
Die Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg ist inzwischen eine verkehrsberuhigte Zone.
(Foto: imago images/A. Friedrichs)
Wer in Berlin lebt, weiß, wie es ist, von SPD, Linken und Grünen beherrscht zu werden: Verwaltungs- und Verkehrschaos sind Alltag. Von wirren Corona-Regeln ganz zu schweigen. Aber als Kolumnist hat man wunderbar viel zu schreiben. Daher: bitte wieder! Gerne auch im Bund.
Freundinnen und Freunde des kolumnistischen Manifests, Sie hätten mich eben erleben sollen, in tiefer Hingebung zu mir selbst, was viel Spaß macht, da ich klasse bin. Ich rede gerne mit mir, weil mir dann niemand widerspricht. Das macht das Leben einfacher und aushaltbarer. Noch vor zehn Minuten, bevor ich diese ersten fantastischen Sätze meiner Kolumne schrieb, die Sie wieder einmal preisen oder, was ich nicht hoffe, wieder einmal verdammen werden, stand ich vor dem Spiegel und trainierte. Ich sagte gewisse Sätze und zog dazu ein Gesicht, das mich wie einen Menschen mit Emotionen erscheinen ließ - alles Betrug, den ich mir in den eigenen vier Wänden gestatte. Es ist nur Training.
Ich sage meinem Spiegelbild: Schönen Dank für die Frage! Eine sehr wichtige Frage! Sie glauben nicht, wie Sie mir aus dem Herzen sprechen!! Sie wären ein Gewinn für jeden Betrieb! Geben Sie mir Ihre Telefonnummer!!! Als Erstes müssen wir mehr Wohnungen bauen! Ich übte und übte, verbesserte meine Mimik, damit jeder später sehen kann, wie mich das Schicksal der jungen Generation bewegt. Damit ich nicht wie ein eiskalter Karrierist dastehe, holte ich tief Luft, bevor ich meinem Spiegelbild anvertraute: Das geht natürlich ans Persönlichste, ans Herz, wenn ein junger Mensch sagt, ich weiß nicht, ob ich noch Kinder kriegen kann, weil ich Sorge habe vor dem Klimawandel! So was macht mich immer betroffen!
Nun wissen Sie, ich trainiere für die "Wahlkampfarena" 2025. Denn vielleicht trete ich dann als Kanzlerkandidat für die noch zu gründende Partei der Belanglosigkeit (PdB) an und verabschiede mich aus dem Journalismus. Denn wer weiß, wie lange man mich, den miesepetrigen Sehr-Gutmenschen, noch dafür bezahlt, meinen Senf über alle (eigentlich) ungenießbaren Dinge der Welt zu schütten. Solange ich dafür Kohle kriege, schreibe ich weiter. Und damit mir nicht der Stoff ausgeht, hoffe ich inbrünstig, dass überall Rot-Grün-Rot zustande kommt. Aus journalistischer Sicht wäre es: wunderbar.
Denn wer wie ich in Berlin lebt, kriegt jeden Tag zu sehen, was dann wird: die zunehmende Verwahrlosung in den Stadtteilen mit und ohne hohen Lastenfahrrad-Anteil, der Müll, die Wohnungsnot, die Obdachlosenlager, die Drogen, die Kriminalität, die Armut, der akute Lehrermangel inklusive sinkender Bildung, die miserable Verwaltung, die schrägen Versuche verkehrsberuhigter Zonen, das Corona-Chaos … Ich will Sie nicht ermüden. Ehrlich nicht.
3000 Kilometer Glück
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken, auch R2G genannt, heißt es: "Berlin braucht eine Verwaltung mit klaren Strukturen und einer funktionierenden Arbeitsteilung. Grundlage dafür ist das Denken in Prozessen." Denken in Prozessen könnte der zweite Name von R2G sein. Erst diese Woche war es zu erleben, als die Landesregierung die neuen 2G-Regeln für Gaststätten und öffentliche Veranstaltungen nur einen Tag später zurücknahm, weil dann doch jemandem aufgefallen war, dass man Kinder und Eltern nicht daheim einsperren kann.
Monatelang müssen Berlinerinnen und Berliner auf einen Termin im Bürgeramt warten. Die Zulassung eines Neuwagens kann so lange dauern, dass das Auto zum Altwagen wird. Immerhin kann man sich in Berlin als Mensch fühlen, wenn man am Laptop versucht, amtliche Termine zu ergattern. Meine Nachbarin erzählte mir, dass sie beteuern musste, kein Roboter zu sein. So weit, so normal. Aber wie sie sagte: "Nach 20 Minuten hatte ich die Nase voll und gab auf."
