Studie zu Diabetes-Risiko Milch könnte für Laktoseintolerante sogar gesund sein
22.01.2024, 17:37 Uhr Artikel anhören
Ein Glas Milch pro Tag verringert bei laktoseintoleranten Menschen laut Studie das Diabetes-Risiko um 30 Prozent.
(Foto: picture alliance / dpa Themendienst)
Wenn Menschen mit einer Laktose-Unverträglichkeit Milch trinken, rumort es ordentlich im Bauch. Das fühlt sich weder gut noch gesund an. Eine neue US-Studie legt jetzt allerdings nahe: Milchkonsum trotz Intoleranz kann durchaus positive Effekte haben. Experten klären das Paradoxon auf.
Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall: Wer nach dem Konsum von Milchprodukten unter diesen Symptomen leidet, ist höchstwahrscheinlich laktoseintolerant. Betroffene verzichten oft rigoros auf milchzuckerhaltige Lebensmittel und verbannen Joghurt, Quark und Co. aus ihrer Ernährung. Jetzt legt eine neue US-Studie allerdings nah: Der Verzehr von Kuhmilch kann sich bei laktoseintoleranten Personen positiv auf die Gesundheit auswirken, indem er das Risiko für Typ-2-Diabetes verringert.
Für ihre Studie, die im Fachmagazin "Nature Metabolism" veröffentlicht wurde, analysierten die Forschenden bei 12.653 Personen der Hispanic Community Health Study, ob sie laktosetolerant oder -intolerant sind und wie häufig sie Milch konsumierten. Außerdem untersuchten sie das Darmmikrobiom und Stoffwechselprodukte im Blut über einen Nachbeobachtungszeitraum von sechs Jahren.
Das Ergebnis: Laktoseintolerante Personen hatten bei einem höheren Milchkonsum ein um etwa 30 Prozent verringertes Risiko für Typ-2-Diabetes, wenn man sozioökonomische, demografische und Verhaltensfaktoren herausrechnet. Die Forschenden stellten bei ihnen eine verstärkte Produktion von im Blut zirkulierenden Stoffwechselprodukten fest. Zudem veränderte sich auch das Darmmikrobiom. Diesen Effekt konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der laktosetoleranten Gruppe nicht feststellen.
Das klingt paradox, ist aber laut Expertinnen und Experten wissenschaftlich erklärbar. "Es ist sehr plausibel, dass der Milchkonsum die Zusammensetzung und damit das metabolische Profil beeinflussen kann, insbesondere bei Personen, die laktoseintolerant sind", sagt die Ernährungswissenschaftlerin Lonneke Janssen Duijghuijsen von der niederländischen Wageningen University, die nicht an der Studie beteiligt war. Da die Laktose aus der Milch im Dünndarm unverdaut bleibe, diene sie als Energiequelle für das Darmmikrobiom.
Laktose füttert nützliche Darmbakterien
Laktose ist der Hauptzucker in jeder Milch tierischen und menschlichen Ursprungs. Sie kommt also auch in der Muttermilch vor. Normalerweise wird die Laktose im Dünndarm mithilfe des Enzyms Laktase zu Glukose und Galaktose gespalten. Diese zwei Zucker können dann ins Blut aufgenommen werden. Bei laktoseintoleranten Menschen ist dieses Enzym meist kaum oder gar nicht aktiv. Die Laktose wird dann nur unzureichend gespalten und gelangt "unverdaut" bis in den Dickdarm. Dort wird sie von Bakterien zu kurzkettigen Fettsäuren und Darmgasen zerlegt, die dann die unangenehmen Symptome hervorrufen können.
Laktoseintolerant zu sein, schließe jedoch "nicht notwendigerweise die Fähigkeit aus, eine gewisse Menge an Laktose konsumieren zu können", erklärt Janssen Duijghuijsen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass viele Personen, die keine Laktase haben, dennoch bis zu zwölf Gramm Milchzucker pro Tag zu sich nehmen können - was der Menge in einem großen Glas Milch entspricht - ohne unter Intoleranzsymptomen zu leiden. Die Fähigkeit, Laktose zu vertragen, ist laut der Expertin von Person zu Person unterschiedlich. Einige könnten problemlos mehr als zwölf Gramm verzehren, während bei anderen schon bei geringeren Mengen Symptome auftreten könnten.
