7 von 100.000 trifft es Das rätselhafte Männerleiden Spontan-Pneumothorax
25.11.2023, 09:53 Uhr Artikel anhören
Mitunter bringt das Abhorchen beim Arzt Unschönes hervor.
(Foto: picture alliance / dpa Themendienst)
Ein Pneumothorax kann die Lunge urplötzlich zum Kollabieren bringen und für Betroffene in der Notaufnahme enden. Oft wird er durch Unfälle ausgelöst, manchmal aber auch spontan, ohne jegliches Vorzeichen. Besonders häufig sind Männer betroffen. Für die Ursachen gibt es keine eindeutige Antwort.
Ein gänzlich unerwarteter Tag in Berlin im Sommer: Ich litt seit einigen Wochen teilweise unter aufkommender Atemnot und hatte zusätzlich trockenen Husten bekommen. "Nur mal kurz zum Durchchecken" betrat ich mit wenig Sorgen eine Hausarztpaxis im Stadtteil Schöneberg und klagte mein Leid. Ob meine Probleme von einer Kortison-Therapie kommen könnten, die ich wegen einer Fußverletzung machen musste? "Nein, das macht keinen Sinn", antwortete die Ärztin und grübelte an ihrem Schreibtisch über meinen Zustand. Schließlich griff sie zu ihrem Stethoskop und horchte meine Lunge ab. "Tief einatmen" - die linke Lungenseite funktionierte. So weit, so gut. Doch dann folgte das böse Erwachen.
Bei der rechten Seite begann die Ärztin zu stutzen und schüttelte leicht den Kopf. Ich atmete immer wieder tief ein. Aber: "Da ist nichts", sagte sie mit leicht entsetztem Blick, ging zu ihrem Schreibtisch zurück und fügte hinzu: "Ich will ihnen ja keine Angst machen"- vermutlich wissend, dass genau so ein Satz erst recht Sorgen auslöst. "Womöglich ist es ein Pneumothorax. Ihre rechte Lungenhälfte könnte kollabiert sein. Das kann, je nach Art, lebensbedrohlich sein." Ich bekam eine Überweisung in die Hand gedrückt und ging direkt in die Notaufnahme des benachbarten Krankenhauses.
In der Notaufnahme ging alles sehr schnell. Nach wenigen Minuten war ein Röntgenbild gemacht. Nachdem ein Arzt es begutachtete, kam die Bestätigung: "Ihre Hausärztin hatte den richtigen Riecher". Er empfahl mir eindringlich, mir helfen zu lassen. Und ich willigte sofort ein. Ich zog mein T-Shirt aus und legte mich in ein Krankenbett in der Notaufnahme. In einer ambulanten Operation wurde mir umgehend eine Thorax-Drainage angelegt, also einen Schlauch vorbei an den Rippen und hinein in den "Pleuraraum".
Der hinterhältige Spontan-Pneumothorax
Doch was genau hatte meine Lunge zum Kollabieren gebracht? Auslöser war Luft, die in den Pleuraraum (auch Pleuraspalt oder Pleurahöhle genannt) zwischen Lungen- und Rippenfellhaut gelangt ist und den Unterdruck aufgehoben hat, der dafür sorgt, dass die Lunge ausgedehnt bleibt.

Links auf diesem Bild zu sehen: Eine Verletzung vom Pleuraraum sorgt dafür, dass die Lungenhälfte teilweise zusammengefallen ist.
(Foto: picture-alliance / Picture-Alliance)
Dass Luft dorthin entweicht, geschieht unter anderem durch Verletzungen, beispielsweise bei einem Rippenbruch. Der gebrochene Knochen sticht in die Lungenoberfläche und Luft gelangt in den Pleuraraum. "Ein Unfall ist am häufigsten für das Auftreten des Pneumothorax. Das Fußballspiel am Sonntagmorgen, ein Zusammenstoß mit auftretender Luftnot. Ein Anprall-Trauma, bei dem eine Verletzung der Lunge erfolgt", sagt der Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Helios Klinikum in Berlin, Torsten Bauer, zu ntv.de.
In meinem Fall war allerdings etwas anderes die Ursache. Es gibt noch eine hinterhältige Art der Erkrankung, ohne Unfall: Der Spontan-Pneumothorax, mit keinerlei Vorzeichen. Die mildere Version davon kann selbstständig heilen, bei schweren Fällen kollabiert die Lunge eines Tages plötzlich aus dem Nichts. Die Folge: Atemnot oder auch Brustschmerzen.
Auslöser des Ganzen sind in der Regel kleine, luftgefüllte Bläschen. "Diese Blasen befinden sich oft am oberen Rand der Lunge und können spontan platzen", so Bauer. Anschließend entweicht die Luft in den Pleuraraum.