Sicher handelte es sich um ein Pop-up-Captcha. Alles, was in Berlin stümperhaft vorbereitet und später gerne von Gerichten einkassiert wird, heißt Pop-up. Pop-up-Fahrradwege. Pop-up-Mietendeckel. Pop-up-Corona-Regeln. Im Mai 2019 wurde der "Zukunftspakt Verwaltung" unterzeichnet, ein Pop-up-Meilenstein auf dem Weg ins Berliner Pop-up-Glück. Ergebnis zwei Jahre später: Es ploppte ein Kieselsteinchen auf. Die zwölf Bezirksämter kriegen jeweils einen sechsten Stadtratsposten. Trost für alle: Man darf am 26. September mit abgelaufenem Personalausweis wählen. R2G ist einfach nett zu den Menschen.
Deshalb naht auch DIE Verkehrswende. Gut drei Wochen vor der Wahl zum Landesparlament und zum Bundestag hat Rot-Rot-Grün einen Plan verabschiedet, der "in den kommenden Jahren" mehr als 3000 Kilometer Radwege vorsieht. Wie clever, keine Jahreszahl zu nennen. Denn was öffentliches Bauen in der Bundeshauptstadt heißt, wissen wir nicht erst durch den Großflughafen. Zwei Beispiele aus meinem geliebten "Tagesspiegel": "Nach elf Jahren Planung in Berlin-Mitte: Die Müllerstraße bekommt ein bisschen Radweg". Und: "Dauerärger an der Berliner Heerstraße: 3000 Kilometer Radweg? Hier klappen nicht mal 700 Meter."
Am Geld kann es nicht liegen. Berlin, die reichste Stadt der Welt, kauft für 2,4 Milliarden Euro Wohnungen von Vonovia. Wunderbar, dann kann sich R2G demnächst selbst enteignen. Ich könnte hier endlos weiterschreiben, will aber unbedingt noch auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eingehen, den die Grünen dominieren. Monika Herrmann, die Bürgermeisterin, und ihr putziger Verkehrsstadtrat Florian Schmidt pflegen dort einen majestätischen Herrschaftsstil, der mit meiner Vorstellung von Demokratie nicht völlig übereinstimmt.
Schmidt ist der, der die Kreuzberger Bergmannstraße zum Versuchslabor seiner "Vision" einer verkehrsberuhigten Zone erkoren und verschandelt hat. Er ließ riesige Felsblöcke ablegen und bunte Punkte auf die Straße malen. Schmidt, der nicht umsonst "Mini-Trump" genannt wird, hatte vor mehr als einem Jahr dem Lokalparlament einfach Dokumente vorenthalten, damit sie die Lokalpresse nicht, wie er sagte, "zur politischen Agitation" nutzen könne.
Pressefreiheit? Ein bisschen geht was
Neulich war eine Reporterin für "Funk", das zu ARD und ZDF gehört, im Görlitzer Park, der in Kreuzberg liegt. Herrmann ließ die Journalistin von einer Aufpasserin begleiten, die prompt die Interviews unterbrach, nachdem zu viel über Drogen geredet wurde. Im Görlitzer Park dürfen Dealer nämlich tun und lassen, was sie wollen. Damit das aber nicht kritisch hinterfragt wird, wird eine Reporterin an der Arbeit gehindert. Ich habe mich erkundigt. Rechtlich war es okay, es ist kein Verstoß gegen die Pressefreiheit gewesen, solche Eingriffe sind erlaubt, so wie auch Politiker nicht alles sagen müssen. Aber geht man so mit der freien Presse um?
Friedrichshain-Kreuzberg beschloss im April, den Wein umzubenennen, der aus den Trauben erzeugt wird, die auf dem Kreuzberg wachsen. Er sollte "01001011" heißen. Der Binärcode steht für den Großbuchstaben "K" wie Kreuzberg und sollte den Computer-Erfinder Konrad Zuse ehren, der nahe dem 66 Meter hohen Hügel sein Labor hatte. Weder Bürger noch das Lokalparlament oder die Städtepartner Wiesbaden und Ingelheim, die die Rebstöcke geliefert hatten, wurden gefragt, ob sie einverstanden sind. Die Volksnähe der Grünen ist beschränkt. Wieder mal waren es die tapferen Sozialdemokraten, die für Korrektur sorgten. Die SPD-Bezirksverordnete Hannah Lupper riet Herrmann, die Rolle Zuses während der Nazi-Zeit zu betrachten. Auf die Idee waren die Grünen, die sonst gerne Straßen umbenennen, nicht von selbst gekommen. Nun wird ein anderer Name gesucht.
Dass auch Grüne Law and Order beherrschen, zeigte im Sommer Stadträtin Christiane Heiß, zuständig in Tempelhof-Schöneberg für Bürgerdienste, Ordnungsamt, Straßen- und Grünflächenamt. Sie ließ schlank hochwachsende Stockrosen neben den Pollern eines Gehweges entfernen. "Die Sicherheit für zu Fuß Gehende erfordert hier den ganzen Gehsteig." Hauptsache, es wird gegendert!
Quelle: ntv.de