Kino

Florian Henckel von Donnersmarck "Manche Szenen waren sehr schmerzhaft"

Tom Schilling als Kurt Barnert.

Tom Schilling als Kurt Barnert.

(Foto: Walt Disney Germany)

Er wurde zum deutschen Oscar-Kandidaten für den besten nicht-englischsprachigen Film gekürt: "Werk ohne Autor" - nach seinem Stasi-Drama "Das Leben der Anderen", für das Florian Henckel von Donnersmarck 2007 den Auslands-Oscar gewonnen hat, kehrt der Regisseur nach seinem Ausflug mit "The Tourist" (2010) thematisch erneut zur deutschen Geschichte zurück. Für "Werk ohne Autor" ließ er sich von der Biografie des Malers Gerhard Richter inspirieren und erzählt nun die Geschichte von Kurt Barnert (Tom Schilling), der während der NS-Zeit aufwächst, in der DDR erste Erfolge feiert, dann aber in den Westen flüchtet. Dort versucht er in Düsseldorf Fuß zu fassen, wird aber von den traumatischen Erlebnissen seiner Vergangenheit verfolgt. Bei der Zeichnung der Figuren hat sich Henckel von Donnersmarck durchaus Freiheiten genommen, der Film soll nicht dokumentarisch sein. Deswegen spitzt er die Handlung zu und verdichtet sie, so dass es im Leben des Künstlers dramatische Verwicklungen innerhalb der eigenen Familie gibt. Zentrale Figur ist dabei der Vater (Sebastian Koch) von Kurts späterer Ehefrau Elisabeth (Paula Beer), der während des Zweiten Weltkrieges mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitete. Er bettet die Geschichte ein in die wechselvollen Ereignisse des Landes und thematisiert Krieg und die Ermordung (vermeintlich) behinderter Menschen durch die Nationalsozialisten, zeichnet die Unterdrückung im SED-Regime nach und porträtiert nebenbei auch die Künstlerszene der jungen Bundesrepublik. Mit n-tv.de sprach der Regisseur über sein Projekt, seinen Kraftakt, seinen Jahrhundertblick auf Deutschland. 

n-tv.de: Das "Werk ohne Autor" zeigt das Ringen eines Künstlers - das Ringen danach, der Künstler zu werden, der in ihm steckt. Kennen Sie dieses Ringen persönlich?  

Florian Henckel von Donnersmarck: Ich glaube, jeder Mensch ringt ständig und immer wieder mit sich und um alles. Ich glaube, da unterscheiden sich Künstler gar nicht so sehr von Menschen mit anderen Berufen. Joseph Beuys hat ja mal den großen Satz gesagt: "Jeder Mensch ist ein Künstler." Und ich glaube, dass er damit recht hat. Ich denke nicht, dass das etwas mit der Qualität der Kunst zu tun hat, es hat vielmehr etwas damit zu tun, dass wir alle aufgerufen sind, uns ganz extrem in das einzubringen, was wir machen.

Sie haben sich ja ein bisschen Zeit gelassen mit Ihrem neuen Film. Und der Film nimmt sich auch Zeit. Er ist lang. Die Zeit vergeht dennoch wie im Flug. Ist der Eindruck richtig, dass der Film noch viel länger hätte sein können?

(lacht) Ja, er hätte noch eine Stunde länger dauern können, das stimmt. Es gibt tatsächliche einzelne Figuren, zu denen wir deutlich mehr Material haben. Zu der Figur von Jeanette Hain zum Beispiel oder zu den Onkeln. Ich muss gestehen - ich hätte es auch in eine Serie verwandeln können (lacht). Aber ich glaube an das Kino!

Oliver Masucci, Sebastian Koch, Paula Beer, der Regisseur, Saskia Rosendahl, Tom Schilling (v.l.) bei der Premiere im Berliner "Zoopalast" Ende September 2018 .

