Neues Konzept verdeutlicht Lage Nur ein Erdsystem laut Studie noch nicht überlastet


Weltkarte (Peters-Projektion, welche die wahren Proportionen der Kontinente zeigt), die veranschaulichen soll, wo aktuell wie viele Grenzsysteme der Erde überschritten werden.
(Foto: FutureEarth/Earth Commission/Lade et al., 2023)
Forscher warnen, dass sieben von acht "sicheren und gerechten Grenzen" unseres Planeten bereits überschritten sind. Die Folgen könnten weitreichend sein, für jetzige und zukünftige Generationen. Das Ganze basiert auf einem neuen Konzept, welches die Erdbelastung greifbar machen soll.
Der Planet Erde ist in Gefahr, das dürfte keinem entgangen sein. Doch kann es dem Menschen egal sein, wenn durch sein Tun Arten sterben, Luft, Boden und Wasser verschmutzt werden? Und woran erkennt man, wenn es auch für uns gefährlich wird? Forscher haben ein neues Konzept der "sicheren und gerechten Grenzen" vorgestellt, die ihrer Einschätzung nach nicht überschritten werden sollten. Doch bei sieben von acht dieser Grenzen sei das bereits geschehen, warnen die Forscher in einer im Fachmagazin "Nature" erschienenen Studie.
Die Forscher wollen "den Zustand unseres Planeten nicht nur im Hinblick auf die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Erdsystems, sondern auch im Hinblick auf das menschliche Wohlergehen und die Gerechtigkeit" bewerten, wie Erstautor Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erklärte. Die Grundlage für diese Bewertung bilden wissenschaftliche Erkenntnisse der vergangenen Jahre sowie Computermodellierungen.
Im sicheren Inneren des Donuts

Das Donut-Konzept: Bewegt sich die Wirtschaft im grünen Bereich, können die Bedürfnisse der Menschen erfüllt werden, ohne die Erdsysteme zu stark zu beanspruchen.
(Foto: FutureEarth/Earth Commission/Lade et al., 2023)
Das neue Konzept bietet den Vorteil, dass es vergleichsweise anschaulich ist: Das Team präsentierte eine Grafik, welche einen "Donut" - also einen breiten Ring - im Zentrum hat. Grundlage ist die sogenannte Donut-Ökonomie, entwickelt von der britischen Ökonomin Kate Raworth.
Die Mitte des Donuts, der leere Raum, steht für Dinge, die Menschen zum Leben brauchen: Nahrung, Wasser, ein Haus zum Leben, Bildung und Gesundheit. Damit es an diesen Bedürfnissen keinen Mangel gibt, muss sich die Wirtschaft im grünen Bereich des Donuts befinden. Doch die Außengrenzen des Donuts sollten auch nicht überschritten werden. Dann nämlich werden die sogenannten Erdsysteme über Gebühr in Anspruch genommen: Klimawandel, Verlust an biologischer Vielfalt, Landnutzungsänderungen, Süßwasser-Verfügbarkeit, Phosphor- und Stickstoffkreisläufe, Versauerung der Ozeane, Ozonabbau in der Stratosphäre, Aerosolbelastung und chemische Verschmutzung.
Systeme stehen bereits unter Druck
Wie das konkret aussieht, wenn die Grenzen überschritten werden? Beispiel Artenvielfalt: 50 bis 60 Prozent der Landfläche müssten naturbelassen sein oder nachhaltig bewirtschaftet werden, damit die natürlichen Leistungen der Ökosysteme wie Bestäubung, frisches Wasser und frische Luft erhalten bleiben. Derzeit treffe dies nur auf 45 bis 50 Prozent der Landfläche zu, so die Forscher.
Weiteres Beispiel: Der Wasserstand von Flüssen und Binnengewässern sollte der Analyse zufolge nur um etwa 20 Prozent der Wassermenge schwanken, um die beteiligten Ökosysteme zu erhalten. Auf etwa einem Drittel der Landfläche ist dies laut den Forschern jedoch nicht der Fall. Ebenfalls deutlich zu hoch sind die Werte für Stickstoff und Phosphor, die über Kunstdünger in Erd- und Wassersysteme eingetragen werden. Dies führe zu Algenblüten, zum Sterben von Fischbeständen und zu Ammoniakpartikeln in der Luft.
Folgen können tödlich sein
Was sind die möglichen Folgen? Ist das ausgleichende System der Erde nachhaltig gestört, drohen laut der Studie erhebliche Schäden. Mögliche Folgen seien der Verlust von Menschenleben, Lebensgrundlagen oder Einkommen, die Vertreibung von Menschen, der Verlust von Lebensmitteln, Wasser oder Ernährungssicherheit sowie chronische Krankheiten, Verletzungen oder Mangelernährung.
Nur ein Erdsystem ist laut den Forschern noch nicht überlastet: Aerosole in der Luft. Insbesondere ein großer Unterschied bei den Aerosolmengen auf der Nord- und der Südhalbkugel könnte etwa den Monsun verändern. Diese Grenze ist nach den Berechnungen der Forscher jedoch noch nicht erreicht - allerdings sei die Unsicherheit bei dieser Frage besonders groß.
"Auch andere Werte für Grenzen denkbar"
Unabhängige Experten, wie Johannes Emmerling vom European Institute on Economics and the Environment (EIEE) in Italien, begrüßen die Studie: "Generell ist der extrem komplexe Ansatz, diese sehr unterschiedlichen Kategorien und Daten in eine einfache und vergleichbare Skala zu bringen, sehr hilfreich", so Emmerling. Die Studie erweitere frühere Ansätze. "Vor allem die Vereinheitlichung kann ein nützliches Werkzeug zur Beurteilung der verschiedenen großen Problembereiche im Bereich Grenzen des Erdsystems werden."
Helmut Haberl, Professor am Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), betonte mit Blick auf das neue Konzept die Bedeutung von absoluten Grenzen, vorwiegend in Bezug auf die Erderhitzung. Er weist jedoch auch auf die Schwierigkeiten hin, solche Grenzen in Bereichen zu setzen, in denen wichtige Phänomene und Zusammenhänge weniger gut verstanden werden, wie etwa im Bereich Biodiversität und Ökosysteme.
Henrique Pereira, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, weist darauf hin, dass die Grenzen nicht wirklich von der Wissenschaft definiert werden, sondern stattdessen von der Wissenschaft beeinflusst sind. "Das heißt, alle Grenzen beruhen auf der Einschätzung von Expertinnen und Experten, was ein zulässiges Risiko und zulässige Folgen sind, aber eine andere Gruppe von Expertinnen und Experten könnte zu anderen Zahlenwerten für die Grenzen kommen."
Quelle: ntv.de, mit dpa