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Koalition wagt Großes Eins fehlt noch, eines muss Merz noch liefern

Am Mittwoch trafen Friedrich Merz, Alexander Dobrindt (r.) und die SPD-Spitze sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz, um ihn über den Stand der Sondierungen zu informieren. Scholz dürfte gelegentlich gedacht haben: Ich hab's euch doch gesagt.

Am Mittwoch trafen Friedrich Merz, Alexander Dobrindt (r.) und die SPD-Spitze sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz, um ihn über den Stand der Sondierungen zu informieren. Scholz dürfte gelegentlich gedacht haben: Ich hab's euch doch gesagt.

(Foto: dpa)

Friedrich Merz ist noch nicht einmal Kanzler und hat schon die ersten Wahlversprechen gebrochen. So kann man das sehen. Wichtiger jedoch ist: Union und SPD setzen zum richtigen Zeitpunkt das richtige Signal. Jetzt muss Merz es nur noch erklären.

Zweimal hat US-Präsident Donald Trump die USA aus dem Pariser Klimaabkommen geführt. Beim ersten Mal machte er daraus eine große Show. Trump war zu diesem Zeitpunkt fast viereinhalb Monate im Amt, der Schritt kam nicht unerwartet. Ein Schreck war es dennoch: Es war "eine der ersten konkreten Entscheidungen der Trump-Administration, die einen Rückschlag der transatlantischen Beziehungen darstellen", schrieb die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in einer Einschätzung.

In seiner zweiten Amtszeit erklärte Trump den Rückzug aus dem Pariser Abkommen (den sein Nachfolger Joe Biden rückgängig gemacht hatte) nur Stunden nach seiner Vereidigung. Eine eigene Inszenierung gab es nicht, er vollzog den Austritt durch eines der vielen Dekrete, die er noch am Tag seiner Inauguration unterschrieb. Die meisten Menschen in den USA und in Europa dürften die Entscheidung gar nicht mitbekommen haben.

Der Schockmoment kam am Freitag

Der Unterschied zwischen 2017 und 2025 zeigt: Trumps zweite Präsidentschaft ist nicht die Fortsetzung seiner ersten Amtszeit, nur ein bisschen radikaler. Trump II ist Trump I auf Speed.

Natürlich: Man kann argumentieren, dass wir hätten wissen können, was in Trumps zweiter Amtszeit auf uns zukommt. Aber die Welt hat sich nicht nur seit 2017 verändert. Sie ist in den vergangenen Wochen noch einmal eine andere geworden. Ja, schon Trumps Vorgänger Barack Obama hatte von den Nato-Verbündeten mehr Engagement gefordert. Allerdings sind Deutschland und andere Nato-Staaten lange damit durchgekommen, das Zwei-Prozent-Ziel des Bündnisses als Fernziel zu interpretieren, nicht als aktuelle Verpflichtung. Demokratische Politik ist mitunter träge.

Unter Druck kann sie jedoch schnell reagieren. Das haben Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ampel nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gezeigt. Das zeigen Friedrich Merz und die künftige Koalition aus Union und SPD jetzt. Es ist einfach, der Union einen Bruch von Wahlkampfversprechen vorzuwerfen. Denn vor der Bundestagswahl hatte Merz zwar gesagt, man könne über eine Reform der Schuldenbremse reden. Aber noch im Dezember sagte er, er sehe "im Augenblick überhaupt keine Notwendigkeit, über neue Sondervermögen oder zusätzliche Schulden zu diskutieren". Nötig sei nach dem Regierungswechsel erst ein Kassensturz, dann eine Neuordnung der Prioritäten. Und nun will er noch vom alten Bundestag die Schuldenbremse lockern und ein Sondervermögen beschließen lassen?

Diese Vorwürfe sind nachvollziehbar. Merz hätte schon im Wahlkampf wissen können und sagen müssen, dass es ohne neue Schulden nicht gehen werde. Stattdessen machte er abfällige Bemerkungen darüber, dass Sozialdemokraten nichts anderes einfalle als neue Schulden und höhere Steuern.

Aber der Schockmoment, mit dem die Union ihre Kehrtwende nun rechtfertigt, kam erst nach der Wahl. Er fand am Freitag im Oval Office des Weißen Hauses statt. Unabhängig davon, ob es eine Falle für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj war oder eine kommunikative Spontankatastrophe: Trump und sein Vize J.D. Vance haben klargemacht, wie komplett egal ihnen das ferne Europa ist. Über die theoretische Möglichkeit, dass Trump nicht nur aus dem Klimaschutzabkommen austritt, sondern auch aus der Nato, ist schon in seiner ersten Amtszeit spekuliert worden. Der vergangene Freitag hat ein solches Szenario wahrscheinlich werden lassen. So wahrscheinlich, dass Europa nun "wirklich" sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen muss. Und zwar sofort.

Das Drama verlangt nach Erklärung

Die Geschwindigkeit, mit der Merz und seine künftige Koalition nun die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben öffnen wollen, ist dem Druck der neuen Realität angemessen. Nebenbei ist es ein deutliches Signal an Trump. Ihm zeigt die neue Bundesregierung noch vor Amtsantritt, dass sie bereit ist, die Lastenverteilung innerhalb der Nato neu zu sortieren. Solche Signale können Europa Zeit verschaffen. Politisch richtig ist die Maßnahme ohnehin.

Mit Blick auf das gigantische, 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen ist die Sache weniger eindeutig. Hier greift der Vorwurf der Wählertäuschung am ehesten. Einerseits dürfte es eine politische Entscheidung gewesen sein: Im Wahlkampf hatte die SPD argumentiert, es führe zu sozialen Spannungen, wenn Verteidigungsausgaben auf Kosten anderer Bereiche gestemmt werden müssten. Scholz warf Merz vor, diese Kosten auf "die normalen Leute" abwälzen zu wollen. Das geschieht nun nicht.

Andererseits hat Trump sich auch auf diesem Feld als noch extremer erwiesen als zu erwarten war. Zölle auf Stahl und Aluminium brachte er zwar bereits am 10. Februar auf den Weg, generelle Zölle in Höhe von 25 Prozent auf "Autos und alle anderen Dinge" kündigte er aber erst Ende Februar an, nach der Bundestagswahl.

Der Ärger darüber, dass Merz und die Union mutmaßlich wider besseres Wissen einen Wahlkampf gegen eine höhere Neuverschuldung geführt haben, ist legitim. Größer jedoch sollte die Erleichterung sein, dass sie jetzt verstanden haben, worum es geht. Notwendig ist nur noch eines: ein (designierter) Kanzler, der mit klaren Worten erklärt, wie dramatisch die Situation in der Nato, in Europa und in Deutschland ist, und warum die Kehrtwende nötig war. Spätestens bei den Beratungen im Bundestag in der kommenden Woche muss diese Rede kommen.

Quelle: ntv.de

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