HPV-Fälle in Deutschland Eine Impfung gegen Krebs - doch zu wenige nutzen sie


In Deutschland sind nur 54 Prozent der 15-jährigen Mädchen und 27 Prozent der gleichaltrigen Jungen gegen HPV geimpft.
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Was bei vielen Krebserkrankungen nicht möglich oder erst in der Zukunft denkbar ist, gibt es bereits seit bald zwei Jahrzehnten für den Schutz vor Gebärmutterhals- oder Analkrebs und Kopf-Hals-Tumoren: die HPV-Impfung. Doch während viele Länder Impferfolge feiern, hinkt Deutschland hinterher.
Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Impfung gegen Krebs, sie würde aber nur wenig genutzt. Klingt absurd? In Deutschland ist Fachleuten zufolge aber genau das "traurige Realität", wenn es um Humane Papillomaviren (HPV) geht. Die beim Sex übertragenen Viren verursachen verschiedene Krebsarten, von denen ein Großteil verhindert werden könnte, betont die Deutsche STI Gesellschaft (DSTIG). Schließlich gibt es seit fast 20 Jahren sichere und wirksame Impfungen gegen HPV. Doch in Deutschland lassen sich viel zu wenige Menschen impfen - mit fatalen Folgen.
Humane Papillomviren kommen auf der Haut und den Schleimhäuten vor. "Übertragen werden die Erreger hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr, aber auch durch engen Körperkontakt", erklärt Norbert H. Brockmeyer, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten und DSTIG-Präsident, im Gespräch mit ntv.de. Es gibt mehr als 200 HPV-Typen. Die meisten sind für Menschen ungefährlich und verursachen schlimmstenfalls unschöne, schwierig zu behandelnde, aber gutartige Warzen im Anal- und Genitalbereich.
"Doch es gibt auch sogenannte Hochrisiko-HPV-Typen", sagt Brockmeyer. Wenn sich diese aggressiven Typen im Genitaltrakt oder in der Rachenschleimhaut einnisten, können sie Gebärmutterhals-, Anal-, Penis-, Vulva-, Vaginal- und Rachenkrebs verursachen. Aber auch aus den zunächst harmlosen Genitalwarzen können sich dem Mediziner zufolge manchmal nach vielen Jahren ebenfalls invasive Karzinome bilden.
Erfolgsgeschichten aus anderen Ländern
Dank Harald zur Hausen müsste es jedoch erst gar nicht so weit kommen: Der deutsche Forscher entdeckte bereits 1976 den Zusammenhang zwischen HPV und Krebs. Er konnte beweisen, dass humane Papillomviren Gebärmutterhalskrebs, die bis dahin häufigste Krebserkrankung bei jungen Frauen verursacht - und legte so die Grundlagen für Impfstoffe, von denen der erste 2006 seine Wirkung unter Beweis stellte. Im Jahr 2008 wurde zur Hausen für seine Forschungsergebnisse mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt.
Die Ständigen Impfkommission (STIKO) empfiehlt die HPV-Impfung für Mädchen seit 2007 und für Jungen seit 2018 ab dem Alter von 9 Jahren. Idealerweise sollte die Impfung vor Aufnahme erster sexueller Kontakte durchgeführt werden. Auch danach können und sollten ungeimpfte Mädchen und Jungen noch gegen HPV geimpft werden. Selbst wenn es dann schon zu einer HPV-Infektion gekommen sein sollte, kann die Impfung trotzdem noch einen Schutz vor den anderen im Impfstoff enthaltenen HPV-Typen bieten. Je früher die Impfung nachgeholt wird, desto besser.
Etwa zur gleichen Zeit starteten etliche Länder mit den Impfungen - darunter Deutschland, Großbritannien, Portugal und Australien. Das Ziel war, durch sogenannte Herdenimmunität das Virus in den Griff zu bekommen und so dem gefährlichen Gebärmutterhalskrebs bei jungen Frauen und etlichen anderen HPV-assoziierten Tumoren ein Ende zu setzen.
Das Ergebnis lässt sich heute, 16 Jahre später, sehen: Portugal ist mit einer stolzen Impfquote von 95 Prozent bei jungen Mädchen inzwischen Europameister. Australien erreicht mehr als 80 Prozent der Mädchen und 75 Prozent der Jungen über seine ambitionierte Impfkampagne. Großbritannien präsentiert zwischenzeitlich ähnlich gute Ergebnisse. In Schottland ist der aggressive Gebärmutterhalskrebs sogar gänzlich verschwunden. Laut den Daten der Gesundheitsbehörde Public Health Scotland ist dort bei Frauen, die seit 2008 gegen HPV geimpft wurden, kein einziger Fall von Gebärmutterhalskrebs mehr aufgetreten.
