Wenn das Meer zur Bedrohung wird Wie schützt Deutschland seine Küsten?
10.02.2025, 18:43 Uhr Artikel anhören
Der Klimawandel und der steigende Meeresspiegel werden an Deutschlands Küsten eine besondere Dynamik entfalten, warnen Experten.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Der steigende Meeresspiegel wird Folgen für Deutschland haben. Er bedroht die Küstenlinien und stört die Entwässerung des Binnenlands. Wie Küsten geschützt werden können, was das kostet und welche Rolle die Landwirtschaft spielt, erklären Experten des Umweltministeriums von Schleswig-Holstein.
Schleswig-Holstein ist das Land zwischen den Meeren. Doch das Meer wird zunehmend zu einer Bedrohung. Dass der Meeresspiegel steigt, ist gewiss. Und er wird selbst dann noch weiter steigen, wenn die Menschheit aufhören sollte, Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen. Denn Meere sind ein sehr träges System. Deutschland muss sich also wappnen, sonst sind seine Küstenbereiche schon bald nicht mehr sicher. Doch wie können diese am besten geschützt werden?
"Infolge des stärker ansteigenden Meeresspiegels wird das Erfordernis von Küstenschutz in diesem Jahrhundert deutlich zunehmen", sagt Jacobus Hofstede, Wissenschaftlicher Direktor am Umweltministerium in Kiel, im Gespräch mit ntv/RTL. "Um den technischen und finanziellen Aufwand in einem gesellschaftlich und ökologisch vertretbaren Rahmen zu halten, wird der Fokus künftig vor allem auf den Schutz von Siedlungen und hohen Sachwerten liegen müssen."
Kein Küstenschutz kann auch guter Küstenschutz sein

Der gebürtige Niederländer Jacobus Hofstede ist wissenschaftlicher Direktor am Umweltministerium in Kiel.
(Foto: Jacobus Hofstede)
Einfach gesagt heißt das: Man kann nicht alles schützen. Zudem gibt es noch einen Spagat zu absolvieren: Denn die Strände gibt es nur, wenn die Steilküsten erodieren. Der dort abbrechende Sand wird an anderen Orten wieder angespült - es entsteht ein Strand. Und Strände sind für den Tourismus im Norden von großer Bedeutung. "Strände können wir nur langfristig erhalten, wenn wir möglichst viele Steilufer als Sandlieferant für die Strände von Schutzbauwerken freihalten", erklärt Hofstede. Es gebe Bereiche, die mit Deckwerken und Ähnlichem geschützt werden müssen. Da sehe man, dass die Strände zurückgehen und verschwinden. "Deshalb ist hier kein Küstenschutz der beste Küstenschutz", lautet das etwas paradox anmutende Motto des Experten.
Nun liegt aber ungefähr ein Fünftel von Schleswig-Holstein unter 2,5 Meter Normalnull. Hier müssten Deiche das Land schützen. "Rund ein Viertel der Fläche von Schleswig-Holstein könnte bei einer sehr schweren Sturmflut überflutet werden, wenn wir keine Küstenschutzanlagen hätten. Dort leben 330.000 Menschen, also jeder Zehnte hier", sagt Hofstede. Und mit dem steigenden Meeresspiegel werden auch die Sturmflutwasserstände höher sein.
Was kostet das?
"Der Klimawandel und der steigende Meeresspiegel werden eine besondere Dynamik entfalten", sagt der Niederländer Hofstede. "Technische Maßnahmen können hier zunächst einen gewissen Schutz schaffen, sind aber in der Regel kostenintensiv." Was kostet uns also der Küstenschutz? "Gemäß dem Generalplan aus dem Jahr 2022 müssen 74 der insgesamt 433 Kilometer Landesschutzdeiche mit geschätzten Kosten in Höhe von 364 Millionen Euro zu Klimadeichen verstärkt werden", sagt der Experte. Oder als Faustregel formuliert: "Um einen Kilometer Landesschutzdeich zu einem Klimadeich zu ertüchtigen, muss man 10 bis 15 Millionen Euro aufwenden." Wobei das auch schnell teurer werden könne.
"Diese Klimadeiche gewährleisten auch dann noch den heutigen Schutzstandard, wenn der Meeresspiegel um einen Meter angestiegen ist. Wir bauen unsere Deiche mit sogenannten Baureserven aus. Die Verstärkung wird ziemlich flach ausgeführt, damit wir in einer späteren zweiten Bauphase nochmal um einen Meter erhöhen können", so Hofstede.
