Sechs Stunden Herzstillstand "Die Kälte rettete ihr Leben"
06.12.2019, 16:27 Uhr
Die Frau verunglückte bei der Überquerung der Pyrenäen - doch sie überlebte trotz des langen Herzstillstands.
(Foto: AP)
Eine Britin bricht zu einer Überquerung der Pyrenäen auf. Mitten im Schneesturm erleidet die 34-Jährige einen Herzstillstand. Erst sechs Stunden später wird sie wiederbelebt - praktisch ohne Schaden davonzutragen. Der Arzt Christoph Specht spricht mit n-tv.de darüber, ob und wie das möglich ist, über einen ähnlichen Fall in Norwegen und wie die Medizin das Phänomen nutzen kann.
n-tv.de: Eine Britin soll in Spanien nach einem sechsstündigen Herzstillstand wiederbelebt worden sein. Das klingt mehr als mysteriös.
Dr. Christoph Specht: Zunächst einmal kann man das tatsächlich kaum glauben. Sechs Stunden lang ohne Kreislauf bedeutet ja sechs Stunden, ohne dass Blut durch ihren Körper gepumpt wurde. Und dann wurde sie ja nicht nur wiederbelebt, sondern hat das Ganze offenbar auch ohne größere Schäden überstanden.
Also stimmt da was nicht?
Nein, das wollte und würde ich nicht sagen. Denn in der Tat ist so etwas möglich.
Wie das?
Der Trick dabei oder besser die Antwort auf die Frage liegt in der Kälte. Das ist ja in einer sehr kalten Umgebung passiert. Die Frau ist in einen Schneesturm gekommen und wurde extrem unterkühlt. Und das hat ihr gleichzeitig, so unglaublich es erscheint, geholfen. Die Kälte rettete ihr Leben.
Können Sie das etwas genauer erklären?
Man muss dazu wissen, dass ein Körper normalerweise immer durchblutet wird und auch durchblutet werden muss. Das wissen wir ja alle. Denn das Blut fördert den Sauerstoff und dieser Sauerstoff wird ins Gewebe, ins Gehirn aber auch sonst in die Muskeln, kurz überallhin abgegeben. Ohne Sauerstoff funktioniert das Ganze nicht.
Ja eben, aber sechs Stunden ohne Sauerstoff …
… acht Sekunden ohne Sauerstoff sind schon viel. Acht Sekunden reichen schon aus. Wenn das Blut so lange nicht fließt, sagt das Gehirn: "Dankeschön, ich gehe jetzt mal in den bewusstlosen Modus über". Und je länger das Ganze geht, umso stärker wird leider das Gewebe, in dem Fall das Hirngewebe, geschädigt. Und zwar so, dass es sich nicht mehr erholt. Nach einer Minute ohne Sauerstoff im Hirn gibt es schon bleibende Schäden. Das kann man noch überleben. Manche Zellen können dann die Funktion wieder übernehmen im Laufe der Zeit. Aber da sind dann schon bleibende Schäden zu verzeichnen. Fünf, sechs Minuten Stillstand ohne Sauerstoff im Hirn, das überlebt letztlich keiner.
Reanimation ist dann ausgeschlossen?
Nun, das ist in gewisser Weise das Problem beim Reanimieren. Wenn man als Notarzt irgendwo hinkommt und nicht weiß, wann der Kreislaufstillstand eingetreten ist, dann muss man ja selber einschätzen: Macht hier ein Reanimationsversuch überhaupt noch Sinn?
Wie kann das dann nach sechs Stunden noch funktionieren?
Bei der Britin in Spanien war es jetzt anders. Es war sehr kalt. Die Frau lag also offensichtlich im Schnee. Sie hatte ihr Bewusstsein schon verloren. Man darf davon ausgehen, dass sie schon, als sie noch bei Bewusstsein war, stark unterkühlt war. Und das war ein großer Vorteil. Denn Zellen brauchen umso weniger Sauerstoff, überhaupt Nährstoffe, je kälter sie sind.
Erfriert man da nicht einfach?
Nun, die Frau hatte in der Tat eine stark abgesunkene Körper-Kerntemperatur von nur noch 18 Grad. Das ist extrem wenig. Unser Körperkern muss um die 36 haben, damit alles normal funktioniert. 18 Grad ist die Hälfte. Das ist mit dem Leben normalerweise nicht vereinbar.
Also war die Britin in gewisser Weise "eingefroren" und daher "vermissten" der Körper und auch das Hirn die fehlende Energie und den ausbleibenden Sauerstoff gar nicht?
Ja, so könnte man das sagen.
Und wie wurde sie dann wieder "aufgetaut" und zu Leben erweckt? Braucht man da Hightech-Geräte?
Das ist an sich nichts extrem Besonderes. Vom Prinzip braucht man eine Herz-Lungen-Maschine, also eine Maschine außerhalb des Körpers, relativ groß. Diese Maschine übernimmt die Funktion der Lunge, also die Anreicherung des Blutes mit Sauerstoff und auch die Herzfunktion. Solche Maschinen benutzt man normalerweise bei großen Operationen, zum Beispiel am Herzen oder auch bei einer Herz- oder Lungentransplantation. Wenn man die Herzfunktion auf null bringen muss, dann gibt es keinen Herzschlag mehr, und irgendjemand muss sich darum kümmern, dass das Blut noch fließt, also die Maschine.
