André Georgis "Tribunal" Auf der Jagd nach den serbischen "Wölfen"
14.12.2014, 08:13 UhrDen Haag: Nach dem tödlichen Attentat auf einen Kronzeugen droht der Prozess gegen den Kriegsverbrecher Kovać zu scheitern. Um ihn doch noch zu überführen, begibt sich Chefermittlerin Jasna Brandič auf den Weg nach Belgrad - und in Lebensgefahr.
Jasna Brandič scheint am Ziel ihrer monatelangen Arbeit. Die Chefermittlerin einer UN-Spezialeinheit hat endlich einen Kronzeugen, der vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegen den Serben Marko Kovać aussagen will. Sie ist sich sicher: Nur noch diese eine Aussage und Kovać landet endgültig hinter Gittern. Am Tag der Verhandlung kommt es jedoch zur Katastrophe: Vor dem Gerichtsgebäude eröffnen Scharfschützen das Feuer und lassen dem Kronzeugen keine Chance. Jasna kommt knapp mit dem Leben davon.
Die ehrgeizige junge Frau steht vor einem Scherbenhaufen, das Verfahren gegen Kovać droht nun endgültig zu scheitern. Als ehemaliger Anführer der "Wölfe", einer Elitetruppe der serbischen Armee, ist Kovać für mehrere Kriegsverbrechen während des Bosnienkriegs angeklagt: "Mord und Anstiftung zum Mord in 3953 Fällen" sowie "Vergewaltigung und Anstiftung zur Vergewaltigung von Mädchen und Frauen im Alter zwischen 12 und 72" lauten die Vorwürfe. Doch bisher lässt sich nicht beweisen, dass er tatsächlich für die Verbrechen in Višegrad an der Drina, an der Grenze zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina, verantwortlich ist.
Selbst im Gefängnis bleibt Kovać offenbar ein einflussreicher Mann. Es gelingt ihm, Beweise verschwinden zu lassen, Zeugen einzuschüchtern oder aus dem Weg räumen zu lassen. Dennoch gibt Jasna nicht auf. Tatsächlich bietet sich ihr eine letzte Chance: Branko, ein ehemaliger "Wolf", zeigt sich bereit, gegen Kovać auszusagen. Sofort macht sie sich auf den Weg nach Belgrad, um den Kronzeugen zu finden und nach Den Haag zu überführen. Es beginnt ein riskanter Wettlauf gegen die Zeit - und gegen die skrupellosen "Wölfe", denn die haben längst Jasnas Fährte aufgenommen.
Der jugoslawische Bürgerkrieg ist allgegenwärtig
"Tribunal" spielt zwar im Jahr 2005, dennoch ist der jugoslawische Bürgerkrieg in André Georgis Romandebüt allgegenwärtig. Genauer gesagt ist es der Bosnienkrieg, der nur einer von mehreren Balkan-Kriegen in den 1990er Jahren ist. Sie alle werfen bis heute einen langen, blutigen Schatten. Noch immer sind viele Kriegsverbrechen ungeklärt, das Massaker von Srebrenica steht symbolisch für die Völkermorde auf dem Balkan. Der Justiz in Den Haag gelingt es nur mit äußerster Mühe, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Viele von ihnen werden in ihrer Heimat immer noch als Volkshelden verehrt.
Georgi verknüpft seine fiktive Geschichte eindrucksvoll mit diesen historischen Fakten: Auf die Massenvergewaltigungen und -tötungen von Tausenden Muslimen in Višegrad an der Drina nimmt er ebenso Bezug wie auf einschlägig bekannte Charaktere wie den serbischen Ex-General Mladić oder auch den bosnischen "Serbenführer" Karadzić. Selbst zu den "Wölfen" gibt es einen historischen Bezug: Mit den "Sivi Vukovi" (Graue Wölfe) existierte eine serbische Spezialeinheit, der mehrere Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.
Nichts für schwache Nerven
Auf der Jagd nach ebenjenen "Wölfen" wird Protagonistin Jasna schnell selbst zur Gejagten - und der Leser ist bei dieser Hatz von Anfang an hautnah dabei. Georgi spart bei der Beschreibung dieser Odyssee durch das ländliche Serbien keine Details aus. Doch diese sind recht brutal.
Wem Gewalt, Blut und Psychoterror nichts ausmachen, bekommt spannenden und temporeichen Lesestoff geboten. Man verfolgt nicht nur die Gedankengänge und Handlungen von Jasna, für die die Jagd nach Kovaćs "Wölfen" immer persönlichere Züge annimmt. Georgi erzählt zeitweise auch aus der Sicht serbischer Kriegsverbrecher. Geschildert werden die Ereignisse in kurzen Kapiteln und oft in kurzen, abgehackten Sätzen. Dieser Schreibstil verstärkt zwar die Dynamik der Handlung, ist allerdings gewöhnungsbedürftig.
Dennoch sollten Freunde packender Politthriller dieses Risiko eingehen, denn die in sich geschlossene und nervenaufreibende Handlung entschädigt für die stilistischen Eigentümlichkeiten. Auch wenn das Finale überzogen wirkt, bietet es die erwartete Dramatik. Mit "Tribunal" ist André Georgi, der bisher nur Drehbücher für Fernsehkrimis wie den "Tatort" geschrieben hat, ein gelungenes Romandebüt gelungen. Ganz nebenbei ruft der 49-Jährige eindrucksvoll die Jugoslawienkriege ins Gedächtnis zurück, die bisher ein literarisches Nischendasein fristeten.
Quelle: ntv.de