Ärzte fangen Scheiden-Keime auf Kaiserschnitte sind für Kinder zu steril
05.02.2016, 21:32 Uhr
Der Kontakt mit dem Vaginalsekret der Mutter ist für die Kinder bei der Entbindung wichtig.
(Foto: picture alliance / dpa)
In Deutschland kommt etwa jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt. Allerdings befinden sich im Geburtskanal Bakterien, die für den Aufbau eines funktionierenden Immunsystems wichtig sind. Ärzte finden eine Methode, wie man beides miteinander verbinden kann.
Kaiserschnitt oder natürliche Entbindung? Vor dieser Entscheidung stehen viele Frauen gegen Ende ihrer Schwangerschaft. In Deutschland kommt etwa jedes dritte Kind per Sectio zur Welt – mit möglicherweise gravierenden Folgen. Experten gehen davon aus, dass die sterile Geburt per Bauchschnitt die Entwicklung des Immunsystems beeinträchtigt und die spätere Neigung zu Autoimmun-Erkrankungen verstärkt. US-Mediziner haben nun in einer Studie einen Weg untersucht, Kaiserschnitt-Kinder mit Bakterien aus der mütterlichen Scheide zu versehen – und so eventuell vor späteren Problemen zu bewahren.
Der Gynäkologe Frank Louwen von der Universitätsklinik Frankfurt am Main spricht von einem wichtigen Ansatz. Er vergleicht den Darm eines Babys im Mutterleib mit einer Wiese: "Der Erste, der dort hinkommt, findet seinen Platz", sagt das Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Während der Stunden im Geburtskanal kommt das Kind, dessen Darm anfangs noch steril ist, in Kontakt mit den Bakterien in der mütterlichen Scheide, die teils identisch mit Darmkeimen seien. "Wenn das Kind geboren ist, ist sein Darm bereits übersät mit den Bakterien der Mutter."
Mutter-Keime wichtig für Immunsystem

Kaiserschnitt-Kinder sind im späteren Leben anfälliger für Allergien, Asthma, Diabetes-1 und Fettleibigkeit.
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Ganz anders bei einem Kaiserschnitt: Dort kommt das Kind zuerst mit Keimen von der Haut von Mutter und Krankenhauspersonal in Kontakt. Zwar ist ein ursächlicher Zusammenhang zu späteren Erkrankungen schwer nachweisbar, doch Experten gehen davon aus, dass ein verändertes Mikrobiom – die Gemeinschaft der Mikroorganismen – eine entscheidende Rolle für die Entwicklung des Immunsystems spielt.
Dass Kaiserschnitt-Kinder im späteren Leben anfälliger für Allergien, Asthma und Diabetes-1 sowie auch für Fettleibigkeit (Adipositas) sind, zeige inzwischen eine ganze Reihe von Studien, sagt Louwen. So ist das Risiko für spätere Adipositas um etwa 34 Prozent erhöht, wie kanadische Forscher voriges Jahr nach einer Metaanalyse im Fachblatt "Obesity Reviews" berichteten.
Louwen überrascht das nicht: "Möglicherweise bereitet die Mutter ihr Kind während der Geburt auf die neue Umwelt vor", sagt er. "Dann würden wir dem Kind durch die Sectio etwas vorenthalten, was die spätere Gesundheit fördert."
Kinder mit Vaginalsekret einreiben
In einer aufwendigen Pilotstudie haben Forscher der New York University nun geprüft, wie sie Babys nach einem Kaiserschnitt mit dem Mikrobiom der Mutter in Kontakt bringen können: Dazu legten sie in der Stunde vor der Sectio sterilen Mull in die Scheide der Mutter. Schon in den ersten beiden Minuten nach der Geburt rieben sie Mund und Körper des Kindes damit ein, wie sie im Fachblatt "Nature Medicine" berichten.

Nach dem Kaiserschnitt wurde die Kinder mit den Scheiden-Keimen der Mutter eingerieben.
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Im folgenden Monat analysierten sie bei diesen Babys die Entwicklung des Mikrobioms – auf dem Körper, im Mund und im Darm. Die Bakteriengemeinschaften verglichen sie mit denen von natürlich entbundenen Kindern sowie von Babys, die nach einem Kaiserschnitt zur Welt gekommen waren.
Tatsächlich war über den gesamten Zeitraum das Mikrobiom der eingeriebenen Kinder sowohl auf der Haut als auch in Mund und Verdauungstrakt mit Scheidenbakterien angereichert. Zwar nicht in gleichem Maß wie bei jenen Babys, die auf natürlichem Wege zur Welt gekommen waren, aber wesentlich stärker als bei den anderen Kaiserschnitt-Kindern. Dies betraf etwa die Gattungen Lactobacillus und Bacteroides, deren positiver Einfluss auf den Darm und auch auf das sich entwickelnde Immunsystem als gesichert gilt. Bei den klassischen Kaiserschnitt-Kindern ähnelte die Bakteriengemeinschaft dagegen jener auf der Haut der Mutter.
"Unsere Studie zeigt erstmals, dass man bei Babys nach einem Kaiserschnitt das Mikrobiom partiell herstellen kann", wird Hauptautorin Maria Dominguez-Bello von der New York University in einer Mitteilung der Hochschule zitiert. "Da inzwischen ein Drittel der Babys in den USA durch Kaiserschnitt zur Welt kommt, wird die Frage immer drängender, ob das grundlegende Mikrobiom eines Kindes das spätere Erkrankungsrisiko beeinflusst."
Größere Studie in Planung
Allerdings sei die Zahl der Teilnehmer gering, räumen die Forscher selbst ein. Insgesamt hatten sie 18 Kinder untersucht, von denen sieben auf natürlichem Weg zur Welt kamen. Vier der elf Kaiserschnitt-Kinder wurden mit dem eingelegten Mull bestrichen. "Größere Studien, die die Wirkung des wiederhergestellten Mikrobioms auf die Gesundheit messen, könnten die Frage beantworten, ob dies ein künftiges Erkrankungsrisiko abwendet oder nicht", sagt Dominguez-Bello. "Die aktuelle Studie zeigt aber, dass das Prinzip machbar ist und dass die Methode verdient, weiterentwickelt zu werden."
"Das ist ein toller Ansatz und eine starke Arbeit", sagt Louwen. "Wir leben in Symbiose mit unseren Bakterien." Der Mediziner startet derzeit eine größere Studie zu diesem Ansatz. Daran sollen 60 Mütter mit ihren Kindern teilnehmen. Die Kleinen werden dann ein Jahr lang regelmäßig untersucht. Erste Resultate erwartet Louwen im kommenden Jahr.
In einem "Nature"-Kommentar schreibt Alexander Khoruts von der University of Minnesota in Minneapolis, die erste Lebensphase eines Menschen sei möglicherweise eine entscheidende Zeit für das Immunsystem, mit lebenslangen Folgen. Nun brauche man größere Studien, um gesundheitliche Effekte zu prüfen, betont er.
Dies sei zwar sehr aufwendig, aber angesichts des starken Anstiegs chronischer Erkrankungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts notwendig. "Das Team um Dominguez-Bello hat einen wichtigen ersten Schritt unternommen, eine aktive Intervention zu entwickeln, die eines Tages Neugeborene mit mikrobiellen Partnern vertraut macht und eine lebenslange gesunde symbiotische Beziehung ermöglicht", betont Khoruts.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa