzung recycelt. Gleichzeitig stößt der Bausektor besonders viele schädliche Klimagase aus: Fast 40 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen gehen auf ihn zurück, hat die UNO errechnet.
Damit die Architektur der Zukunft nachhaltiger wird, müssen Gebäude also anders geplant und gebaut werden: mit innovativen Konzepten und Materialien - auch aus der Wissenschaft. Architekt Dirk Hebel, Professor am Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), entwirft Gebäude, die komplett rückbaubar sind und keinen Müll produzieren an ihrem Lebensende, sondern als Materiallager für zukünftige Generationen dienen. Die Bauteile werden dafür nicht verklebt, sondern ineinander gesteckt, geklemmt oder verschraubt - so können alle Materialien nach Gebrauch vollständig wiederverwendet werden. Gleichzeitig entwickelt der Forscher CO₂-speichernde Baumaterialien, etwa Steine aus dem Wurzelwerk von Pilzen.
Beton klimafreundlicher machen
Sein Kollege Frank Dehn wiederum, Institutsleiter am KIT, will den wichtigsten Konstruktionsbaustoff überhaupt verbessern - Beton. Das Material ist auch in Zukunft unverzichtbar. Doch seine Klimabilanz muss sich radikal verbessern, treibt es doch die globale Erwärmung stark an. Denn bei seiner Herstellung fallen jährlich 2,8 Milliarden Tonnen CO₂ an, etwa acht Prozent der weltweiten Gesamtemissionen.
Hauptverantwortlich für die hohen Emissionen ist der enthaltene Zement: Er dient im Beton als Bindemittel. Bauingenieur Dehn forscht an klimafreundlichen Alternativen, etwa aus den Schlacken von Hochöfen, den Aschen aus Kohlekraftwerken oder dem Geo-Rohstoff Ton. Wird damit Beton hergestellt, setzt die Produktion deutlich weniger CO₂ frei: Dehn hält eine Halbierung der Werte für möglich. Im Gegensatz zum herkömmlichen Beton ist sein Material zudem nahezu calciumfrei - und damit widerstandsfähiger gegen Hitze, Feuchtigkeit und chemische Stoffe. "Das macht ihn insbesondere für industrielle Anwendungen interessant." Erste Pilotanlagen mit dem neuen Beton werden gerade zusammen mit der Industrie umgesetzt.
Bakterien sollen CO₂ binden
Doch Baustoffexperte Dehn denkt noch weiter: Mit dem Voranschreiten der Energiewende werden schließlich immer wenige Aschen und Schlacken anfallen, die sich als Zementersatz eignen. Der Ingenieur will deshalb auch Altbeton verwenden: Bislang wird der meist zu groben Körnern zerkleinert. Ungenutzt bleibt aber der sogenannte Brechsand, ein feines Granulat, das beim Abriss von Häusern und bei der Weiterverarbeitung des Bauschutts entsteht.
Diesen "Betonstaub" setzt Dehn als Grundstoff für ein neuartiges Bindemittel ein: Es ist versetzt mit bestimmten Bakterien, deren hoch-aktive Enzyme CO₂ binden - in Experimenten ist dies bereits geglückt. "Das würde die Klimabilanz von Beton weiter verbessern, hier steht unsere Forschung aber noch ganz am Anfang", erläutert Dehn.
Kleine Raffinerien sollen Abfälle verwerten
Altbeton, der wieder zu Beton wird und dabei sogar Klimagase schluckt: Projekte wie diese seien für die Architektur der Zukunft wegweisend, betont Daniela Thrän, Bioenergieexpertin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Denn sie stärken die lokale Kreislaufwirtschaft. Thrän analysiert die biobasierten Stoffkreisläufe seit Jahren und entdeckt doch immer wieder ungenutztes Potenzial: Städte zum Beispiel könnten ihre Abfälle und das Abwasser noch besser verwerten, wenn sie kleine Raffinerien errichten. Diese würden nicht nur Biogas für den lokalen Verbrauch gewinnen, sondern auch wertvolle Rohstoffe für die Industrie - Stickstoffe für Düngemittel etwa. Erste Tests dazu laufen in einer Kläranlage in Stuttgart unter Beteiligung des KIT.
Doch Thrän sieht Städte nicht nur als Verbraucher wertvoller Ressourcen, sondern auch als unterschätze Produzenten. Etwa von Lebensmitteln: Erste Supermärkte errichten zum Beispiel auf ihrem Dach Anlagen zur Zucht von Fischen. Direkt neben den Bottichen stehen kleine Gewächshäuser, in denen frisches Obst, Gemüse und Kräuter wachsen. Auch Privathäuser könnten künftig so geplant und gebaut werden, dass ihre Dächer und Fassaden Früchte tragen, so die Umweltingenieurin: zur Selbstversorgung der Mieterinnen und Mieter. In einigen Städten Lateinamerikas, Asiens und Afrikas wird das Prinzip bereits umgesetzt.
Städte sollen Wasser "festhalten"
Solche kleinteiligen Grünflächen bieten sogar noch weitere Vorteile: Sie helfen bei Extremwetter. Denn bei Hitze kühlen sie ihre direkte Umgebung. Und bei Starkregen nehmen sie einen Teil der Wassermassen auf und verringern so das Risiko für Überschwemmungen. Für derartige Szenarien müssen sich immer mehr Gemeinden städtebaulich rüsten, erläutert Bruno Merz, Hydrologe am Helmholtz-Zentrum Potsdam (GFZ). Denn mit dem Klimawandel steigt die Zahl der extremen Wetterlagen. "Hochwasser droht heute auch Siedlungen, die nicht an einem Fluss oder Meer liegen", so der Experte.
Die bislang übliche Form des Bauens hat diesen Negativtrend sogar noch begünstigt: Viele Gemeinden haben ihre Flächen versiegelt, um Wasser schnell abzuleiten. "Diesen Grundgedanken müssen wir ins Gegenteil verkehren und unsere Städte und Dörfer so umbauen, dass sie Wasser künftig möglichst lange festhalten", sagt Merz. Parks, Dachgärten und Grünflächen saugen sich dann bei Regen voll wie ein Schwamm. Überschüsse leiten sie weiter an verborgene Tanks - aus diesen Reservoirs können sich die Grünanlagen später bei Trockenheit versorgen. Gleichzeitig erhöhen diese bepflanzten Areale die Artenvielfalt von urbanen Räumen.
Photovoltaik an Fassaden
Das Prinzip der "Schwammstadt" wirkt so gleich gegen mehrere Folgen des Klimawandels - und lässt sich sogar mit Solaranlagen kombinieren, die gleichfalls auf die Dächer vieler Häuser drängen. Darauf weist Björn Rau, stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Photovoltaik am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) hin. Mit seinem Team berät er Gemeinden und Architekturbüros beim Einsatz von Solarzellen an Gebäuden.
"Vielen Planenden ist überhaupt nicht bewusst, wie vielfältig sich Photovoltaik heute verwenden lässt, nicht nur auf Dächern, sondern auch in Fassaden", erklärt Rau. Dort lässt sich mit ihrer Hilfe sogar besonders viel Strom gewinnen, denn gerade mehrstöckige Häuser bieten auf ihren Fassaden oft viel mehr Fläche als auf dem Dach. Insgesamt könnten mit derartige Lösungen allein in Deutschland bis zu einem Drittel des aktuellen Strombedarfs decken, ergab eine Studie.
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Quelle: ntv.de, Jenny Niederstadt/helmholtz.de