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"Sex darf kein Wegwerf-Artikel werden" Immer öfter Chlamydien, Syphilis und Tripper

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Jeder, der eine sexuelle Beziehung eingeht, sollte sich bewusst machen, mit wem er sich einlässt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Seit dem Jahr 2000 wächst die Anzahl der sexuell übertragbaren Krankheiten. Warum es zu diesem Anstieg kommt, wie man sich auch beim Küssen infizieren kann und weshalb Sex nicht zum Wegwerf-Artikel werden sollte, erklärt Professor Dr. Norbert Brockmeyer, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Dermatologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum und Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit (DSTIG) in einem Gespräch mit n-tv.de.

n-tv.de: Prof. Brockmeyer, machen Sie sich Sorgen in Bezug auf den Anstieg von sexuell übertragbaren Infektionen in den letzten Jahren?

Was sind STI?

STI ist die Abkürzung für sexually transmitted infections, also alle sexuell übertragbaren Infektionen. Mit STI werden Krankheiten bezeichnet, die auch oder hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr oder andere sexuelle Spielarten übertragen werden.
Als Geschlechtskrankheiten dagegen werden nur jene bezeichnet, für die es eine gesetzliche Meldepflicht an die Behörden durch den behandelnden Arzt gibt oder gab.
Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten, aber auch Urologen oder Gynäkologen sind die richtigen Anlaufstellen für Betroffene.
Als klassische sexuell übertragbare Infektionen werden Syphilis, Gonorrhoe, Ulcus Molle und Lymphogranuloma venereum eingestuft. Zu den neueren STI gehören HIV und AIDS, Hepatitis B, Herpes genitalis, Chlamydien, Trichomanden, Filzläuse und Krätze oder auch die Infektion mit Humanen Papillomaviren (HPV).

Prof. Brockmeyer: Zuerst einmal können wir Erfolge verzeichnen bei der Ansteckungsrate mit HIV, denn dort sind die Infektionszahlen in Deutschland mit rund 3000 im Jahr seit etwa fünf Jahren konstant geblieben. Bei allen anderen sexuell übertragbaren Krankheiten hingegen ist es vor allem in den letzten zehn Jahren zu einem enormen Anstieg gekommen. Ich persönlich mache mir keine Sorgen, denn die helfen ja keinem. Wir müssen uns vielmehr zusätzliche Strategien überlegen, damit diese Zahlen in Zukunft nicht weiter steigen. Dazu gehört beispielsweise, dass wir als DSTIG aktiver und klarer die Präventionsbotschaften an die Menschen bringen müssen. Die Schwierigkeit daran ist allerdings, dass es sich um viele verschiedene Infektionen mit unterschiedlichem Infektionsrisiko und verschiedenen Krankheitsbildern handelt.

Welche Gründe gibt es für die steigenden Infektionszahlen?

Wir sehen derzeit immer mehr Menschen, die mit einer Chlamydien-, HPV-, Gonorrhoe- oder Syphilis-Infektion im Mund-Rachenraum kommen. Das ist unter anderem ein Ergebnis der Aussage "Oral-Sex ist safe", wenn man kein Sperma schluckt und einige andere Dinge beachtet. Diese Aussage galt natürlich nur für HIV- und nicht für die anderen ST-Infektionen. Wir haben uns bis zur Jahrtausendwende ganz stark auf die HIV-Prävention konzentriert. Das war auch richtig. Nun allerdings muss sich der Fokus öffnen und unsere Botschaften differenzierter werden. Das ist nicht einfach.

Werden denn weniger Kondome benutzt?

Ich denke nicht, denn die Verkaufszahlen sind in den letzten Jahren sogar etwas angestiegen. Menschen sind in den letzten 20 bis 30 Jahren verschiedenen sexuellen Praktiken gegenüber offener geworden. Oral-Sex, Anal-Verkehr in heterosexuellen Partnerschaften und der Gebrauch von Sex-Spielzeug wären vor 30 Jahren für die Mehrheit noch undenkbar gewesen. Diese Entwicklung erleichtert den Erregern, ihren Weg in den anderen Körper zu finden, so dass die Infektionsrate ansteigt. Zudem haben immer mehr ältere Menschen Sex, auch mit verschiedenen Partnern. Unter schwulen Männern gibt es einen geringen Anteil, der Probleme hat, sich selbst vor sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen. Weil die Präventionsbotschaften nicht verstanden werden und weil sie sich deshalb in einer falschen Sicherheit wähnen. Diese Männer tragen natürlich auch zur Verbreitung von STI bei.

Es wird auch immer wieder von einer Übersexualisierung der Gesellschaft gesprochen. Was ist denn damit gemeint?

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Immer öfter greifen Paare zum Sex-Spielzeug.

(Foto: picture alliance / dpa)

Sex gibt es, solange es die Menschheit gibt. Genauso lange gibt es auch sexuell übertragbare Krankheiten. Allerdings ist der Umgang mit Sex tatsächlich ein anderer geworden, als vor 30 oder 40 Jahren. Einerseits ist Sexualität in den letzten Jahren zu einem allgemeinen Take-away-Artikel geworden. Dazu tragen Pornos, Blinddates übers Internet und solche menschenverachtenden Dinge wie Flatrate-Ficken oder Billig-Strichs bei. Dieser in meinen Augen Pseudofreiheit steht jedoch eine totale Tabuisierung der individuell gelebten Sexualität gegenüber. Es redet heute kein Mensch darüber, dass er Probleme hat, eine Erektion zu bekommen. Paare verheimlichen, dass sie keine Kinder kriegen können. Also auch die einfachsten Dinge sind tabuisiert. Dazu gehören natürlich auch alle sexuelle übertragbaren Infektionen.

Welche sexuell übertragbare Krankheiten sind in Deutschland derzeit die häufigsten?

