
Badet weder in Champagner noch in Desinfektionsmittel - könnte aber: Andreas Toelke.
(Foto: Martin Mai /Kreuzberger Himmel)
Journalist gibt Job auf und betreibt Restaurant. Was klingt wie "Wer nichts wird, wird Wirt" ist die Erfolgsgeschichte eines Mannes, der sein Zuhause hergab, um die Welt zu retten. Wie Andreas Toelke mit Mitte 50 nochmal 400facher Vater wurde, erzählt er ntv.de.
Im "Kreuzberger Himmel" duftet es nach Koriander und Kardamom, nach Baba Ganoush und Patatas, es wird Wein aus dem Libanon und Bier aus dem Kloster Andechs ausgeschenkt. Das ist der Ort, der für einige Menschen eine neue Heimat geworden ist. Weil Andreas Toelke dort ist. Weil er hilft, weil er antreibt, weil er zuhört. Weil er immer einen Tipp hat, auch wenn er manchmal ratlos ist. Und weil es Essen gibt und Jobs. Menschen aus mindestens sechs Nationen, mit mindestens sieben Sprachen und drei Religionen arbeiten im Restaurant - hier starten Karrieren, wie die Betreiber nicht ohne Stolz auf ihrer Homepage schreiben: vom Geflüchteten zum Geschäftsführer, vom Praktikanten zum Hotelfachmann.
Dass es überhaupt dazu kommen konnte, dass es ein Restaurant mitten in Berlin gibt, das von Flüchtlingen betrieben wird und einen sehr guten Ruf genießt, in dem man für den Abend lieber einen Tisch reserviert, in dem schon der eine oder andere Promi aß, das gerne als Vorzeigeprojekt genannt wird und auch von Polit- und Wirtschaftsprominenz besucht wird, das ist in erster Linie einem einzigen Mann zu verdanken. Einem Mann, der keineswegs schon immer "was mit Flüchtlingen" gemacht hat, sondern eigentlich schon immer "was mit Medien" - und der, würde er nicht so unheimlich realistisch sprechen und wirken, durchaus als moderner Engel durchgehen könnte: Andreas Toelke, 60 Jahre alt und forever young im Kopf, ist ein Mann, der anpackt, der verzichtet, der sich aufregt, der etwas bewegt, der mit Rat und Tat zur Seite steht - der sein eigenes Leben hintenan stellt, damit andere vorne mitmischen können.

Toelke und Maria Bauer (5.v.r.) mit dem Team im "Kreuzberger Himmel"
(Foto: Martin Mai/ Kreuzberger Himmel)
Der langjährige Journalist im Ressort Schön & Reich hatte die Nase irgendwann voll von Blingbling und Ufftata. Als die Flüchtlinge 2015 nach Deutschland kamen, fackelte er nicht lange und zog aus seiner Wohnung aus, damit andere Platz haben und ankommen können. Das ergab sich so. Bis zu 16 Menschen gleichzeitig haben phasenweise bei ihm gelebt, alle wurden in sichere Unterkünfte vermittelt, inzwischen hat er 400 Menschen auf seinen 120 Quadratmetern beherbergt. Wie wichtig es ist, mit Andersgläubigen, Andersdenkenden und Andersaussehenden immer wieder in den Dialog zu treten - das weiß Toelke.
Gerne Gutmensch
Was ihn antreibt, ist der unbedingte Wille zu helfen: Auf die Frage "Kannst du mit dem Prädikat Gutmensch leben?" lacht er und sagt: "Na logisch! Schlechtmensch wäre ich wirklich sehr ungerne!" Und nennt ein Beispiel: "Wenn ein Elfjähriger sich in einem Lager wie Moria nicht mehr Gedanken darüber macht, ob er sich umbringt, sondern wie, dann muss ich handeln. Und wenn andere dann finden, dass ich mit meinen Aktionen einen an der Waffel habe, dann sollen sie das bitte sehr gerne so empfinden. Ich kann damit besser leben, als dass ein Elfjähriger sich umbringt."
Der "Kreuzberger Himmel" ist momentan natürlich geschlossen, wie alle anderen Restaurants während des zweiten Lockdowns. Leider können Toelke, sein Team und der von ihm gegründete Verein Be An Angel e.V. nun kein Essen mehr an Obdachlose ausliefern. "Wir sind ehrlich gesagt ratlos, weil wir keinerlei staatliche Unterstützung bekommen", beschreibt er die Lage. Der Verein, den er zusammen mit Ulrike Lessig führt, wurde mit Preisen ausgezeichnet - aber das hilft jetzt konkret auch nicht weiter. Unermüdlich kämpft er, mit Restaurantchefin Maria Bauer und seinen Leuten, die Mazi oder Bakri oder Layali heißen, für den Laden und für die, die noch kommen werden. "Wir haben bis jetzt mit Ach und Krach überlebt. Die Dehoga (Dachverband der Gastronomie) schätzt, dass 30 Prozent aller Betriebe in Berlin den Winter nicht überstehen." Seinen Humor verliert er trotzdem nicht, auch wenn er sich um die 20 Leute sorgt, "deren Leben vorher auch nicht unbedingt ein Bälleparadies war" wie er sagt: "Wir haben so gut gelüftet in den letzten Monaten, dass man früher gesagt hätte, 'es zieht'. Und unsere Desinfektionsmittel würden nicht nur für die Hände der Angestellten und Gäste reichen - wir könnten alle darin baden!"
Apropos baden: Wann kümmert der Mann sich eigentlich mal um sich, wenn er nicht gerade versucht, jemandem eine Stelle zu verschaffen oder stundenlang im Amt wartet, um bei Anträgen behilflich zu sein? "Das ist 'ne gute Frage. Klappt aber irgendwie. Ich habe gute Resilienzen", sagt er und lacht: "Ehrlich gesagt, ist es auch nicht wirklich anstrengender als früher als Journalist, nur anders. Ich kenne mich gut und merke, wann es bei mir eng wird. Dann werde ich knapper in den Ansagen, weil ich keine Zeit mit Diskussionen verschwenden will." Und dennoch - Toelke würde alle retten wollen: "Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich das gerne machen, klar. Ich hatte früher oft das Gefühl, dass ich sehr viel nehme, sehr viel bekomme. Das möchte ich zurückgeben, ganz einfach. Völlig egal, was für Menschen, ob an Obdachlose, Menschen mit Suchtthematiken oder eben Geflüchtete."
Vergammelt in einer Gemeinschaftsunterkunft
Manchmal hat er dennoch das Gefühl, "Gott" spielen zu müssen und ist betrübt darüber, dass er letztendlich nur wenigen helfen kann. "Wir können nur die unterstützen, die wir kennenlernen. Wer das Glück nicht hat, uns kennenzulernen - und damit meine ich alle, die in irgendeiner Form unterstützend tätig sind - der vergammelt in einer Gemeinschaftsunterkunft. Wenn er es überhaupt bis hierher geschafft hat." Das heißt, wer nicht selbst kommunizieren kann, wird niemanden aus der Helferszene kennenlernen. Und das wiederum heißt, dass die, die die extrem traumatisiert oder depressiv sind, im besten Fall zwar eine staatliche und administrative Unterstützung bekommen, aber das ist am Ende des Tages unzureichend. "Nach Europa kommen Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern mit unterschiedlichsten Bildungssystemen, das macht es schwer. Wir können aber nicht pauschalisieren, man müsste sich jeden einzelnen Menschen angucken", so Toelke.

"Andreas hat nicht nur seinen Beruf aufgegeben und ein ausgebuchtes Restaurant, geführt von Flüchtlingen, aufgebaut, sondern ist wie ein Vater für die jungen Leute, die voller Angst und ohne große Hoffnungen ankommen und mit großem Herzen und vielen Kompetenzen wieder gehen. So, dass sie auf eigenen Füßen stehen können. Er schafft also das, was die Regierung nicht schafft! Das ist Integration! Das ist Liebe." (Zitat: Facebook)
(Foto: Facebook/ A. Toelke )
Er weiß, dass das unmöglich ist. "Die Menschen sitzen seit fünf Jahren in Lagern wie Moria fest, alle haben konsequent weggeschaut", sagt Toelke nicht ohne Resignation und meint damit sowohl Regierungen als auch Mitmenschen. "Diese Personen da herauszuholen ist eine Rechtssituation, die man nicht wegdiskutieren kann", fügt er jedoch kämpferisch an. In Europa scheint es tatsächlich immer um so eine Art "Gnade" zu gehen - also man ist so gnädig und nimmt jemanden auf, "aber darum geht es nicht! Wir brauchen keine Gnade", weiß der Mann, der keine eigenen Kinder hat und dennoch die Vaterfigur unzähliger junger Menschen ist. "In den 1950er-, 1960er-Jahren, da ging das mit den Visa, weil wir Fremde als Arbeitskräfte brauchten, das war also positiv für den Antragsteller. Jetzt wird dem Antragsteller erstmal unterstellt, dass er lügt." Dieses Misstrauen spielt rechten Gruppierungen in die Karten: "Dass das dann von den Rechten ausgenutzt wird, ist ein großes Übel unserer Zeit. Wir interessieren uns ja nicht mal mehr dafür, warum jemand sein Land verlässt! Das ist doch nie eine einfache Entscheidung", weiß Toelke aus unzähligen Gesprächen. "Wir stempeln diese Leute als Wirtschaftsflüchtlinge ab und fragen uns nur noch: "Was haben wir denn damit zu tun, dass es denen schlecht geht?" Er verweist darauf, dass in Europa nur deswegen Luxus herrscht, weil wir in der Lage waren, Dritte-Welt-Länder auszubeuten: "Das ist keine Ideologie, das ist Fakt."
Es gibt ein Recht auf Flucht. Menschen haben ein Recht darauf, in Frieden und in Freude zu leben. "Würden die Geflüchteten in Griechenland übrigens auf alle europäischen Länder verteilt werden, wären es 1851 Menschen pro Land", rechnet Toelke vor, "das ist nichts! Du würdest ja 2000 Leute mehr allein in Berlin nicht mal bemerken."
Im Kreuzberger Himmel
Zurück ins Restaurant: Die Chance eines Deutschen, einen Geflüchteten kennenzulernen, liegt normalerweise bei 0,5 Prozent. In der Berliner Yorckstraße ist der Laden eine Begegnungsstätte geworden, ohne krampfhaft Begegnungsstätte sein zu wollen. "Man sieht die Leute nicht im Alltag. Und es ist an uns, zu verhindern, dass es Parallelgesellschaften gibt", ermuntert Toelke. Wie kriegt man also die Leute, die sagen, wir können uns keine weiteren Geflüchteten mehr leisten, auf seine Seite? "Gar nicht", konstatiert der ehemalige Journalist, "das ist eine Art Übertragung. Es geht gar nicht um das Thema Geflüchtete. Dieses Thema wurde instrumentalisiert von Pegida, AfD und Co., und denen geht es nur um Macht. Und die, die denen hinterherlaufen, müssten intellektuelle Transferleistungen erbringen, die sie nicht erbringen können, denn sie verstehen nichts."
Typisch Toelke, dass er sich dennoch auch über diese Mitbürger Gedanken macht: "Die, die auf die Barrikaden gehen, gegen Geflüchtete oder gegen Corona-Maßnahmen, die sind einfach überfordert, denke ich. Und mit den sozialen Medien haben sie ein Ventil gefunden, wo sie für ihre bizarren Meinungen Applaus kriegen." Das hat viel mit Narzissmus zu tun, oder? "Je öfter du stattfindest, desto mehr hast du recht. Und in der Blase kriegst du deinen Applaus. Wir müssen wohl mit zehn Prozent Arschlöchern leben."
Quelle: ntv.de