In der neuen Studie haben die Autorinnen und Autoren bei laktoseintoleranten Menschen verschiedene Bakterien-Spezies im Darm identifiziert, die auf den Laktoseabbau spezialisiert sind. Laktosetolerante Personen hingegen zersetzen den durch die Milch aufgenommenen Milchzucker bereits im Dünndarm, wodurch dieser im Dickdarm nicht mehr ankommt und dort auch nicht mehr die nützlichen Bakterien füttert. "Diese nützlichen Darmbakterien produzieren wiederum Substrate, die sich positiv auf den Stoffwechsel auswirken könnten, und gegen Typ-2-Diabetes schützen können", sagt Robert Wagner vom Deutschen Diabetes-Zentrum. Der Professor für klinisch-diabetologische Stoffwechselforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf war ebenfalls nicht an der Studie beteiligt.
Wie genau diese Vorgänge im Darm laktoseintolerante Personen vor Typ-2-Diabetes schützen, konnten die Studienautorinnen und -autoren nicht beantworten. Wagner vermutet, dass "ein möglicher Vermittler dieser Effekte kurzkettige Fettsäuren sein könnten, die direkt oder indirekt den Appetit, die Insulinwirkung oder die Leberverfettung günstig beeinflussen."
Ähnliche Wirkung bei Ballaststoffen
Sollten also alle Menschen mit einer Laktose-Unverträglichkeit nun doch wieder ins Milch-Regal greifen? "Die Studie enthält keine ausdrücklichen Ernährungsempfehlungen", sagt Ernährungswissenschaftlerin Janssen Duijghuijsen. Und auch die Studienautorinnen und -autoren betonen, dass noch weitere Untersuchungen nötig wären.
Dennoch: "Eine Lesart der Studie ist, dass der Konsum von Milch paradoxerweise schützend sein kann, wenn man genetisch dafür prädisponiert ist und wie hier in dem Fall Laktose nicht verstoffwechseln kann", sagt Wagner. "Interessant ist, dass eigentlich Lebensmittel, die wir vermeintlich nicht vertragen, sogar einen schützenden Effekt haben können." Ähnlich sei das bei Ballaststoffen, die der menschliche Körper nicht verwerten kann, aber von denen man weiß, dass sie, möglicherweise auch über günstige Beeinflussung des Darmmikrobioms, positiv auf die Gesundheit wirken. "Blähungen, Darmgeräusche oder ähnliche Symptome, die man von Unverträglichkeiten her kennt, können unter Umständen also auch ein Zeichen für gesundheitsfördernde Prozesse sein."
Laktoseintoleranz genetisch vererblich
Etwa 5 bis 15 Prozent der Menschen in Europa vertragen keinen Milchzucker. Am seltensten ist die Laktoseintoleranz in Nordeuropa. In Afrika oder Ostasien sind dagegen 65 bis über 90 Prozent der Erwachsenen betroffen. Diese regionalen Unterschiede haben vermutlich mit einer langen Tradition der Milchwirtschaft zu tun: In vielen europäischen Ländern werden seit jeher sehr viele Milchprodukte verzehrt. Menschen, die diese gut vertrugen, hatten womöglich einen Überlebensvorteil.
Wer den Eindruck hat, Milchzucker schlecht zu vertragen, wendet sich am besten an die Hausärztin oder den Hausarzt. Meist wird dann an eine gastroenterologische Praxis überwiesen, um dort einen Test zu machen. Folgende Tests kommen laut der Plattform gesundheitsinformation.de infrage:
- Atemtest: Nach Trinken einer Milchzucker-Lösung wird der Wasserstoffgehalt in der Atemluft gemessen. Dieser ist bei einer Milchzucker-Unverträglichkeit meist erhöht.
- Laktose-Toleranz-Test: Der Blutzuckerspiegel wird vor und mehrmals nach dem Trinken einer Milchzuckerlösung gemessen. So zeigt sich, ob der Körper Milchzucker spalten und aufnehmen kann.
- Diät- oder Auslassungstest: Dabei verzichtet man für eine gewisse Zeit auf milchzuckerhaltige Produkte und nimmt danach eine bestimmte Menge Milchzucker zu sich. Anschließend wird die körperliche Reaktion beobachtet.
Für die Diagnose reichen die Messwerte allein aber nicht aus: Nur wenn während der Tests typische Beschwerden auftreten, lässt sich sicher feststellen, ob eine Laktoseintoleranz die Ursache ist.
Quelle: ntv.de