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Mensch soll dezimiert werden Corona-Pandemie folgt altem Naturprinzip

Fast acht Milliarden Menschen wohnen auf der Erde. Viele davon in dicht besiedelten Gebieten.

Fast acht Milliarden Menschen wohnen auf der Erde. Viele davon in dicht besiedelten Gebieten.

(Foto: imago images/rclassen)

Es gibt in der Biologie das ökologische Konzept "Kill The Winner" (deutsch: Tod den Siegern). Es besagt: Wenn ein Organismus besonders erfolgreich ist und sich stark vermehrt, steigt auch die Zahl seiner Gegner. Dazu zählen Raubtiere, aber auch Krankheitserreger wie Viren. Auch die Corona-Pandemie sei ein Beispiel für das "Kill The Winner"-Prinzip, sagt der österreichische Mikrobiologe Heribert Insam. Im Gespräch mit ntv.de erklärt er, warum.

ntv.de: Herr Insam, Viren hatten schon vorher keinen guten Ruf, die Corona-Pandemie hat ihn weiter beschädigt. Dabei haben sie wichtige Funktionen in Ökosystemen, die als "Kill The Winner"-Prinzip bekannt sind. Was kann man sich darunter vorstellen?

Heribert Insam: Ökosysteme und das Leben auf der Welt haben sich evolutiv entwickelt, es gibt auf allen Ebenen Räuber und Beute. Im Fall von Viren ist es so, dass sie sich sehr oft gemeinsam mit anderen Organismen evolutiv entwickelt haben. Die Viren haben etwa eine bedeutende Rolle in der Verbesserung der genetischen Vielfalt vieler Organismen. Viren sind aber auch wichtige Regulatoren in Ökosystemen. Denn sie sind besonders dann erfolgreich, wenn die Populationsdichte ihrer Wirtsorganismen besonders hoch ist. Das gilt übrigens für alle Räuber-Beute-Systeme. Bei Fuchs und Hase ist es nicht anders. Wenn die Hasen-Dichte steigt, dann steigt auch die Erfolgsrate des Fuchses, einen Hasen zu erlegen.

Und für ein Ökosystem ist es gut, wenn der "Winner" wieder dezimiert wird?

Für ein Ökosystem ist es wichtig, dass nicht irgendwelche Spezies überhandnehmen. Ein Beispiel ist die Algenblüte der Emiliania huxleyi in den Ozeanen oder die sprunghafte Vermehrung der Langschwanz-Zwergreisratte in Argentinien, die ich selbst erlebt habe. Wenn eine Bambusart in Südargentinien, die nur etwa alle 70 Jahre blüht, eine große Zahl von Samen bildet, explodiert die Population dieser Ratten. Doch die Tiere tragen auch das Hantavirus in sich, das sich bei einer höheren Populationsdichte besser überträgt. Die riesige Ratten-Population wird durch das Virus schließlich wieder dezimiert. Ohne das Hantavirus würde sich die Ratte aber weiter vermehren, aus den Bambuswäldern ausbrechen und noch viel mehr Schäden anrichten.

Sie erwähnten auch das Beispiel der Algenblüte im Ozean. Bei dieser steigt ja die Population der Algen ebenfalls sprunghaft an, wird aber durch bestimmte Viren wieder verringert. Aber wieso breitet sich das Virus erst bei einer großen Population so stark aus?

Stellen Sie sich vor, eine Algenzelle ist mit dem Virus befallen. Die Zelle zerplatzt schließlich und setzt dabei viele weitere Viren frei. Mit der Entfernung zu der befallenen Zelle nimmt die Dichte der ausgeschiedenen Viren ab. Wenn jetzt aber bei einer hohen Populationsdichte die nächste Algenzelle auf einmal sehr nah ist, dann kann sie von der Wahrscheinlichkeit her von mehr Viren befallen werden. Meistens reicht ein Virus nicht aus, um eine Zelle zu schädigen. Aber wenn es mehrere Viren auf einmal sind, dann wird es kritisch für die benachbarten Zellen.

Das entscheidende Kriterium bei "Kill The Winner" ist also die Dichte der Population?

Genau. Die Populationsdichte ist ein sehr entscheidender Faktor. Das sehen wir ja auch bei der Ausbreitung des Coronavirus zu Beginn der Pandemie. Das Virus hat sich zuerst in den großen Städten ausgebreitet. Diese Dynamik hat sich erst geändert, als man Gegenmaßnahmen eingeführt hat. Social Distancing ist ja praktisch nichts anderes, als eine Verringerung der Populationsdichte.

Der Mensch ist in diesem Fall also praktisch der "Winner". Will die Natur uns mit der Pandemie also loswerden?

Nein, die Natur verfolgt kein besonders Ziel. Aber die Chancen für Bakterien und Viren und andere Gegenspieler des Menschen, sich zu verbreiten, steigen natürlich mit der menschlichen Populationsdichte.

Der Mensch entzieht sich ja ohnehin dem "Kill The Winner"-Prinzip, wie Sie sagten, etwa durch soziale Distanzierung. Und dann gibt es ja auch noch Impfstoffe …

Ja, wir stehen schon darüber. Durch das "Kill The Winner"-Prinzip hatte sich in den Ökosystemen der Erde über viele Millionen Jahre auch ein Gleichgewicht eingestellt. Der einzige Organismus, der sich jetzt ungehemmt vermehrt, ist der Mensch. Und das bringt dieses Gleichgewicht ins Wanken.

Ist das "Kill The Winner" Prinzip eigentlich eine von den meisten Wissenschaftlern anerkannte Hypothese oder gibt es noch berechtigte Zweifel daran?

Das ist relativ anerkannt. Und es ist auch eine Hypothese, die durch sehr viele Untersuchungen bestätigt wurde. Es läuft sogar auch bei mir im Büro.

Wie das?

Dort steht eine Winogradsky-Säule, kennen Sie die?

Ja, ich habe ein Video von Ihnen gesehen, wie Sie eine bauen. Ein Ökosystem im Kleinformat ...

In einer Winogradsky-Säule breitet sich etwa eine Algenart explosiv aus und die ganze Säule färbt sich grün. Aber ein paar Wochen später ist die Alge wieder weg. Und warum ist sie weg? Weil ein Virus diese Alge angreift. Dann breitet sich etwa ein phototrophes Bakterium aus und das Spiel geht weiter. Bakteriophagen, also Bakterien-Viren, greifen dann diese Bakterien an und so bekommen die Algen wieder eine Chance. Diese Dynamik in Ökosystemen wird also durch einen ganz großen Teil durch Viren unterstützt.

Wenn Viren also von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwinden würden, hätte das dramatische Folgen für die Ökosysteme der Erde, weil sich die stärksten Organismen ungehemmt durchsetzen würden?

Ja, genau, die stärksten Organismen setzen sich durch. Aber sie erreichen dann irgendwann eine so hohe Dichte, dass es zu einem Mangel an Nährstoffen kommt. Und dann würde schließlich auch deren Population zusammenbrechen.

Mit Heribert Insam sprach Kai Stoppel

Quelle: ntv.de

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