Bei Wechseljahresbeschwerden Die Hormontherapie ist zurück
25.06.2023, 13:31 Uhr
Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden schlucken - dagegen gab und gibt es Bedenken. Aber jüngere Studien zeigen ein positiveres Bild.
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Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden einzusetzen, dagegen gab es lange Bedenken. Grund war eine Studie von 2002, die damit ein erhöhtes Brustkrebsrisiko verband. Mit neueren Erkenntnissen wandelt sich jedoch der Blick auf Hormontherapien wieder.
Hitzewallungen, Depressionen, Knochenschwund: Die Wechseljahre können mit zahlreichen Symptomen einhergehen, die für Frauen eine große Belastung sind. Aus Angst vor Brustkrebs und anderen Risiken scheuen sich viele von ihnen allerdings, Hormone einzunehmen - eine Angst, die Experten zufolge auch auf veralteten Vorstellungen von entsprechenden Therapien beruhen kann. Für viele Mediziner sind diverse Arten der Hormonersatzbehandlung heute wieder Mittel der Wahl, wenn keine Risikofaktoren dagegensprechen.
Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) fühlt sich etwa jede dritte Frau in den Wechseljahren so wie zuvor. Ein weiteres Drittel habe Phasen mit leichten Beschwerden und ein Drittel berichte von wirklich belastenden Begleiterscheinungen. Symptome wie Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Schlafprobleme, Blasenschwäche und Scheidentrockenheit können unterschiedlich stark sein. Der Deutschen Menopause Gesellschaft zufolge können die Symptome bis zu zehn Jahre vor der letzten Regelblutung auftreten und mehr als ein Jahrzehnt andauern.
Belastend im Alltag und bei der Arbeit
Wie belastend sich dies nicht nur auf den Alltag betroffener Frauen, sondern auch auf ihre Berufstätigkeit auswirken kann, zeigten bereits mehrere Studien aus Großbritannien sowie zuletzt aus den USA. So ergab eine im April veröffentlichte Befragung der Mayo Clinic unter 4400 berufstätigen Frauen, dass 13 Prozent von ihnen Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz aufgrund von Menopausen-Symptomen erlebten und etwa elf Prozent berichteten, wegen dieser Symptome ein oder mehr Tage ausgefallen zu sein.
"Die Komplexität der Erfahrungen von Frauen in den Wechseljahren wird noch dadurch verstärkt, dass das Thema tabuisiert wird, insbesondere am Arbeitsplatz, was die psychische Belastung durch die Symptome möglicherweise noch erhöht", merkte Hauptautorin Ekta Kapoor in einer Mitteilung zu der in "Science" veröffentlichten Studie an.
Hormonpräparate lindern Beschwerden effektiv
Viele der Beschwerden ließen sich mit Hormonpräparaten effektiv lindern. Denn in den Wechseljahren verringert sich mit dem Ende der furchtbaren Phase im Leben einer Frau die Produktion der weiblichen Geschlechtshormone. Dem kann unter anderem mit einer Monotherapie (Östrogen; nur nach Gebärmutterentfernung indiziert) oder mit einer Kombinationstherapie (Gestagen und Östrogen) begegnet werden. Doch vor allem die Veröffentlichung einer Studie der Women's Health Initiative (WHI) 2002 sorgte lange Zeit für Bedenken: Diese hatte einen Zusammenhang zwischen Hormonersatztherapien und einem erhöhten Brustkrebsrisiko nahegelegt, was sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Patientinnen abschreckte.
So ergab ein Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse 2022, dass hierzulande nur noch etwa sechs Prozent der erwerbstätigen Frauen zwischen 45 und 65 Jahren Hormonpräparate gegen Beschwerden in den Wechseljahren einnehmen - im Jahr 2000 waren es noch 37 Prozent.
Zudem veränderte die Veröffentlichung den Fokus der Wissenschaft: Nach 2002 beschäftigten sich die meisten Forschungsarbeiten mit den möglichen Risiken von Hormontherapien und kamen dabei zu teils widersprüchlichen Ergebnissen, wie eine im Fachblatt "Frontiers in Medicine" publizierte Literaturanalyse 2022 zeigte.
