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"System wohl nicht unbesiegbar" Bringt Atom-Marschflugkörper Burewestnik Russland einen Vorteil?

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Russlands Präsident Putin hatte den Marschflugkörper erstmals 2018 vorgestellt - seitdem macht er jedoch vor allem negative Schlagzeilen.

Russlands Präsident Putin hatte den Marschflugkörper erstmals 2018 vorgestellt - seitdem macht er jedoch vor allem negative Schlagzeilen.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Er soll eine nahezu unbegrenzte Reichweite haben und nicht abzufangen sein - mit markigen Worten stellt Russland seinen nuklear angetriebenen Marschflugkörper "Sturmvogel" vor. Doch was ist wirklich dran an der vermeintlichen Wunderwaffe?

Mit der Zurschaustellung einer neuen Atomwaffe sorgt Russland für Schlagzeilen: Laut Staatschef Wladimir Putin wurden die Tests des atomar betriebenen Marschflugkörpers 9M730 Burewestnik (Sturmvogel) erfolgreich abgeschlossen. Bereits 2018 hatte Putin die Waffe als Reaktion auf die Bemühungen der USA zur Errichtung eines Raketenabwehrschilds angekündigt. 2019 waren bei einem Zwischenfall mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen.

Der neue Marschflugkörper soll mit konventionellem Sprengstoff oder mit einem Nukleargefechtskopf bestückt werden können, eine enorme Reichweite haben und für aktuelle und zukünftige Raketenabwehrsysteme "unbesiegbar" sein, behauptet Russland. Doch worum handelt es sich dabei genau?

Als Marschflugkörper ist Burewestnik wie ein kleines Flugzeug mit einem Düsentriebwerk konstruiert. Nur wird der Schub nicht durch Treibstoff erzeugt, der verbrannt wird. Vielmehr erhitzt ein kleiner Atomreaktor die Luft so stark, dass sie mit hoher Geschwindigkeit durch die Düse fließt und den Marschflugkörper antreibt.

Hohe Reichweite

Weil Kernbrennstoff eine um ein Vielfaches höhere Energiedichte hat als konventioneller Treibstoff, ist auch die Reichweite des Marschflugkörpers deutlich höher. Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow sprach von einem 15-stündigen Test, bei dem der Marschflugkörper 14.000 Kilometer zurückgelegt habe. Theoretisch könnte Russland damit jeden Punkt der Erde erreichen. Allerdings fliegt Burewestnik unterhalb der Schallgeschwindigkeit, was die lange Flugzeit erklärt. Für eine Strecke rund um die Erde würde er also mindestens 40 Stunden benötigen.

Das ist vergleichsweise langsam: Atomar bestückte Interkontinentalraketen, von denen Russland mehrere hundert einsatzbereit hält, können innerhalb einer halben Stunde jeden Punkt der Erde erreichen. Die Frage ist also, welchen Vorteil Burewestnik Russland bietet. "Die Idee dahinter ist, dass es im Grunde unbegrenzt weit fliegen und somit Verteidigungsanlagen umfliegen kann", sagte Nuklearwaffenexperte Jeffrey Lewis vom Middlebury Institute of International Studies der Nachrichtenagentur Reuters. Der Sinn des Systems sei also, Raketenabwehrsysteme wie den von den USA geplanten Golden Dome zu besiegen.

Interkontinentalraketen fliegen hoch bis in den Weltraum und kommen dann in einer langen ballistischen Kurve, wie ein Wurfgeschoss, viele tausend Kilometer weiter zur Erde hinab. Ein Marschflugkörper hingegen fliegt in Bodennähe, wodurch er von landgestützten Radaranlagen theoretisch erst spät entdeckt wird.

Zweifel an Vorteil

Experten zweifeln jedoch, ob der Marschflugkörper tatsächlich einen Vorteil bietet. Der Ukraine-Krieg zeigt, dass Marschflugkörper, die mit Unterschallgeschwindigkeit fliegen, relativ einfach von modernen Flugabwehrsystemen abgeschossen werden können. "Technisch ist das machbar", kommentierte William Alberque, ehemaliger Beamter für Rüstungskontrolle bei der Nato, gegenüber dem "Wall Street Journal" das System Burewestnik. Aber mittlerweile seien Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit wichtigere Faktoren.

Denkbar wäre jedoch, dass Burewestnik seine hohe Reichweite nutzt, um potenzielle Gegner wie die USA aus Richtungen anzugreifen, die bislang weniger stark überwacht sind - etwa indem er einmal um die Erde fliegt, um aus dem Süden anzufliegen. Allerdings könnten als Reaktion auch mehr Verteidigungsanlagen gebaut und Flugzeuge eingesetzt werden, so Nuklearwaffenexperte Lewis. "Ich glaube also nicht, dass das System unbesiegbar ist, aber es ist Teil des sich verschärfenden Wettrüstens, in dem wir uns befinden."

USA stampften eigenes Programm ein

Bisher ist nicht bekannt, dass ein weiterer Staat an einem nuklearen Marschflugkörper arbeitet. Die Vereinigten Staaten haben in den 1950er und 1960er Jahren ebenfalls mit nuklearen Antrieben experimentiert. Nach erfolgreichen Tests wurde das Projekt Pluto, das einen atomar bestückbaren Marschflugkörper mit hoher Reichweite vorsah, jedoch beendet. Grund waren Bedenken, dass der radioaktive Ausstoß des Systems Menschen auf den Flugbahnen verstrahlen könnte. Vor allem aber verfügten die USA Anfang der 1960er Jahre bereits über Interkontinentalraketen, welche als besser geeignet für die atomare Abschreckung galten.

Bereits in der Vergangenheit haben Experten die Frage diskutiert, ob Burewestnik radioaktive Abgase ausstößt. Das wäre der Fall, wenn es sich um ein offenes System handelt, bei dem die Luft durch den Reaktorkern strömt. Im Westen war die Rede von einem "fliegenden Tschernobyl". Denkbar ist aber auch ein geschlossenes System, bei dem der Reaktorkern nicht mit der Luft in Berührung kommt. Unklar bleibt, welches Konzept bei Burewestnik umgesetzt wurde. Der im Exil lebende russische Nuklearexperte Pavel Podvig geht allerdings davon aus, dass es bereits entdeckt worden wäre, wenn der Marschflugkörper einen radioaktiven Auslass hätte, wie er gegenüber der Deutschen Welle sagte.

Quelle: ntv.de, kst

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