Oliver Masucci, Sebastian Koch, Paula Beer, der Regisseur, Saskia Rosendahl, Tom Schilling (v.l.) bei der Premiere im Berliner "Zoopalast" Ende September 2018 .

(Foto: imago/Future Image)

Dann könnten Sie sich doch eine Figur herauspicken und sagen: "Die gibt mehr her für einen weiteren Film …"

Naja, da geht es mir wie auch im richtigen Leben - für mich gibt es nicht wirklich Nebenfiguren. Ich inszeniere so, dass ich jede Figur danach betrachte: "Taucht sie länger auf oder taucht sie weniger lang auf?" Aber ich behandele sie mit der gleichen Intensität, und versuche, ihr genau so viel Backstory zu geben und Liebe zu schenken wie den Schauspielern der Hauptrollen. Aber stimmt schon, es wäre für mich doch interessant, mal eine Serie zu machen, wo ich wirklich für jede Figur ganz viel Zeit hätte.

Was hält Sie ab?

Ich weiß, dass da gerade sehr interessante Sachen entstehen, aber ich bin noch nicht bereit, das klassische Kino aufzugeben.

"Ich kann Mamachen doch nicht alleine lassen" sagt Paula Beers Figur - allein mit einem Monster? Einem Vater? Einem Mann?

"Ich kann Mamachen doch nicht alleine lassen" sagt Paula Beers Figur - allein mit einem Monster? Einem Vater? Einem Mann?

(Foto: Walt Disney Germany)

Wenn das keine authentische Geschichte wäre - dann könnte man sie kaum glauben. Das geht einem ja oft so mit wahren Geschichten. Wie sind Sie an diese wahre Geschichte herangekommen?

Ich hatte schon lange eine Story gesucht, die davon handelt, wie ein Künstler mit dem Leid umgeht, das er erfahren hat. Und wie er daraus etwas entstehen lässt, wie er daraus letztendlich Kunst macht. Das hat mich immer fasziniert. Ich habe lange im Bereich der Oper gesucht und erstaunlicherweise nichts gefunden. Und dann ist mir die Geschichte des Malers begegnet, dessen Tante von den Nazis ermordet wurde, weil sie nicht ins Menschenbild der Nazis passte. Und der sich dann in die Tochter eines dieser Euthanasie-Täter verliebt und sie geheiratet hat. Das fand ich einen sehr interessanten Ansatzpunkt, weil ich damit Täter und Opfer unter einem Dach zeigen konnte. Und so war es in Deutschland nach 1945 ja auch irgendwie: Täter und Opfer lebten oft gemeinsam unter einem Dach, haben das Land wieder aufgebaut. Das fand ich einen interessanten Aspekt.

Koch, Schilling, Beer - meisterhaft.

Koch, Schilling, Beer - meisterhaft.

(Foto: Walt Disney Germany)

Sie muten dem Zuschauer durchaus etwas zu, einige Szenen sind schwer zu ertragen.

Ja, stimmt, aber wir alle, Schauspieler, Produzenten, ich, einfach alle, die an dem Film mitgearbeitet haben, wir haben einen immensen Druck verspürt. Denn wir müssen der Generation unserer Eltern und Großeltern gerecht werden, wir müssen den Leiden dieser Menschen gerecht werden. Manche Szenen waren tatsächlich sehr schmerzhaft - und gleichzeitig musste ich mir aber überlegen, wie wir es hinkriegen, dass man sich das überhaupt anschauen möchte. Ich habe das dadurch gelöst, indem ich zum Beispiel bei dem Mord an der Tante ganz nah auf ihrem Gesicht geblieben bin. Der Hintergrund ist unscharf. Deshalb bleibt der Zuschauer nah bei den einzelnen Figuren. Und gleichzeitig sind wir aber in der Perspektive des kleinen Jungen geblieben - es geht ja um sein Leid. Er verliert seine geliebten Onkel an der Ostfront, seine Heimatstadt wird zerbombt, seine Freunde kommen um, seine Tante wird von den Nazis ermordet. Der Wahnsinn des Krieges bricht über einen kleinen Jungen herein und das wollten wir zeigen. Deswegen sind wir in seiner Perspektive geblieben, und deswegen konnten wir das Ganze auch mit Mitgefühl angehen.