"Heute Frauen viel besser aufgeklärt"
"Direkt nach der WHI-Studie war die Situation katastrophal", erinnert sich Peyman Hadji, Leiter des Hormon- und Osteoporosezentrums Frankfurt. Mittlerweile habe sich der Blick auf Hormontherapien allerdings wieder verändert und das nicht nur auf medizinischer, sondern auch auf Patientinnen-Seite: "Heute sind die Frauen viel besser aufgeklärt", so Hadji, der auch Vorstandsmitglied der Deutschen Menopause Gesellschaft ist. Nichtsdestotrotz gebe es berechtigte Ängste zum Zusammenhang zwischen Hormontherapie und Brustkrebs: "Allerdings verursachen Östrogene keinen Krebs, sonst hätte jede Frau mit 50 Brustkrebs. Vielmehr können die Hormone das Tumorwachstum beschleunigen, was das leicht erhöhte Risiko, das in den entsprechenden Studien beschrieben wird, erklärt", so der Arzt.
Tatsächlich wurden die Sorgen noch einmal neu angefacht, als eine Meta-Analyse der University of Oxford 2019 erneut auf ein erhöhtes Brustkrebsrisiko hinwies. Diese Arbeit habe allerdings nicht nur qualitative Mängel, sondern auch Fortschritte der Hormontherapie komplett ignoriert, kritisiert Hadji: "Die Hormonpräparate von heute sind mit denen von vor 20 Jahren nicht vergleichbar." Damals habe es vor allem ein hoch dosiertes Präparat für alle Patientinnen gegeben, das auf Stutenurin basierte mit einem Gemisch aus Östrogenen und einem ungünstigen Gelbkörperhormon. "Mittlerweile werden ganz andere, natürliche Östrogene verwendet und das auch in einer wesentlich niedrigeren Dosierung, die es nicht nur in der früher üblichen Tablettenform gibt, sondern zum Beispiel auch als Gele, Sprays oder Pflaster", führt der Mediziner aus. Die Anwendungen über die Haut hätten darüber hinaus den Vorteil, dass sie viel individueller verschrieben werden könnten und kein Thrombose-Risiko entfalteten.
Geringeres Risiko durch Hormone per Scheidenzäpfchen
Erst kürzlich hatte eine im Fachblatt "Hypertension" veröffentlichte große Studie zudem nahegelegt, dass als Pillen genommene Hormone mit einem größeren Risiko für Bluthochdruck verbunden sind als andere Darreichungsformen. Das geringste Risiko dafür gehe von nicht-oralen Präparaten mit Östriol aus. Diese gibt es zum Beispiel in Form von Scheidenzäpfchen, die eine wesentlich geringere Wirkung hätten. Sie hätten zudem auch keinen Einfluss auf das Brustkrebsrisiko, so Experte Hadji.
Mit den neuen Therapieformen scheint sich auch die wissenschaftliche Perspektive wieder auf die Vorteile der Hormontherapie und eine klarere Einordnung möglicher Risiken verschoben zu haben, wie einige Forschungsergebnisse der jüngsten Zeit deutlich machen. So ergab eine Arbeit chinesischer Wissenschaftler vor Kurzem, dass eine Hormontherapie dazu beitragen könnte, das Lungenkrebs-Risiko zu senken.
"Timing ist alles"
Eine andere Studie aus den USA geht im Fachblatt "Jama Neurology" auf das im Vergleich zu Männern bei Frauen erhöhte Alzheimer-Demenz-Risiko ein: Dieses sei bei ihnen noch einmal ausgeprägter, wenn sie bei Eintreten der Menopause jünger seien. Werde in einem solchen Fall allerdings zeitig eine Hormontherapie begonnen, zeige sich dieser Risikoanstieg nicht. "Wenn es um Hormontherapie geht, ist das Timing alles", erklärt Mitautorin JoAnn Manson von der Harvard Medical School in einer Mitteilung. Schon ältere Ergebnisse aus der WHI-Studie hätten darauf hingedeutet, dass ein früher Beginn der Hormonbehandlung in den Wechseljahren zu besseren Ergebnissen bei Herzerkrankungen, kognitiven Funktionen und der Gesamtmortalität führe als ein später Beginn.