Heikler Fall Spannungs-Pneumothorax
Und als wäre das nicht schon genug, kann in eher seltenen Fällen auch noch ein Spannungs-Pneumothorax entstehen - das war bei mir der Fall. "Hier dringt nicht nur Luft in den Spalt ein, sondern sie wird hineingepumpt und die andere Lunge zugedrückt." Diese besondere Form kann lebensbedrohlich sein und wird laut Bauer immer vom Notarzt versorgt, auch vor Ort. Ich allerdings habe mich selbst bei akuter Atemnot lange nicht in ärztliche Hände begeben - weil ich an eine Nebenwirkung vom Kortison glaubte und mein Orthopäde dies auch bestätigte - ein Fehler.
Grundsätzlich sind Menschen, die einen Pneumothorax erleiden, meist jedoch nicht in Lebensgefahr. Bauer verweist auf das "Prinzip der doppelten Organe", das die Natur für Menschenlungen vorgesehen hat. "Stechen sie links rein, passiert rechts nichts, weil die Organe komplett getrennt sind. Dass beide Lungenflügel zusammenfallen - ohne äußeres Ereignis - ist ausgesprochen selten", sagt der Chefarzt von der Lungenklinik Heckeshorn am Helios Klinikum.
Männer trifft es besonders häufig
Ein Spontan-Pneumothorax trifft Männer deutlich häufiger als Frauen. Es gibt circa sieben Fälle unter 100.000, bei Frauen sind es nur ein bis zwei. Besonders häufig betroffen sind große, schlanke Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren. Wirklich erklären kann die Medizin das nicht. Laut Bauer kann man es lediglich "intuitiv herleiten". Er verweist zum Beispiel darauf, dass schlanke Menschen weniger Puffer für ein Anprall-Trauma haben. "Der Tabak- oder Marihuanakonsum erhöht das Risiko für einen primären Spontan-Pneumothorax/Lungenkollaps erheblich", heißt es zudem bei der "European Lung Foundation". Männer haben darüber hinaus im Allgemeinen einen längeren und schmaleren Brustkorb als Frauen. Diese Form kann zu einer stärkeren Dehnung des Lungengewebes führen, insbesondere in den Lungenspitzen, was die Entstehung von Bläschen begünstigen könnte.
Schade ist: gegen einen Pneumothorax lässt sich keine Vorsorge betreiben. Es gibt kein Medikament oder dergleichen. In dauerhafter Angst, dass die Lunge irgendwann spontan kollabiert, muss man jedoch nicht leben. Bei einigen Betroffenen geht die Heilung mit ein wenig Ruhe vonstatten, bei anderen Patienten reicht das Anlegen einer Thorax-Drainage für ein paar Tage aus - wenngleich die mit Schmerzen verbunden ist. "Bei acht von zehn Patienten geht es ohne Operation", schätzt Bauer. Allerdings gibt es die Gefahr, dass ein Pneumothorax wieder auftritt - dann wird in der Regel operiert, um das Problem möglichst nachhaltig zu beseitigen.
Auch in meinem Fall versuchte man es erst mit einer konservativen Behandlungsmethode ohne Operation. Doch ohne Thorax-Drainage kollabierte meine rechte Lunge erneut. Es half nur eine OP, um die Bläschen endgültig zu entfernen. Zwei Wochen lag ich insgesamt im Krankenhaus und konnte mich in dieser Zeit nur wenig bewegen. Zudem musste ich durchgängig Schmerzmittel zu mir nehmen. Die OP mit Vollnarkose dauerte etwa eine Stunde. Anschließend bleiben Patienten noch für einige Tage im Krankenhaus, ehe es nach Hause geht. Drei Narben sind bei mir geblieben, Sport war von ärztlicher Seite aus mindestens für vier Wochen verboten. Eine weitere Begleitung durch einen Lungenarzt wurde mir dringend empfohlen.
Was bleibt, ist ein gewisses Gefühl der Ungerechtigkeit. Eine Krankheit, die besonders jüngere, schlanke Menschen trifft, die oft auch noch sportlich sind, warum gibt es das? Und warum lässt es sich nicht verhindern?
Seit vielen Jahrzehnten wird zum Pneumothorax geforscht, das medizinische Vorgehen bei einer Behandlung ist Routine für Ärzte. "Früher zur Tuberkulose-Zeit wurde ein künstlicher Pneumothorax zur besseren Heilung extra angelegt", sagt Bauer. Thomas Mann erzählt in seinem Jahrhundertoman "Zauberberg" von 1924 davon. Erst später wurden Tuberkulose-Medikamente erforscht. Bis heute lässt sich in Bezug auf Ursachen für einen Spontan-Pneumothorax trotzdem oft keine eindeutige Antwort geben. Ob sich daran in Zukunft etwas ändert, ist ungewiss. In Krankenhäusern sind die Patienten, auch wenn sie nicht allzu häufig vorkommen, Normalität. Und das wird auch so bleiben.
Quelle: ntv.de