Normalerweise werden Herz-Lungen-Maschinen also nicht bei der Wiederbelebung eingesetzt?
Das stimmt. Das Neue ist, dass man nun eine Herz-Lungen-Maschine bei der Wiederbelebung eingesetzt hat. Und offensichtlich damit auch sehr erfolgreich war. Man hat also angefangen, das Blut der unterkühlten Britin wieder zu bewegen. Dadurch wurde das Gewebe wieder mit Sauerstoff und Energie versorgt. Wichtig dabei ist, wie schnell das Ganze durchgeführt wird. Da gibt es noch nicht so fürchterlich viel Erfahrung.
Wie schnell geht das denn?
Da kommt es wirklich darauf an, bei welchen Verhältnissen welche Temperatur-Erhöhung wie sinnvoll ist. Was man weiß: Es sehr schnell zu machen, ist nicht gut, weil dann der Bedarf der Zellen an Sauerstoff viel schneller steigt als der Sauerstoff zur Verfügung gestellt werden kann. Wenn man die Temperatur-Erhöhung unterkühlter Körper zu langsam macht, ist es auch nicht gut. Denn das halten die Zellen auch nicht aus. Also muss man ein Mittel finden, langsam und schonend genug, aber andererseits auch schnell genug, damit der Sauerstoffbedarf der Zellen gedeckt wird.
Gab es schon mal ähnliche Fälle?
Es gibt einen sehr interessanten Fall in diesem Zusammenhang. Der ist genau vor 20 Jahren passiert, 1999 in Norwegen. Da ist eine junge Medizinstudentin mit ihren Kommilitonen Skifahren gewesen und in einen Eisbach geraten. Die Kumpels haben versucht, sie zu befreien. Es klappte nicht. Die Frau war so unglücklich gestürzt, dass sie sich nicht mehr befreien konnte. Sie war mit dem ganzen Körper unter Wasser. So ein Eisbach hat etwa vier Grad und der Körper der Studentin wurde extrem heruntergekühlt. Glücklicherweise war sie mit dem Kopf gerade noch über Wasser, sodass sie atmen konnte. Das ging aber nicht lange gut. Die Frau hat dann relativ bald das Bewusstsein verloren, schon allein aufgrund der Unterkühlung. Um es kurz zu fassen: Sie war drei bis vier Stunden bewusstlos und vor allem auch ohne Herzschlag. Da passierte gar nichts mehr. Sie wurde dann gerettet, mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen und dort zeigte sich, dass sie eine Körper-Kerntemperatur von 13,7 Grad hatte. Das ist die niedrigste Temperatur bei einem Menschen, die jemals wissenschaftlich dokumentiert wurde. Also bei jemandem, der überlebt hat.
Wie geht es der Frau heute?
Sie ist heute Radiologin. Sie hat so gut wie überhaupt keine Ausfälle. Manchmal spürt sie an den Händen noch etwas, sagt sie. Aber sie hat es quasi folgenlos überlebt. Das Hirn hat keinerlei Schäden davongetragen. Auch hier war wieder das große Glück im Unglück, dass sie gerettet wurde, klar, aber dass ihr Körper eben auch sehr, sehr heruntergekühlt war über die Stunden bis zur Bergung und deswegen die Zellen wenig Sauerstoff gebraucht haben.
Kann man dieses Körperverhalten, also Reduzierung des Sauerstoff- und Nährstoffbedarfs bei Herunterkühlen der Körper-Kerntemperatur, denn auch kontrolliert anwenden?
Ja. Dieses Runterkühlen benutzt man tatsächlich in der Medizin. Hin und wieder.
Wo zum Beispiel?
Bei bestimmten Operationen. Vor Kurzem gab es dazu eine Studie in den USA. Die Endergebnisse sind aber noch nicht da. Da hat man schwerst verletzte Patienten, zehn an der Zahl, eingeteilt in zwei Gruppen. Die eine Gruppe wurde, so gut es ging, sofort operiert. Die meisten Patienten dieser Gruppe, das kann man schon sagen, sind verstorben. Es war von Anfang an klar, dass diese Menschen, die Schuss- oder Stichverletzungen hatten und sehr, sehr viel Blut verloren hatten, dem Tod geweiht waren. Denn so schnell kann man gar nicht operieren und den Blutverlust ausgleichen.
Und die andere Hälfte?
Die andere Hälfte der Verletzten hat man heruntergekühlt, um Zeit zu gewinnen, damit man überhaupt operieren kann. Die Ergebnisse, welcher Patient aus dieser zweiten Gruppe, mit welchen Schäden überlebt hat, liegen noch nicht vor. Aber man sieht, daran wird geforscht. Weil es natürlich immer darum geht: Wie können wir es hinkriegen, Zellen, den Menschen letztlich insgesamt, länger einen solchen Herzstillstand überleben zu lassen?
Mit Dr. Christoph Specht sprach Tilman Aretz
Quelle: ntv.de