
Steinmeier bei einem Treffen mit Putin Ende März in Moskau
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Ein Jahr vor der Bundestagswahl schießt sich die CDU auf den beliebtesten Sozialdemokraten ein. Das Ziel: Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seine Russlandpolitik.
In Partnerschaften, und dazu gehören politische Koalitionen, kann sich ein Eigenleben entwickeln. Da weiß die eine Hand oft nicht, was die andere tut. Das sogenannte "Büroversehen" ist ein gutes Beispiel. Manchmal kommt es auch vor, dass die eine Hand der anderen mal kräftig auf die Finger haut. Das ist nun passiert. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brock kritisiert SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Gastbeitrag in der "Bild"-Zeitung scharf. Er fordert eine kritischere Haltung zu Russland. Steinmeier rede dem Kreml zu sehr nach dem Mund. Sein Verhalten müsse die russische Seite glücklich machen, so Brok.
Steinmeier war bisher nicht gerade Lieblingsziel für Attacken von CDU-Politikern. Die arbeiten sich eigentlich viel lieber an Parteilinken wie Ralf Stegner ab. In den vergangenen Wochen hat sich dies geändert. Auffallend stark nehmen die Christdemokraten den Außenminister ins Visier. Sie versuchen ihn gezielt als Russlandfreund zu brandmarken.
Den jüngsten Anlass bietet dessen Treffen mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow. Steinmeier scheiterte dabei mit dem Versuch, für Syrien eine Waffenruhe auszuhandeln. "Das kann und darf so nicht weitergehen", sagte er über die Lage in Aleppo. Tatsächlich gelang dem Außenminister aber nicht, etwas durchzusetzen, das an der Situation etwas ändern könnte. Vor allem der CDU stößt das bitter auf. Steinmeier habe Lawrow "zu wenig widersprochen", kritisiert Brok. Steinmeier hätte viel deutlicher benennen müssen, dass Russland "in Aleppo Krankenhäuser bombardiert". Die Positionierung des Außenministers mache ihm Sorgen.
Rüffel von Schäuble: "rhetorischer Fehlgriff"
Es ist nicht das erste Mal, dass Steinmeiers Russlandpolitik für Ärger sorgt. Mitte Juni hatte er die Nato-Staaten gewarnt, "durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul" die Lage anzuheizen. "Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern." Die "Bild"-Zeitung veröffentlichte diese Zitate, aber nicht das vollständige Statement. Darin sagte der Außenminister: "Mit der Krim-Annexion und den militärischen Aktivitäten in der Ost-Ukraine hat Russland bei unseren östlichen Nachbarn ein Gefühl der Bedrohung entstehen lassen." Niemand könnte "den vorgesehenen Umfang der Nato-Maßnahmen als Bedrohung für Russland werten".

Konkurrieren im Bereich der Außenpolitik und setzen unterschiedliche Akzente: Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier.
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Den Rest der Steinmeier-Äußerung veröffentlichte das Auswärtige Amt erst einen Tag später; zu spät, um die Empörung noch aufzuhalten. "Ein ungeheuerlicher Vorwurf", sagte Norbert Röttgen über Steinmeiers "Säbelrasseln"-Satz. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses warf dem SPD-Politiker vor, sich profilieren zu wollen. Ungewohnt offen ging auch Finanzminister Wolfgang Schäuble den Kabinettskollegen an, nannte dessen Äußerung einen "rhetorischen Fehlgriff". Andere CDU-Politiker stempelten Steinmeier als "Putin-Versteher" ab. Regierungssprecher Steffen Seibert mochte hingegen "nicht einen Hauch" eines Unterschieds zwischen Kanzleramt und Außenministerium erkennen.
Kanzlerin und Außenminister sind sich in ihrem Politikstil nicht unähnlich. In ihrer Haltung zu Putin gibt es jedoch Unterschiede. Einen Tag nach den Feierlichkeiten zum Sieg über Nazi-Deutschland kritisierte Angela Merkel im Mai 2015 in Moskau die "verbrecherische Annexion der Krim". Ihr Sprecher Seibert warf Russland zuletzt Zynismus vor. Die Kanzlerin scheut nicht davor zurück, bisweilen klare und deutliche Worte auszusprechen. Das ist jedoch nicht allgemeingültig. Schließlich wird Merkel im Umgang mit der Türkei und Präsident Recep Tayyip Erdogan seit Monaten vorgeworfen, zu nachsichtig zu sein. Merkel variiert je nach Thema in ihrem Tonfall, Steinmeier eher nicht.
Rot-Rot-Grün als Motor?
Der erfahrene Außenpolitiker äußert sich fast immer diplomatisch und ausgleichend. Der Sozialdemokrat agiert in der Tradition der Ostpolitik des früheren SPD-Kanzlers Willy Brandt. Über das schwierige Verhältnis zu Russland sagt er: "All das ist kein Grund, einander den Rücken zuzukehren." Nicht aufhören, miteinander zu reden – das ist ein typischer Satz von ihm. Steinmeier hat Russland aber auch schon kritisiert. Im vergangenen Jahr bezeichnete er es als "unnötig", als der Kreml seine strategischen Raketen aufstockte. Dies leiste "keinen Beitrag zur Stabilität und Entspannung in Europa". In seiner Russlandpolitik setzt Steinmeier auf das Konzept der zwei Säulen Abschreckung und Dialog. Im Juni scheiterte der Außenminister bei dem Versuch, eine Lockerung der Russland-Sanktionen zu erreichen.
Beim Koalitionspartner wurde dies nur als weiteres Indiz für dessen unkritische Haltung gewertet. "Steinmeier sollte aufpassen, dass seine diplomatische Höflichkeit nicht genau den gegenteiligen Effekt hat", sagte Brok. "All das kann vom russischen Präsidenten Putin so verstanden werden, dass die Zeit am Ende für ihn arbeitet." Brok und andere vermuten dahinter Kalkül und wittern verzweifelte Versuche der Sozialdemokraten, bei Wählern zu punkten und sich für eine Koalition mit den Linken zu öffnen. Manch einer meint auch den Einfluss des Steinmeier nahestehenden und traditionell russlandfreundlichen Ex-Kanzlers Gerhard Schröder zu erkennen. Rot-Rot-Grün als Motor der deutschen Außenpolitik? Viele Linke nehmen Steinmeiers Auftreten durchaus wohlwollend zur Kenntnis. Im Hinblick auf die Grünen hinkt die Unterstellung jedoch. Die Mehrheit der Partei befürwortet eine harte Linie in der Russlandpolitik. Die Grünen stehen der CDU bei diesem Thema weit näher als der SPD.
Die Attacken auf Steinmeier dürften dabei auch jenen Zweck haben, den Christdemokraten eigentlich der Gegenseite vorhalten. Ein Jahr vor der Bundestagswahl beäugen sich die Koalitionspartner zunehmend misstrauisch. Mutmaßliche Anlässe, die Bilanz von SPD-Protagonisten zu schmälern, kommen da nur gelegen. Die Kanzlerin hat zwar große Teile der Außenpolitik übernommen, dennoch ist Steinmeier einer der beliebtesten deutschen Politiker. Er gilt auch als einer der Anwärter auf die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck. Laut einer Emnid-Umfrage ist er sogar der Wunschkandidat der Deutschen. In der Bundesversammlung hätte Schwarz-Rot eine Mehrheit. Die CDU will im Februar aber keinem SPD-Bundespräsidenten ins Amt helfen. Im Wahljahr wäre das schließlich ein verheerendes Signal.
Quelle: ntv.de