Homeoffice-Pflicht beibehalten "Ich würde meine Kinder sofort impfen lassen"
28.05.2021, 15:49 Uhr
Die Infektionszahlen sinken, genau wie die Sieben-Tage-Inzidenz. Epidemiologe Timo Ulrichs mahnt dennoch, nicht zu früh zu viel zu wollen. Gleichwohl macht er sich aufgrund der voranschreitenden Impfkampagne keine allzu großen Sorgen.
ntv.de: Die Sieben-Tage-Inzidenz ist inzwischen erfreulich niedrig. Das ist ein Trend, den wir schon seit einigen Wochen sehen. Geht das jetzt immer so weiter mit den Zahlen?
Timo Ulrichs: Ja, das wollen wir natürlich hoffen. Allerdings dürfen wir jetzt nicht die Fehler machen wie am Ausgang der zweiten Welle, als wir zu schnell gelockert und zu wenig auf die äußeren Umgebungsbedingungen geachtet haben. Wir dürfen nicht in die Gefahr kommen, dass es sich dann wieder verlangsamt und möglicherweise erneut ansteigt. Allerdings sind diesmal, am Ausgang der dritten Welle, die Bedingungen sehr viel günstiger, sodass es uns gelingen sollte, jetzt wirklich ganz nach unten zu kommen. So wie im Sommer letzten Jahres. Dann haben wir auch viel größere Chancen, die Zahlen auch unten zu halten. Weil wir nämlich die Umgebungsuntersuchungen dann wieder machen können, falls weiter Ausbrüche entstehen.
Was bedeutet denn "ganz nach unten", welche Inzidenzen sind denn da möglich?
Auf jeden Fall unter 25. Das wird ja auch angestrebt. Aber vielleicht sogar noch niedriger, ähnlich wie wir es im Sommer letzten Jahre hatten. Da ist es dann so, dass, sollte es zu Ausbrüchen kommen wie zum Beispiel in Schlachthöfen letztes Jahr, man sehr schnell eindämmen kann und auch sofort einen Überblick hat. Wenn wir zu hoch kommen mit den Zahlen oder auf höherem Niveau bleiben, dann ist das Ganze viel labiler und könnte eben nach oben wieder ausreißen. Von daher sollte man lieber vorsichtig mit den Öffnungen sein und Schritt für Schritt vorgehen, sich die Zeit nehmen, um das auch zu kontrollieren. Was gut geht, das sind immer die Außenbereiche. Wo man vorsichtig sein sollte, das ist alles, was im Innenbereich ist. Also, auch die Homeoffice-Pflicht sollte man durchaus noch eine Weile beibehalten.
Blicken wir nach Großbritannien. Dort gab es einen sehr deutlichen Abwärtstrend. Jetzt steigen dort die Zahlen wieder. Verantwortlich dafür ist in zwei Dritteln der Fälle die Variante B.1.617, als indische Mutante bekannt. Ist das etwas, was uns in Deutschland auch drohen könnte?
Das könnte bei uns auch sein. Allerdings haben wir jetzt mehrere Faktoren, die dem Ganzen entgegenarbeiten. Unter anderem die stark steigende Durchimpfungsrate und eben der Sommer. Das heißt also, dass sehr viel weniger Kontakte und Übertragungen möglich sind. Und dann kann es gelingen, dass wir diesen Wettlauf gewinnen und diese indische Variante gar keine Chance mehr hat, sich noch groß zu verbreiten.
Auch Großbritannien hat durchaus höhere Durchimpfungsraten und dort breitet sie sich trotzdem aus. Was ist denn der Grund dafür?

Der Epidemiologe Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.
(Foto: ntv)
Da muss man genau hinschauen. Die wieder ansteigenden Zahlen sind dort noch auf sehr niedrigem Niveau. Man muss jetzt gucken, was schon geöffnet worden ist. Man diskutiert in Großbritannien ja auch gerade, dass man da auch etwas vorsichtiger vorgeht, möglicherweise einige Sachen wieder zurücknimmt, um noch weiter auf der sicheren Seite zu sein. Denn auch in Großbritannien ist man nicht auf der Herdenimmunitäts-Seite sozusagen, sondern muss noch weiter impfen, um hier noch mehr Sicherheit zu bekommen.