An erster Stelle stehen die Chlamydien-Infektionen mit rund 100.00 Fällen pro Jahr, danach folgt Herpes simplex mit zirka 80.000. Mit Gonorrhoe, umgangssprachlich auch als Tripper bezeichnet, stecken sich jährlich ungefähr 16.000 Menschen an. Die Infektion mit Humanen Papillomaviren (HPV) trifft 80.000 Menschen. Rund 60 Prozent aller jungen Männer und Frauen haben eine HPV-Infektion, insbesondere auch im Anal- und Rachenbereich. Vor allem die Zahl der Syphilis-Infizierten hat sich in letzter Zeit erhöht, von 2000 bis 2012 von 860 auf 4600 Fälle im Jahr. Im letzten Jahr kam es zu einem Anstieg um 22 Prozent.

Haben die sexuell übertragbaren Infektionen an Schrecken verloren?

Ich denke nicht, dass Angst ein guter Berater ist, um Prävention zu betreiben. Angst im Zusammenhang mit Sexualität zu verbreiten, ist etwas, was auch nicht funktionieren kann. Es muss vielmehr um weitreichende, aber unkomplizierte und einfach zu verstehende Aufklärung gehen. Wir sehen zunehmend junge Menschen, die sich infizieren, oftmals weil Infektionen mit Chlamydien oder HPV schon beim ersten sexuellen Kontakt passieren können. Zudem, weil die meisten Menschen, die erste sexuelle Erfahrungen sammeln, gar nicht wissen, womit sie sich infizieren könnten. Es geht darum, aufzuklären, was Chlamydien sind. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Infektionen meist ohne jede Art von Symptomen einhergehen. Die Betroffenen wissen also gar nicht, dass sie infiziert sind. Das macht sowohl die Aufklärung schwerer, als auch die Prävention der Verbreitung. Zudem sollten in Deutschland alle heranwachsenden Kinder, also Mädchen und Jungen, über HPV aufgeklärt und geimpft werden.

Fehlt es in Deutschland an Aufklärung?

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Im vergangenem Jahr startete die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ihre neue Kampagne "Mach's mit", die der Gesundheitsminister Daniel Bahr präsentierte.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ja, denn viele glauben, dass man sich nur beim klassischen Sex, also bei der Penetration, mit sexuell übertragbaren Krankheiten anstecken kann. Das stimmt natürlich nicht. Es geht darum, klar zu sagen, dass man sich bei allen sexuellen Spielarten, also Oral-Sex, Petting und durch den Gebrauch von Sex-Toys, infizieren kann. Zudem geht es darum, sexuell übertragbare Krankheiten aus der Schmuddel-Ecke zu holen, in der sie sich befinden. So wie jeder einen Schnupfen bekommen kann, so kann auch jeder, jede, der sexuell aktiv ist, eine  Chlamydien oder HPV-Infektion bekommen.

Kann man sich denn auch über die Hände oder durch das Küssen mit eigentlich sexuell übertragbaren Krankheiten anstecken?

Natürlich! Durch einen Kuss oder Handschlag kann man Syphilis oder Gonorrhoe bekommen. Bei der Syphilis bildet sich ja ein sogenanntes Ulkus, in dem sich die Krankheitserreger befinden. Wenn Sie beim Küssen Kontakt zu diesem Ulkus haben, dann haben Sie sich schon beispielsweise über die Lippen angesteckt.

Sind die Erkrankungen, die kaum oder nichtspürbare Symptome haben, langfristig

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Professor Norbert Brockmeyer.

am gefährlichsten?

Ja, und im Prinzip können das alle STI sein. Es ist abhängig davon, wo sich die Infektion im  Körper befindet. Anal und im Mund-Rachenraum machen die wenigsten sexuell übertragbaren Krankheiten lokale Symptome. Das ist ein großes Problem. Chlamydien-Infektionen machen auch vaginal keine Symptome. Das führt nicht nur dazu, dass die Infektionen weitergegeben werden, sondern auch, dass die Betroffenen chronische Erkrankungen bekommen. Diese können zu aufsteigenden Infektionen werden und zu schwerwiegenden Entzündungen, die wiederum bis hin zu ungewollter Kinderlosigkeit und zu verschiedenen Formen von Krebs zum Beispiel bei HPV-Infektionen führen können.

Was würden Sie denn einem jungen Menschen in Bezug auf STI raten?

Es geht nicht darum, mit erhobenem Zeigefinger daherzukommen oder Angst zu verbreiten. Sexualität ist vor allem für Heranwachsende ein großer Anreiz und ein Bereich, in dem sie Erfahrungen machen sollen. Das ist die Voraussetzung. Es muss also deutlich gemacht werden, dass Sexualität etwas Wertvolles und Tolles ist, das man aber auch mit einer gewissen Vorsicht handhaben sollte. Dazu gehört, Verantwortung für die eigene und besonders auch Gesundheit des PartnersInn zu übernehmen, die Anwendung von Kondomen zu üben und man muss auch lernen, darüber zu reden, was man macht. Dafür müssen die Jugendlichen aufgeklärt werden. Das ist genauso wichtig wie das Lernen von mathematischen Lösungswegen.

Es geht also nicht nur um Aufklärung, sondern auch um ein Bewusstsein?

Richtig, und zwar in allen Bereichen unseres Lebens. So wie man sich bewusst entscheiden sollte, was man isst oder wie man lebt, so sollte man sich auch bewusst mit seiner Sexualität auseinandersetzen. Ansonsten wird auch dieser sehr schöne Bereich in unserem Leben zum austauschbaren Wegwerf-Artikel mit weitreichenden Folgen für alle.

Mit Professor Norbert Brockmeyer sprach Jana Zeh

Quelle: ntv.de

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