Auch Experte Hadji betont die Wichtigkeit des Timings: "Eine Hormontherapie kann schützende Effekte für das Herz-Kreislauf-System haben, das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 um bis zu 30 Prozent senken und eine Arthrose vorbeugen - aber nur dann, wenn möglichst früh mit ihr begonnen wird." Ebenso sei ein zeitiger Beginn für die Prävention und Behandlung von Osteoporose vorteilhaft. Erst kürzlich hatte eine Untersuchung chinesischer Wissenschaftler die Vorteile von Hormontherapien für die Knochendichte bestätigt, wobei der Schutz vor Knochenschwund über das Absetzen der Behandlung hinaus anhalte.
Plädoyer für "pragmatischen Ansatz"
Der differenziertere Blick auf Vor- und Nachteile der Hormontherapie drückt sich auch in einer neuen Übersichtsarbeit unter Leitung kanadischer Medizinerinnen aus, die für einen "pragmatischen Ansatz für die Behandlung der Menopause" plädieren. Sie empfehlen im "Canadian Medical Association Journal" eine Hormontherapie bei entsprechendem Leidensdruck als Erstbehandlung bei Frauen ohne Risikofaktoren.
Die Identifikation solcher Risikofaktoren ist laut Hadji bei der Entscheidung für oder gegen eine Hormontherapie auch zentral, wenn es um ein mögliches Schlaganfallrisiko geht: "Einer adipösen, rauchenden Patientin, die älter als 65 Jahre ist, sollte man keine Hormone empfehlen." Ebenso verböte sich eine Hormontherapie bei Frauen mit Brustkrebsvorstufen, da diese meist hormonsensibel seien, sowie bei Patientinnen mit bestimmten Vorerkrankungen.
Letztendlich müsse jede Frau selbst entscheiden, ob eine Hormonbehandlung für sie das richtige sei, betont Hadji. "Die Studien zeigen, dass das Brustkrebsrisiko erst nach vier bis fünf Jahren einer Hormontherapie leicht ansteigt, dann aber auch wieder sinkt, wenn die Behandlung beendet wird." Behandlungen über diese fünf Jahre hinaus seien allerdings im individuellen Fall möglich - und würden auch von vielen Patientinnen gewünscht, so die Erfahrung des Arztes: "Einige meiner Patientinnen nehmen die Hormone schon seit 20 Jahren und wollen sie in keinem Fall absetzen, weil sie merken, dass dann ihre kognitiven Fähigkeiten und ihre Muskelkraft nachlässt."
Nichthormonelle Alternativen
Zumindest zur Behandlung der sogenannten vasomotorischen Beschwerden, also der Hitzewallungen und Schweißausbrüche, könnte es allerdings bald auch eine nichthormonelle Alternative geben: Anfang Mai wurde in den USA Fezolinetant von der dortigen Arzneimittelbehörde zugelassen, ein Wirkstoff, der bestimmte Neurotransmitter im Gehirn blockiert. In einem "Nature"-Kommentar wird die Zulassung als Zeichen dafür gewertet, dass die Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Wechseljahresbeschwerden endlich ernst genommen werde. Vor allem aber stünden Fezolinetant und ähnliche in der Entwicklung befindliche Medikamente für ein Umdenken: "weg von der Menopause als Erkrankung der weiblichen Fortpflanzungsorgane, hin zu einer Betrachtung der neurologischen Ursachen und Auswirkungen."
Auch die BZGA betont, es gebe kein Patentrezept, das für jede Frau in den Wechseljahren passe. Sie verweist jedoch neben einer Hormontherapie auch auf andere Methoden wie mehr Bewegung oder mehr Erholung und Entspannung, Gleitmittel oder spezielle Pflegecremes und auch auf Beratungen in Frauengesundheitszentren.
Quelle: ntv.de, Alice Lanzke, dpa