Nun gab es den großen Impfgipfel im Kanzleramt und ein sehr strittiges Thema war die Impfung für Kinder. Man hat beschlossen, man will Kindern, wenn die Priorisierung aufgehoben ist, auch ein Impfangebot machen. Ist das aus Ihrer Sicht eine richtige Entscheidung?
Das ist eine ziemlich heikle Angelegenheit, denn die Kinder haben ja ein wesentlich geringeres Risiko für Covid-19 und vor allen Dingen für schwere Verläufe. Hier sieht die Risiko-Nutzen-Abwägung daher ganz anders aus als bei Erwachsenen und älteren Menschen. Und deswegen muss hier sehr genau geguckt werden, auch nach den Sicherheitswerten und Zahlen. Es gibt zwar schon seit einigen Wochen die Verimpfung an Kinder und Jugendliche in Kanada und den USA. Aber da liegen noch nicht genug Zahlen vor. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn wir viele Impfungen haben und auch in diesen Altersgruppen sicherer werden. Aber man muss es eben abwägen. Es ist schon richtig, dass die STIKO da zurückhaltend ist. Aus epidemiologischer Sicht wäre natürlich jede weitere Impfung zu begrüßen, aber man muss eben vor allen Dingen gucken, dass der individuelle Schutz und auch die Abwägung mit einem möglichen Risiko genau betrachtet werden.
Aber wenn die STIKO jetzt die Impfung für alle Kinder nicht empfiehlt, dann hat das doch Auswirkungen, auch auf die Kinderärzte und Kinderärztinnen. Glauben Sie denn, dass in Deutschland dann Kinder zwischen 12 und 15, vorausgesetzt die Zulassung kommt jetzt, tatsächlich geimpft werden können, auch wenn die STIKO keine Empfehlung ausspricht?
Wenn die Zulassung da ist und der Impfstoff an Kinder verimpft werden kann, dann ist es durchaus grundsätzlich möglich und dann könnte man das öffnen, auch wenn die Empfehlung nicht vorliegt. Das liegt dann in der Entscheidung der Kinder und der Eltern, was man da macht.
Lässt man die Eltern damit nicht ziemlich alleine? Was würden Sie denn empfehlen? Würden Sie Ihre Kinder impfen lassen?
Ich würde meine Kinder sofort impfen lassen.
Der Bundesgesundheitsminister sagt, er wünsche sich, dass in den Sommerferien alle Schülerinnen und Schüler geimpft werden könnten. Ist er da ein bisschen weit vorgeprescht?
Möglich wäre das. Und sinnvoll wäre es angesichts der aktuellen epidemiologischen Lage auch. Es darf nur nicht sein, dass Geimpfte und Ungeimpfte, dass da bei den Kindern und Jugendlichen nach den Sommerferien irgendwelche Unterschiede gemacht werden bei der Zulassung zum Präsenzunterricht. Je mehr Kinder und Jugendliche geimpft sind, desto stabiler und sicherer ist die epidemiologische Lage in Schulen und Kitas. Und dann kann man das Ganze sicherer offenhalten. Das ist ja das Bestreben, dass wir den Schulbetrieb wieder regelmäßig einrichten, dass wir nicht noch weitere Nachteile durch die Pandemie in Kauf nehmen müssen.
Aber Hygienekonzepte, Abstand und Maske wird es wahrscheinlich noch länger geben, auch in den Schulen, oder was denken Sie?
Ja, das wird es sicherlich noch eine Weile geben. Wir brauchen alle diese Einzelmaßnahmen, die dann in der Summe dazu beitragen, dass wir nicht noch einmal erleben, dass wir in eine weitere Welle reinlaufen. Das Risiko dazu wird immer geringer, trotzdem könnte es sein, dass wir im Herbst nochmal eine kleine Welle sehen, eben abhängig davon, wie weit wir mit der Durchimpfung bis dahin vorangeschritten sein werden. Und da wäre es wünschenswert, wir könnten die Schulen wenigstens sicherer haben.
Mit dem Epidemiologen Timo Ulrichs sprach Doro Steitz
Quelle: ntv.de