Kosmisches Phänomen Vielen Galaxien geht einfach das Gas aus
23.09.2021, 17:21 Uhr
Bild des Galaxienhaufens MACSJ 0138. Am hellen orangeroten Punkt, der auf kalten Staub hinweist, können Forscher die Menge des kalten Wasserstoff-Gases bestimmen, das für die Bildung von Sternen erforderlich ist.
(Foto: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)/S. Dangello (NRAO), STScI, K. Whitaker et al/dpa)
Seit ein paar Jahren schon grübeln Astronomen über ein seltsames Phänomen: Bei vielen Galaxien im jungen Kosmos endet die Sternentstehung abrupt. Nun liefern Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop "Hubble" und der Radioteleskop-Anlage ALMA Hinweise auf die Ursache.
Vor knapp einem Jahrzehnt stießen Astronomen auf ein kurioses Phänomen: Bei etwa der Hälfte aller großen Galaxien im jungen Kosmos kommt die rasante Entstehung von Sternen etwa drei Milliarden Jahre nach dem Urknall ganz plötzlich zum Erliegen.

Die schlummernde Riesengalaxie in der Bildmitte ist 10 Milliarden Lichtjahre entfernt.
(Foto: ESA/Hubble & NASA, A. Newman, M. Akhshik, K. Whitaker/dpa)
Nun liefern Beobachtungen eines Forscherteams mit dem Weltraumteleskop "Hubble" und der großen Radioteleskop-Anlage ALMA in Chile Hinweise auf die Ursache für dieses Erlöschen: Den Galaxien geht offenbar das Gas aus, das sie für die Produktion neuer Sterne benötigen. Was zu diesem Mangel führt, bleibe allerdings mysteriös, da es in der Umgebung der Sternsysteme reichlich Gas gebe, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt "Nature".
"Die größten Galaxien im Kosmos haben ihre Sterne nach dem Urknall in bemerkenswert kurzer Zeit produziert", erklärt Katherine Whitaker von der University of Massachusetts in Amherst in einer Mitteilung. "Jeweils etwa 100 Milliarden Sterne in einer Milliarde Jahren." Das sei kein Wunder, so die Astronomin, denn damals war der Rohstoff für die Bildung von Sternen - Wasserstoff-Gas - reichlich vorhanden. Durch diese geradezu explosionsartige Sternentstehung leuchten die Galaxien hell auf und sind selbst über viele Milliarden Lichtjahre hinweg mit irdischen Teleskopen gut zu beobachten.
"Den Galaxien geht der Nachschub aus"
Umso überraschter waren Astronomen, als sie auf große Galaxien im jungen Kosmos stießen, die nur schwach leuchten - und in denen demnach kaum noch neue Sterne entstehen. Ursprünglich dachten die Himmelsforscher, ein unbekannter Effekt habe in diesen Systemen die Sternentstehung sozusagen ausgeblasen. "Doch das ist nicht korrekt", so Whitaker. "Unsere Beobachtungen zeigen, dass den Galaxien vielmehr der Nachschub ausgeht." Die verloschenen Galaxien enthalten 100 Mal weniger Wasserstoff-Gas als vergleichbare Systeme mit rasanter Sternentstehung.
Um den verloschenen - und damit leuchtschwachen - Galaxien auf die Spur zu kommen, griffen Whitaker und ihre Kollegen nicht nur auf große Teleskope zurück, sondern machten sich zusätzlich ein natürliches Phänomen zunutze: die Vergrößerung der Galaxien durch eine Gravitationslinse. Ein zwischen den weit entfernten Galaxien und der Erde liegender Galaxienhaufen lenkt dabei deren Licht ab. "Der Galaxienhaufen wirkt also wie ein natürliches Teleskop", erläutert Ko-Autor Justin Spilker von der University of Texas. "Dadurch erscheinen die verloschenen Galaxien größer und heller - und dadurch können wir sehen, was in ihnen vorgeht."
Ohne Wasserstoff-Gas keine neuen Sterne
Insgesamt sechs verloschene Galaxien hat das Team mit "Hubble" und ALMA beobachtet - in allen Fällen mit demselben Ergebnis: Die Galaxien enthalten fast kein Wasserstoff-Gas mehr. Und ohne dieses Gas können keine neuen Sterne entstehen.
Warum kein Gas aus der Umgebung der Galaxien nachströmt - wie es bei anderen großen Galaxien der Fall ist -, bleibt allerdings eine offene Frage. Vielleicht, so spekulieren die Forscher, verhindern supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren der Galaxien mit ihrer Strahlung den Zustrom neuen Gases. Sie hoffen, mithilfe weiterer Beobachtungen durch Gravitationslinsen die physikalischen Prozesse zu entlarven, die zum Erlöschen der Galaxien führen.
Quelle: ntv.de, Rainer Kayser, dpa