Ungewollte Vergehen Kriminelles Verhalten kann Frühzeichen für Demenz sein
02.09.2025, 19:04 Uhr Artikel anhören
Besonders im Frühstadium von Demenz können sich Betroffene kriminell verhalten.
(Foto: IMAGO/Zoonar II)
Wenn Substanz im Gehirn verloren geht, kann das auch zu Veränderungen des Verhaltens führen - manche Betroffene werden sogar kriminell. Bei welchen Erkrankungen des Gehirns ein besonderes Risiko besteht, findet ein Forschungsteam heraus.
Menschen, die an einer neurodegenerativen Erkrankung leiden, zeigen im Frühstadium häufiger kriminelles Risikoverhalten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Das hat ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften herausgefunden. Im weiteren Verlauf der Erkrankungen sinkt das kriminelle Verhalten jedoch wieder unter das Bevölkerungsniveau.
Für die Untersuchung hat das Team um Matthias Schroeter und Lena Szabo 14 Studien mit insgesamt 236.360 Personen aus den USA, Schweden und Finnland, Deutschland und Japan ausgewertet. "Mit der Metaanalyse, die erstmals systematisch und quantitativ potenzielles kriminelles Verhalten bei Demenzsyndromen untersucht, wollten wir das Bewusstsein für dieses Problem schärfen" sagte Schroeter laut Mitteilung des Instituts.
Als kriminelles Risikoverhalten definieren die Forschenden jedes "Verhalten, das anderen Menschen (oder Tieren) Schaden zufügt oder fremdes Eigentum, einschließlich öffentlichem Eigentum, beschädigt. Genauer gesagt wurden Verhaltensweisen wie Belästigung, Bedrohung, Gewalt, sexuelle Übergriffe bis zu Diebstahl, Verkehrsverstößen, illegalem Warenbesitz und Mord als kriminell angesehen. Darüber hinaus wurden Verhaltensweisen wie öffentliches Urinieren und unsittliche Entblößung in der Öffentlichkeit als kriminelles Verhalten angesehen, da sie gegen die Gesetze der Region verstoßen, in der die Studie durchgeführt wurde, schreiben die Forschenden zu ihren Ergebnissen im Fachmagazin "Nature". Bei den meisten Straftaten, die für die Untersuchung relevant waren, handelte es sich um geringfügige Vergehen wie unangemessenes Verhalten, Verkehrsdelikte, Diebstahl und Sachbeschädigung. Aber auch körperliche Gewalt oder Aggressionen kamen in einigen Fällen vor.
Höchster Wert bei seltener Demenzform
Das Team konnte anhand der Ergebnisse zeigen, dass kriminelles Verhalten unterschiedlich oft bei bestimmten Erkrankungen des Gehirns auftrat. Der größte Anteil wurde bei denen, die an der sogenannten frontotemporalen Demenz litten, zu sehen. Die Forscher und Forscherinnen sprechen von einer Prävalenz von mehr als 50 Prozent. "Kriminelles Risikoverhalten bei frontotemporaler Demenz wird höchstwahrscheinlich durch die neurodegenerative Erkrankung selbst verursacht. Die meisten Patienten zeigten zum ersten Mal in ihrem Leben kriminelles Risikoverhalten und hatten zuvor keine Vorstrafen", wird Schroeter zitiert.
Auch bei Personen, bei denen später die primär progressive Aphasie, diagnostiziert worden ist, gab es kriminelles Risikoverhalten. Bei der Erkrankung handelt es sich um eine Variante der Demenz, bei der es zu Beginn zu einer schleichenden Verschlechterung der Sprachfähigkeiten, beispielsweise Wortfindungsstörungen, kommt. Dabei gibt es keine erkennbaren Ursachen dafür. Bei anderen Demenzformen waren die Anteile der Betroffenen wesentlich geringer. Den niedrigsten Prävalenz-Wert ermittelten die Forschenden für Parkinson-Betroffene.
Zudem gibt es klare Unterschiede zwischen den Geschlechtern. "Wir haben auch festgestellt, dass kriminelles Risikoverhalten bei Männern mit Demenz häufiger auftritt als bei Frauen. Nach der Diagnose zeigten Männer viermal häufiger kriminelles Risikoverhalten als Frauen mit frontotemporaler Demenz und siebenmal häufiger als Frauen mit Alzheimer-Krankheit."
Veränderungen im Gehirn
Um diese Erkenntnisse physiologisch zu untermauern, schauten sich die Fachleute in einer weiteren Untersuchung die Gehirne von Personen mit kriminellem Verhalten und frontotemporaler Demenz genauer an. Dabei stellten sie Veränderungen fest. Der Hirnschwund im Temporallappen, der auch für die Verarbeitung und Kontrolle von Emotionen beteiligt ist. Für die Forschenden ist denkbar, dass kriminelles Verhalten durch eine sogenannte Enthemmung verursacht werden könnte, was zu einer verminderten Fähigkeit führt, das eigene Verhalten, Impulse und Emotionen zu regulieren.
Die Erkenntnisse der Untersuchungen weisen darauf hin, dass kriminelles Verhalten ein Frühzeichen für neurodegenerative Erkrankungen, besonders aber für die seltene frontotemporale Demenz sein kann. Die Forschenden rufen diesbezüglich zu mehr Sensibilität in der Gesellschaft auf. Neben der Frühdiagnose und Behandlung der Betroffenen müsse man auch über Anpassungen im Rechtssystem diskutieren, resümiert das Team.
Quelle: ntv.de, jaz