Welche Hilfen hatten Sie?

"Nie wegschauen" - das hatte seine Tante dem kleinen Kurt noch sagen können.

"Nie wegschauen" - das hatte seine Tante dem kleinen Kurt noch sagen können.

(Foto: Walt Disney Germany)

Wir haben ganz eng mit der Gedenkstätte Pirna Sonnenstein zusammengearbeitet, die sich mit den Morden aus dem sogenannten Euthanasie-Programm der Nazis beschäftigt. Wir hatten Historiker am Set und wir waren uns zu jedem Zeitpunkt sehr bewusst, dass wir diesen zum Teil vergessenen Opfern ein Denkmal setzen wollen. So haben wir das für uns erträglich gemacht.

Ein Wort noch zu der unglaublich guten Besetzung des Films ….

… ja, das ist tatsächlich die Seele eines Films. Dass das Drehbuch das Entscheidende ist, ist ein Klischee (Anm.d. Red.: das Drehbuch von "Werk ohne Autor" stammt von Florian Henckel von Donnersmarck). Dem ist nicht so. Das Wichtigste sind die Schauspieler. Man kann ein mittelmäßiges Drehbuch haben und mit tollen Schauspielern trotzdem einen großartigen Film machen. Man kann aber nicht basierend auf einem tollen Drehbuch mit mittelmäßigen Schauspielern einen großartigen Film machen, absolut unmöglich. Meine Casting-Agentin hat hier die besten Schauspieler des Landes zusammengetrommelt, dessen bin ich mir vollkommen sicher. Und zwar bis in die kleinsten Nebenrollen. Über die müssen Sie mal was schreiben!

Es handelt sich wieder um Simone Bär, die zum Beispiel für den Cast in "Das Leben der Anderen", verantwortlich war. Dafür haben Sie 2007 einen Oscar bekommen …

Ja, Simone ist genial, die Seele der deutschen Filmindustrie. Mein Hauptaugenmerk liegt immer darauf: "Wer ist so, wer kann die Seele dieser Figur darstellen?" Und das klingt jetzt für Sebastian Koch als schrecklichem Nazi erstmal nicht so schmeichelhaft, damit meine ich aber, dass er einfach dazu in der Lage ist, diese Seite in sich zu finden, weil er eben ein so genialer Schauspieler ist. Ich mag nicht, wenn Schauspieler so tun,  als ob sie etwas sind, sie müssen es sein!  Er muss in sich diesen furchtbaren Mörder finden. Tom Schilling musste in sich diesen wahrheitssuchenden Künstler finden. Das war für ihn nicht schwer, denn er ist wirklich so. Paula Beer musste diese Frau spielen, die mehr als alles andere Freiheit sucht. Und so ist sie. Und Saskia Rosendahl muss so begabt sein, dass sie fast gar nicht weiß wohin mit sich. Und das ist sie.

Der nimmt seine Kunst so wahnsinnig ernst!

Der nimmt seine Kunst so wahnsinnig ernst!

(Foto: Walt Disney Germany)

Sie haben also nach den Seelen gesucht …

Ja, und gefunden. Auch Oliver Masucci, der die Beuys-ähnliche Figur spielt - mit dem habe ich gar keine Probeaufnahmen gemacht, weil ich schon im Gespräch merkte, er ist diese Figur! Der nimmt seine Kunst so wahnsinnig ernst. Mit der Besetzung haben wir uns richtig lange Zeit gelassen und da bin ich mit jeder Rolle, auch wenn sie nur einen Satz sagt, sehr sehr glücklich.

Mit Florian Henckel von Donnersmarck sprach Sabine Oelmann

Der Film "Werk ohne Autor" startet am 3. Oktober in den deutschen Kinos

Quelle: ntv.de

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