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Chlor im Wasserbecken Wenn das Schwimmbad riecht, "ist was faul"

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Auch wenn es kühl ist: Die Freibadsaison hat begonnen.

(Foto: dpa)

Im Schwimmbad dient Chlor zur Desinfektion. Eigentlich ist der Stoff geruchlos - aber nicht in Verbindung mit Harnstoff. Ist die stinkende Chlor-Harn-Kombi nur eklig oder auch schädlich? Wie regeln Bäder den Umgang mit Chlor? Und worauf sollten Besucher achten?

Wer sich leicht ekelt, bitte jetzt nicht weiterlesen: Wenn es im Schwimmbad stark nach Chlor riecht, heißt das nicht, dass es dort besonders sauber ist - im Gegenteil: Die Chemikalien, die im Badewasser Keime abtöten, sind geruchlos. Erst in Verbindung mit einer anderen Substanz bekommen sie ihr typisches Odeur: Harnstoff.

Urin im Badewasser: Wo kommt das alles her? Wie viel ist drin? Und wie kriegt man es wieder raus? Ist die chemische Verbindung von Harnstoff und Chlor schädlich? Experten für Wasserhygiene, Bäderbetriebe und Mediziner geben Antworten.

Das Infektionsschutzgesetz verpflichtet die Betreiber von öffentlichen Bädern, dafür zu sorgen, dass Gäste durch die Benutzung nicht krank werden. Hier kommt Chlor ins Spiel: Es dient dazu, Krankheitserreger sicher und schnell abzutöten.

Wie viel Chlor darf ins Wasser?

Wie viel Chlor ins Wasser darf oder muss, regelt DIN 19643. Standard sind zwischen 0,3 und 0,6 Milligramm pro Liter Wasser, vorübergehend darf die Chlor-Konzentration - um einer höheren Keimbelastung Herr zu werden - auf bis zu 1,2 Milligramm erhöht werden.

Die richtige Dosis sei abhängig von einer ganzen Reihe von Faktoren, erklärt Jörg Rosbach von den Frankfurter Bäder-Betrieben. Wie ist die Wasserqualität? Wie viele Schwimmer sind im Wasser? Wie leistungsfähig ist die Aufbereitungsanlage? Scheint die Sonne? Denn Chlor baut sich unter UV-Strahlung leichter ab.

Das Problem mit Chlor ist, dass es besonders reaktiv ist: Es geht schnell Verbindungen mit anderen Stoffen ein und - schwupp! - wird aus dem geruchlosen "freien" Chlor und dem ebenfalls geruchlosen Harnstoff "gebundenes" Chlor: zum Beispiel Trichloramin, das sehr stark riecht - und zwar unangenehm.

Das, was wir vermeintlich als Chlorgeruch aus Hallenbädern kennen, ist nämlich nicht das Chlor, sondern die Verbindung, die aus der Reaktion von Chlor plus Harnstoff hervorgeht, wie Alexander Kämpfe erklärt, Fachgebietsleiter für Schwimm- und Badebeckenwasser beim Umweltbundesamt (UBA): "Wenn es stark nach Chlor riecht, heißt das, dass viel Harnstoff ins Wasser eingetragen wurde."

Harnstoff im Badewasser

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Ein Teil des Harnstoffs im Badewasser kommt vom Urin aus der Blase, ein Teil von der Körperoberfläche.

(Foto: dpa)

Wie kommt so viel Harnstoff ins Badewasser? Ein Teil ist tatsächlich Urin aus der Blase: von Pipi machenden Kleinkindern, inkontinenten Älteren oder Schwimmern, die zu faul sind, zur Toilette zu gehen. Ein paar Tropfen verliere auch jede gesunde Blase nebenbei beim Schwimmen, erklärt Rosbach. Leistungssportler pinkeln übrigens beim Training oder Wettkampf gern ins Becken, wie der Schwimmer Michael Phelps mehrfach in Interviews zugab.

Eine nicht zu vernachlässigende Menge Harnstoff kommt aber nicht aus der Blase, sondern von der Körperoberfläche. Harnstoff ist ein natürlicher Bestandteil gesunder Haut. Er sorgt dafür, dass die Haut feucht und geschmeidig bleibt. Ist das nicht der Fall, greifen Menschen mit extrem trockener Haut zu harnstoffhaltigen Cremes.

Beim Schwimmen wird der Harnstoff von der Haut abgewaschen. Im Verhältnis zum Wasserlassen ist das zwar wenig, aber die Masse der Schwimmer kommt zusammen auf hohe Werte. "Einmal ins Becken pinkeln trägt etwa sechs Gramm Harnstoff ins Becken ein", erklärt Kämpfe. "Das entspricht der Menge von fast 40 Badenden, die den Harnstoff nur über die Haut eintragen."

Pro Badegast 0,16 Gramm Harnstoff im Wasser

Das Umweltbundesamt hat es genau ausgerechnet: Pro Badegast gelangen durchschnittlich 0,16 Gramm Harnstoff ins Wasser. Je mehr Harnstoff, desto mehr Trichloramin, desto mehr Schwimmbadgeruch. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten in einem Kubikmeter Hallenbadluft nicht mehr als 0,5 Milligramm Trichloramin enthalten sein.