Hunderte Frauen sterben an Gebärmutterhalskrebs
Und Deutschland? Von solchen Erfolgsgeschichten kann man hierzulande bislang nur träumen. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 6250 Frauen und 1600 Männer neu an HPV-assoziierten Karzinomen, wie aus einem Bericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervorgeht. An der häufigsten Form, dem bösartigen Tumor des Gebärmutterhalses (Zervixkarzinom) erkranken jährlich immer noch im Schnitt 4600 Frauen. Jede dritte stirbt daran, oft schon im mittleren Erwachsenenalter.
Die Ursache: Ein zu geringer Teil der Jugendlichen in Deutschland ist gegen HPV geimpft, nur 54 Prozent der 15-jährigen Mädchen und 27 Prozent der gleichaltrigen Jungen. Diese Zahlen seien sehr traurig, sagt Brockmeyer. "Im Europavergleich liegen wir gerade einmal auf dem 17. Platz bezüglich der HPV-Impfung - und das in einem Staat wie der Bundesrepublik Deutschland mit einem sonst immer noch hervorragenden Gesundheitssystem."
Die HPV-Impfquoten stagnieren dem RKI zufolge. Andere Daten, wie zum Beispiel die der Krankenkasse DAK-Gesundheit, zeigten sogar, dass die HPV-Impfraten bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren sogar stark zurückgegangen seien, sagt Brockmeyer. Eine Durchimmunisierung der Bevölkerung, wie es andere Länder bereits geschafft haben, gelinge so in Deutschland nicht.
Impfungen sind wirksam und sicher
Vor allem eine fehlende Impfkampagne an den Schulen beklagt Brockmeyer. "In Großbritannien, Portugal, Australien und Co. sind die Erfolge in erster Linie darauf zurückzuführen, dass man in die Schulen gegangen ist und dort die Kinder und Jugendlichen direkt angesprochen hat." Warum Deutschland diesbezüglich so zögerlich sei, verstehe er nicht. Zwar starte derzeit Bremen mit einem Schul-Impfprogramm, solche freiwilligen Programme müsste es allerdings bereits flächendeckend geben, kritisiert Brockmeyer. Er sieht die Gesundheits- und Kultusministerien in der Pflicht.
Dem Impffortschritt habe sicherlich auch die große Impfgegnerschaft Anfang der 2010er-Jahre geschadet, sagt Brockmeyer. "Das Vakzin wurde schlechtgeredet, die Wirksamkeit infrage gestellt - die Skepsis fruchtete leider auch in Deutschland." Dabei sei die Schutzimpfung gegen HPV hochwirksam und sehr verträglich.
Die Ständigen Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Spritze für Mädchen seit 2007 und für Jungen seit 2018 ab dem Alter von 9 Jahren. "Manchen Eltern mag die Altersempfehlung recht früh erscheinen. Hier muss man bedenken, dass HPV-Viren auch durch enge körperliche Kontakte, wie sie bei Kindern häufig erfolgen, und nicht nur durch Geschlechtsverkehr übertragen werden können", erklärt Brockmeyer. "In einer Studie fanden wir heraus, dass rund 20 Prozent der Menschen, die mit aggressiven HPV-Typen im Genitalbereich infiziert sind, diese auch im Mund haben." Das zeige, wie leicht die Viren übertragbar seien.
"Wir müssen darüber sprechen"
Auch die Europäische Kommission will sich stärker für den Kampf gegen HPV-bedingte Krebserkrankungen einsetzen. Ziel ist es, dass bis 2030 neun von zehn der infrage kommenden Mädchen und ein erheblicher Teil der Jungen gegen HPV geimpft sind. Davon ist Deutschland noch weit entfernt.
Dennoch hat Brockmeyer Hoffnung, dass gesellschaftlich und politisch die Notwendigkeit einer freiwilligen Impfberatung an den Schulen eingesehen wird und "wir dann endlich an die Erfolge der anderen europäischen Länder anknüpfen werden". "Geschlechtskrankheiten sind für viele Menschen ein unangenehmes Thema, dabei ist es besonders wichtig, gerade über diese zu sprechen", sagt der Mediziner. Das würde viel Leid ersparen. Schließlich sind laut Experten 40 Prozent aller Krebsfälle in der EU vermeidbar - in vielen Fällen mit nur einem kleinen Piks.
Quelle: ntv.de