Fernsehen war gestern Stefan, sag', dass das nicht wahr ist!
18.06.2015, 12:59 Uhr
Wir werden diese Kauleiste schmerzlich vermissen.
(Foto: dpa)
Thomas Gottschalk ist weg - und droht damit, wiederzukommen. Wie ernst kann man also den Rücktritt eines Endvierzigers nehmen, der die Fernsehlandschaft revolutioniert und geprägt hat wie kein anderer seit ... ja, seit wem denn eigentlich?
"Wenn's am schönsten ist, soll man gehen", heißt es ja. Dann macht Stefan Raab zwar auch nicht alles ganz goldrichtig - denn am schönsten ist es ja schon eine Weile nicht mehr für ihn -, aber auf jeden Fall geht er zu einem Zeitpunkt, an dem ihn alle, auch die Unkenrufer, schon bald schmerzlich vermissen werden.
Die Älteren unter uns sind mit ihm zwar nicht aufgewachsen, aber wir können uns an alles erinnern, was er in den letzten rund 20 Jahren gemacht hat. Denn es war meist lustig. Innovativ. Noch nie dagewesen. Eigentlich haben wir gedacht, wir können mit Stefan Raab nun auch alt werden und waren schon sehr gespannt darauf, wie sein Fernsehen für die nicht mehr ganz so werberelevante Zielgruppe aussehen würde. Wir hatten Angst, dass ihm bei "Schlag den Raab" doch mal eine Bandscheibe rausfliegen könnte, dass er sich beim Turmspringen den Ischias einklemmt oder mit der Schmach, gegen eine Frau zu verlieren, nicht mehr angemessen umgehen wird. Aber dass er jetzt einfach abhaut, ist fast unverschämt. Wir können den Fernseher nun getrost in den Keller bringen, denn was soll noch kommen?
Walter Freiwald, übernehmen Sie!
Was er alles auf dem Kasten hat, das hat kein Zweiter im deutschen Fernsehen. So ehrgeizig war er, dass er sowohl Körper als auch Geist immer topfit hielt, um allen Anfeindungen, Fragen, Quizsendungen und Neidern gegenüber gewappnet zu sein. Viele hat er auf den Weg gebracht, Simon Gosejohan und den ewigen Show-Praktikanten Elton zum Beispiel, aber keiner wird seinen Platz einnehmen können. Außer Walter Freiwald vielleicht. Oder Joey Kelly. Es gibt bestimmt Typen, die besser aussehen, die sich besser kleiden oder die bessere Interviews führen, aber es gibt keinen anderen, der aus Scheiße Gold machen kann. Bestes Beispiel dafür: "Maschendrahtzaun".
Nicht, dass man jeden Abend "TV total" ertragen könnte, und ja, eine gewisse Lustlosigkeit hatte sich eingeschlichen, aber was in den letzten Jahren allein in dieser Sendung entstanden ist, ist ein Quell der Inspiration für die gesamte Fernsehunterhaltung gewesen. Nicht nur hat Raab seine Formate wie "Turmspringen" oder "Schlag den Raab" in die ganze Welt verkauft, er hat senderübergreifend für Wirbel gesorgt: Der "Eurovision Song Contest" (ESC) wäre nie wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwacht ohne ihn. Denn entweder hat Raab selbst teilgenommen ("Wadde Hadde Dude Da", 2000), für andere geschrieben ("Guildo hat euch lieb", 1998) oder ein Format erschaffen (Bundesvision Song Contest), mit dem er selbst Talente rausgefiltert hat wie Stefanie Heinzmann, Max Mutzke und vor allem Lena Meyer-Landrut, die das Ding 2011 "für uns" heimholte.
Musik, zwo, drei, vier
Überhaupt die Musik: Wenn einer komisch war oder singen konnte, dann ging er zu "TV total", denn dort war er oder sie meist gut aufgehoben. Klar, vor Stefans spitzer Zunge musste man sich auch in Acht nehmen, aber wer wirklich was konnte, der wurde dort neidlos anerkannt und mit einem netten Tritt in den Hintern in die höheren TV-Weihen geschubst.
Was wird eigentlich aus "seiner" hervorragenden Band, den Heavytones?? Die sind eh ausgebucht und jeder andere würde sie mit Kusshand in seine Sendung übernehmen, aber das Zusammenspiel zwischen einem derartig musikalischen Showmaster und einem großartigen Orchester kann es so nicht mehr geben. Sorry, HalliGalli-Jungs, sorry, Herr Böhmermann.
Während man nun auf ein ausgelutschtes Format wie "Wetten, dass..?" wirklich locker verzichten kann und eine "TV-total"-Pause auch niemandem schaden wird, bleibt jedoch die Frage: Was wird aus den Showkrachern am Samstagabend ("Schlag den Raab", "Wok-WM"), die seit Jahren Millionen Zuschauer, und zwar stundenlang, vor der Glotze gefesselt haben?
Und was wird Stefan Raab eigentlich tun? Ein 48-jähriger Rentner? Wohl kaum. Dass er doch noch ins Metzgerfach wechselt, dürfte ausgeschlossen sein. Dass er einfach nur rumsitzt, aber auch. Oder hat er, der Ruhelose, Lust, die Füße hochzulegen und bei seiner Familie zu sein? Niemand hat so wenige Kilometer auf dem "roten Teppich" am Hacken wie er und ist gleichzeitig so erfolgreich und berühmt wie Stefan Raab. Sein Privatleben hat er völlig aus der Öffentlichkeit rausgehalten, das ist bewundernswert, aber bestimmt auch anstrengend. Vielleicht hat er Bock auf Normalität? Vielleicht geht er aber auch nach Dubai (noch mehr Geld verdienen) oder Hollywood (die "Truman Show" ist schon eine Weile her)?
Wer Stefan Raab mal hinter den Kulissen erlebt hat, weiß, dass er ein höflicher, eher schüchterner Typ ist, der sich nicht in den Vordergrund spielt. In seinen Sendungen hat man ja immer das Gefühl, er müsse bestätigt werden wie ein Sechsjähriger. Verlieren kann er auch schlecht und wenn er sich mal irrte bei "Blamieren oder Kassieren" beispielsweise, hat er zu Hause garantiert nochmal nachgeschlagen, ob das auch wirklich stimmte, was der andere da gesagt hat.
Sein Sender hat ihm versichert, dass er zurückkommen darf (das ist heutzutage so üblich bei Sendern und Nachrichtenportalen) - es ist nur zu befürchten, dass ausgerechnet Stefan Raab es ernst meint mit "Schluss mit lustig."
Vor Jahren, schon als Viva-Moderator, hatte Raab bereits bezweifelt, dass er "im Fernsehen" altern wolle und sich gefragt, wie er seinen Kindern erklären solle, dass er immer noch "der lustige Onkel" da ist.
Dass er sich aber auch immer so verdammt wörtlich und ernst nehmen muss ...
Quelle: ntv.de