Wie reduziert man die Belastung? Die wichtigste Regel - außer zur Toilette zu gehen - lautet: vor dem Schwimmen duschen. Die meisten Menschen duschen nach dem Schwimmen - vermeintlich um das Chlor von der Haut zu waschen. Dabei ist es vorher viel wichtiger. "Gründliches Duschen entfernt 75 bis 97 Prozent des Harnstoffs", informiert das Umweltbundesamt in einem Infoblatt für Schwimmbäder.

Auch bei den Frankfurter Bäder-Betrieben weiß man, dass Duschen vor dem Baden wichtiger ist als Duschen nach dem Baden, aber zwingen will man niemanden. "Das sind ja BadeGÄSTE", betont Jörg Rosbach, bei 14 Frankfurter Bädern zuständig für Technik und Bau. "Wir wollen Gäste nicht ständig maßregeln."

"Je mehr Leute, desto größer die Biofracht"

So lange sich nicht alle Badegäste vor dem Betreten der Schwimmhalle gründlich einseifen und immer wieder jemand ins Becken pinkelt, müssen die Badbetreiber das wieder rausholen, was die Badenden eintragen. "Je mehr Leute da sind, desto größer ist die Biofracht", erklärt Rosbach. Seine Kollegen müssen viele Parameter im Blick haben. Pro Badegast müssen zum Beispiel mindestens 30 Liter Frischwasser zugeführt werden.

Auch Chlor wird ständig neu zugegeben, weil es durch das Reagieren mit anderen Stoffen aufgezehrt wird. Dreimal täglich müssen die Bäder-Betriebe die Konzentration von freiem und gebundenem Chlor messen und in ein Betriebsbuch eintragen. Ist der Wert zu hoch, muss man gegensteuern, wie Rosbach erklärt. Kurzfristig hilft zum Beispiel mehr Frischwasser oder Aktivkohle im Badewasserfilter. Langfristig hilft nur die Investition in eine bessere Reinigungstechnik.

Becken-Pinkler in flagranti ertappt

2014 haben US-Wissenschaftler eine Methode entwickelt, Becken-Pinkler in flagranti zu ertappen. Gibt man Zink-Ionen ins Wasser, verbinden sie sich mit einem Nebenprodukt von Urin und Fäkalien. Es entsteht ein Stoff, der unter Schwarzlicht leuchtet.

Die Methode sei damals "kontrovers diskutiert" worden, sagt Alexander Kämpfe vom Umweltbundesamt. Man wende sie aus ethischen Gründen nicht an - unter anderem, um inkontinente Menschen, die im Wasser ihren Urin nicht mehr halten können, nicht zu diskriminieren.

Auch ohne verräterisch leuchtende Spuren im Wasser ist der Uringehalt nachweisbar. Forscher aus Kanada haben in einer 2017 publizierten Studie ausgerechnet, dass in einem 400.000-Liter-Becken 26,5 Liter Urin schwimmen. Das wäre ein halber Eimer in einem zwei Meter tiefen Pool von 10 mal 20 Metern.

Nachgewiesen wurde das übrigens mit Hilfe eines Süßstoffs, der in vielen Lebensmitteln steckt und nahezu vollständig wieder ausgeschieden wird. Das Team um Xing-Fang Li von der University of Alberta nahm damals Wasserproben in mehr als 30 kanadischen Bädern, maß den Süßstoffgehalt und errechnete daraus die Urinmenge im Wasser.

Nur eklig oder auch schädlich?

Ist die stinkende Chlor-Harn-Kombination nur eklig - oder auch schädlich? "Das kommt auf die Konzentration an und darauf, wie empfindlich man ist", sagt Hermann Josef Kahl, Sprecher des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte. Trichloramin könne Atembeschwerden hervorrufen - das kann für Asthmatiker gefährlich sein. Es reize die Augen sowie die Schleimhäute in Nase und Rachen.

"Chlor ist in Ordnung", findet der Kinderarzt aus Düsseldorf, "ohne Chlor wären die Gefahren größer." Gegen rote Augen helfe eine Schwimmbrille und Schleimhaut-Reizungen gingen in der Regel wieder weg. Nur extreme Allergiker müssten sich Gedanken machen. Dem Babyschwimmen steht Kahl dagegen skeptisch gegenüber. Eltern von Säuglingen müssten abwägen: "Nehme ich Trichloramin in Kauf oder übe ich lieber Schwimmen in der Badewanne?"

Auf keinen Fall, betont der Kinderarzt, dürfe die wachsende Zahl von Berichten über Trichloramin dazu führen, dass Schwimmbäder diskreditiert werden. Angesichts der steigenden Zahl Ertrinkender sei es ganz wichtig, dass Kinder schwimmen lernen. Auch Wasserqualitäts-Experte Kämpfe würde in jedem öffentlichen deutschen Frei- und Hallenbad ins Wasser steigen. "Die Hygiene-Standards in Deutschland sind sehr hoch."

Auch Bäder-Techniker Rosbach würde "bedenkenlos überall baden": Wasseraufbereitungsanlagen seien heute sehr leistungsfähig. Ob ein Bad seinen Wasserreinigungspflichten nachkomme, könne der Badegast selbst erkennen: "Wenn Sie das Schwimmbad schon im Eingang riechen, dann ist was faul."

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Quelle: ntv.de, Sandra Trauner, dpa

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