
Wenn um einen herum gekifft wird, ist das erst einmal kein Grund zur Panik.
(Foto: picture alliance / Rainer Keuenhof)
Mit der Legalisierung von Cannabis könnte schon bald auch in Raucherkneipen, Biergärten und Clubs gekifft werden. Doch was passiert, wenn man den Rauch ungewollt einatmet. Wird man davon high? In der Theorie ist das durchaus möglich, zeigen Studien. Doch es kommt auf die Menge an.
Seit Ostermontag ist Cannabis weitestgehend legal. Damit ist auch das Kiffen in der Öffentlichkeit erlaubt, sofern in der Nähe keine Schulen, Kitas oder Spielplätze stehen. Doch was, wenn im Park die Marihuana-Schwaden von der Gruppe nebenan rüberziehen, im Biergarten am Nachbartisch ein Joint angezündet wird oder auf der Tanzfläche im Club jemand direkt neben einem kifft? Kann man durch das Passivrauchen von Cannabis ebenfalls high werden?
Diese Gefahr ist laut Drogenforscher Bernd Werse von der Frankfurter Goethe-Universität eher gering. Entscheidend sei, wie viel im Umfeld tatsächlich gekifft werde, sagt der Experte der Deutschen Presse-Agentur. Ein einzelner, in einer Kneipe gerauchter Joint habe auf passive Konsumenten wohl keinen Effekt. "Hält man sich allerdings in einem kleinen Raum auf, in dem viele Joints gleichzeitig kursieren, wird man wahrscheinlich auch durch den Passivrauch einen gewissen Rausch abbekommen", erklärt Werse.
Unter extremen Bedingungen
Mehrere Studien haben nachgewiesen, dass eine passive Inhalation von THC - der berauschende Wirkstoff von Cannabis - aus der Umgebungsluft tatsächlich möglich ist und zu erheblichen THC-Konzentrationen im Blut und Urin führen kann. Bereits in den 1980er Jahren hatte ein skandinavisches Forschungsteam die Auswirkungen des Passivrauchens von Marihuana untersucht. Dafür wurden fünf Nicht-Kiffer in einem Kleinwagen Cannabisrauch ausgesetzt. In dem winzigen Raum atmeten sie eine halbe Stunde lang den Rauch von sieben Joints ein.
Das Ergebnis: Die Passivraucher hatten anschließend eine THC-Spitzenkonzentration von 1,3 bis 6,3 Nanogramm je Milliliter Blutserum (ng/ml). Aktuell gilt im deutschen Straßenverkehr noch ein Grenzwert von 1 ng/ml, diskutiert wird jedoch über eine Erhöhung auf 3,5 ng/ml. Die Probanden der Studie lagen zwischenzeitlich weit über diesen Grenzwerten.
Auf die skandinavische Studie folgten im Laufe der Jahre etliche weitere Untersuchungen, die zu ähnlichen Ergebnissen kamen. Doch alle traf die gleiche Kritik: Sie wurden unter extremen Bedingungen durchgeführt, die im wahren Leben auf diese Weise nur äußerst selten vorkommen. So ist es selbst nach der Cannabis-Legalisierung nur wenig realistisch, dass der Beifahrer neben einem innerhalb von 30 Minuten sieben Joints raucht.
THC kaum nachweisbar
Ein Forschungsteam der Universitäten Mainz und Jena hatte daher in einer neueren Studie, die im Fachmagazin "Journal of Analytical Toxicology" veröffentlicht wurde, ein Setting gewählt, welches sich mehr an der Alltagswirklichkeit orientierte. So mussten acht Personen, vier Männer und vier Frauen, für drei Stunden in einem niederländischen Coffeeshop ausharren, ohne selbst zu konsumieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten zu mehreren Zeitpunkten das Blut und den Urin der Probanden auf die THC-Konzentration.