Welche weiteren Probleme bestehen?
Ein hartnäckiges und teures Problem ist tatsächlich das Binnenland. Denn wenn der Meeresspiegel steigt, kann das Wasser nicht mehr wegen des natürlichen Gefälles ins Meer fließen. Oder, wie es Arne Poyda aus dem Kieler Referat "Schutz der Binnengewässer" formuliert: "Die Siel-Entwässerung wird in vielen Bereichen so nicht mehr ohne weiteres möglich sein, in Teilen sind zukünftig Schöpfwerke - eine Hebevorrichtung für Wasser - nötig." Das Wasser fließt also nicht mehr von selbst, sondern muss aktiv gepumpt werden.
Die Entwässerung wird normalerweise bei Ebbe vorgenommen. Doch bei höherem Meeresspiegel wird das Zeitfenster dafür immer kleiner. Wenn es dann noch viel regnet, kann es sogar zu einem Rückstau des Wassers im Binnenland kommen "und damit zur Gefahr eines sogenannten Binnenhochwassers", so Poyda.
Außerdem sind die bestehenden Schöpfwerke zum großen Teil aus den 1950er und 60er Jahren. Die dort verbauten Pumpen schaffen es angesichts der zunehmenden Winterniederschläge nicht mehr, das Wasser ins Meer zu befördern. "Wir können hier von einem Sanierungsstau sprechen", sagt der Experte.
Mittel- bis langfristig werden zahlreiche Siele daher durch Schöpfwerke ergänzt oder vollständig ersetzt werden müssen, um das Wasser in die Meere zu pumpen. "Diese Maßnahmen sind zum einen mit sehr hohen Investitionskosten und zum anderen mit einem hohen Energiebedarf für den Betrieb der Schöpfwerke verbunden. Diese Kosten steigen mit dem Meeresspiegelanstieg zudem immer weiter an", sagt Poyda mit Blick auf die Zukunft.
Welche Rolle spielt die Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft spielt leider eine sehr unrühmliche Rolle. Denn um Land urbar, also landwirtschaftlich nutzbar zu machen, wurden die Moore im Norden fast komplett entwässert. Das hatte aber eine bittere Konsequenz: Das Land senkte sich ab. Und dieser Prozess geht immer noch vonstatten. "Gebiete, die heute noch über dem mittleren Meeresspiegel liegen, werden in einigen Jahrzehnten darunter liegen", so Poyda.
Noch sehr viel schneller schreite dieser Prozess in den Moorregionen voran, die aufgrund entwässerungsbedingter Bodensackungen erhebliche Geländehöhenverluste zu verzeichnen hätten, erklärt der Experte weiter. "Dieser Problematik werden wir nur begegnen können, indem wir einen gewissen Teil dieser Flächen für den Wasserrückhalt zur Verfügung stellen - damit der restliche Teil weiterhin genutzt werden kann."
Eine düstere Prognose
Der Oberdeichgraf von Eiderstedt, Jan Rabeler, sagte dem NDR kürzlich: "Wir müssen ein Prozent unserer landwirtschaftlichen Flächen hergeben für Wasser, damit wir die anderen 99 Prozent gut bewirtschaften können." Wenn wir das nicht hinbekämen, "werden wir hier viele Flächen nicht mehr landwirtschaftlich nutzen können", so seine düstere Prognose. Die Landwirte graben sich also im übertragenden Sinne selbst das Wasser ab.
Deshalb müssten wir zusätzlichen "Retentionsraum für den Wasserrückhalt im Binnenland" bereitstellen. Das sind Bereiche, "die dauerhaft für die Aufnahme größerer Wassermengen vorgehalten werden", so Poyda, der hier einen Konflikt um die Flächen sieht, der in erster Linie mit den Bauern ausgetragen werden wird.
Trotz der Probleme und Konflikte sieht sich das Ministerium zukunftsfähig aufgestellt: "Wenn die Deichverstärkungen konsequent umgesetzt werden, kann der heutige sehr hohe Schutzstandard hinter den Deichen bis ins nächste Jahrhundert gewährleistet werden. Wenn der Meeresspiegel dann noch weiter ansteigt, bieten in den Klimadeichen enthaltene Baureserven die Möglichkeit, die Deiche nochmals um bis zu einen Meter zu erhöhen." Allerdings muss man dazu der Natur auch ihren Raum lassen.
Quelle: ntv.de