Tatsächlich unterschied sich ihr Ergebnis massiv von denen vorangegangener Studien. Denn der mehrstündige Aufenthalt in dem Coffeeshop hatte die THC-Werte im Blut von den Probanden nicht ernsthaft erhöht. "Selbst wenn alle 25 Gäste gleichzeitig Cannabis geraucht hätten, wäre es unmöglich gewesen, in einem Raum mit einem Volumen von etwa 200 Kubikmetern THC-Luftkonzentrationen in der Größenordnung der THC-Luftkonzentrationen zu erreichen, die in den winzigen Räumen früherer Studien gefunden wurden", schreiben die Autorinnen und Autoren.
Zu keinem Zeitpunkt konnte das Forschungsteam eine THC-Konzentration von mehr als 1 ng/ml im Blut der Testpersonen nachweisen. Im Gegenteil: Selbst während der direkten Exposition mit dem Rauch lag der Wert deutlich unter 1 ng/ml. Bereits drei Stunden nach dem Verlassen des Coffeeshops war gar kein THC mehr im Blut nachweisbar.
Vorsicht beim Autofahren
Auch Drogenforscher Werse hält die Gefahr eines Rausches durch Passivrauchen im Alltag für wenig gravierend, im Freien bestehe sie "quasi überhaupt nicht". Wenn es um das Führen eines Fahrzeuges geht, ist dennoch eine gewisse Vorsicht geboten. Denn alle Studien haben gezeigt, dass die Intensität des Rauchs, dem man ausgesetzt ist, entscheidend ist. Und das lässt sich in manchen Situationen nur schwer abschätzen.
2004 verlor ein Mann seinen Führerschein, weil er sich zwei Stunden in einem Chill-Out-Bereich einer Technoveranstaltung aufhielt. Er selbst hatte zwar nicht gekifft, aber den Cannabisrauch von anderen eingeatmet. Als er dann später in einer Polizeikontrolle per Bluttest kontrolliert wurde, lag die THC-Konzentration bei 5 ng/ml, also über der gerichtlich bestimmten Grenze.
Die Beschwerde des Mannes vor dem Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg schlug fehl. Dort wurde darauf verwiesen, dass passiv Kiffen durchaus im Urin oder Blut nachweisbar ist, beziehungsweise die dadurch gewonnenen Ergebnisse rechtskräftig sein können. Dem Mann wäre die erhebliche inhalative Aufnahme von Cannabis bewusst gewesen, sodass er auf eine Teilnahme am Straßenverkehr im Auto hätte verzichten müssen.
Passivrauchen schadet der Gesundheit
Aber auch aus gesundheitlichen Aspekten sollte das Passivrauchen von Cannabis nicht unterschätzt werden. Laut einer Studie von 2016 könnte der Rauch sogar schädlicher sein als das Pendant von herkömmlichen Zigaretten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten untersucht, wie sich Passivrauchen von Tabak und Marihuana auf die Blutgefäße von Ratten auswirkt.
Es zeigte sich, dass bereits nach nur einer Minute, in der die Ratten Marihuana inhaliert hatten, die Arterien das Blut bedeutend weniger effektiv transportierten. Das Ausmaß der Beeinträchtigung war dabei ähnlich groß wie im Versuch mit Tabakrauch. Allerdings brauchten die Tiere im Vergleich mindestens dreimal so lange, um sich von den Marihuana-Schwaden zu erholen: Nach dem einminütigen Passivrauchen von Tabak war die Gefäßfunktion im Schnitt nach 30 Minuten wiederhergestellt, beim Marihuana nach 90 Minuten.
Zwar sei der beobachtete Effekt temporär, heißt es in der Studie. "Doch die Probleme können durchaus langfristig werden, wenn man dem Rauch zu oft ausgesetzt ist." Dadurch steige womöglich das Risiko für verhärtete oder verstopfte Arterien - und damit die Gefahr für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Die Forschenden raten deshalb dazu, Passivrauchen grundsätzlich zu vermeiden - egal ob von Tabak, Marihuana oder anderen Quellen.
Quelle: ntv.de