Organoide aus Zellen von Föten Wie Mini-Organe aus Fruchtwasser gezüchtet werden
05.03.2024, 18:49 Uhr Artikel anhören
Im Fruchtwasser befinden sich etliche Zellen, die vom Fötus stammen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Mini-Versionen von Lunge, Darm, Herz und Co: Organoide sind künstlich erzeugte 3D-Zellkulturen, die ausgewachsenen Organen sehr ähnlich sind. Sie versprechen medizinischen Fortschritt, sind allerdings aufwendig in ihrer Herstellung. Jetzt ist es Forschenden gelungen, Organoide aus Zellen im Fruchtwasser zu züchten.
Es klingt wie Science-Fiction: Labore weltweit züchten schon seit Längerem Organe in Miniaturausgabe, um daran die Funktionsweise, aber auch Organdefekte zu erforschen. Die sogenannten Organoide sind nur wenige Millimeter groß, aber den ausgewachsenen Organen sehr ähnlich und weisen vergleichbare Merkmale auf. Sie entstehen bislang aus umprogrammierten Körperzellen. Jetzt ist es Forschenden jedoch gelungen, erstmals Organoide aus Zellen im Fruchtwasser zu züchten.
Dass sich im Fruchtwasser etliche Zellen befinden, die vom Fötus stammen, ist bekannt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University College London haben diese nun genauer untersucht, wie sie im Fachmagazin "Nature Medicine" berichten. In einem ersten Schritt trennten sie die lebenden von den abgestorbenen Zellen, welche sie dann mithilfe von Einzelzellanalysen sequenzierten und charakterisierten. So fanden sie gewebespezifische Stammzellen der obersten Zellschicht des Magen-Darm-Trakts, der Nieren und der Lunge des Fötus. In einem weiteren Schritt ließen sie diese Vorläuferzellen in 3D-Kulturen zu Organoiden heranwachsen, die funktionelle Merkmale ihres Ursprungsgewebes aufwiesen.
Diese Zellkulturen wiesen vergleichbare Merkmale zu den Organen des heranwachsenden Kindes auf, heißt es in der Studie. So konnten die Forschenden Lungenorganoide von Föten mit angeborenem Zwerchfellbruch erzeugen. An diesen wollen sie nun erforschen, wie und warum sich die Entwicklung der erkrankten Lungen von Gesunden unterscheidet. Davon erhoffen sie sich neue Therapiemöglichkeiten.
Therapiemöglichkeiten für den Fötus
"Die Gewinnung von Organoiden aus Fruchtwasser mittels Fruchtwasseruntersuchung bietet spannende Möglichkeiten für die pränatale Diagnose und die Entwicklung rechtzeitiger medizinischer Behandlungen", sagt Agnieszka Rybak-Wolf. Die Leiterin der Technologie-Plattform Organoide am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin war nicht an der Studie beteiligt.
Der entscheidende Vorteil zu anderen Techniken der Organoid-Herstellung ist laut der Expertin die Geschwindigkeit. "Aus Fruchtwasser gewonnene Organoide können wesentlich schneller hergestellt werden als solche, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs) gewonnen werden", so Rybak-Wolf. "Diese schnelle Gewinnung bietet einen vielversprechenden Weg für frühe therapeutische Eingriffe beim sich entwickelnden Fötus."
Thomas Kohl, Chefarzt am Deutschen Zentrum für Fetalchirurgie & minimal-invasive Therapie in Mannheim, hat dagegen wenig Hoffnung, dass diese Methode gezielte, individualisierte Therapien bei Neugeborenen in naher Zukunft ermöglicht. Organoide aus Fruchtwasserzellen könnten zwar durchaus in der Grundlagenforschung "neue Erkenntnisse zur menschlichen Entwicklung und zur Entstehung von Organfehlbildungen" bringen, sagt der Experte. Ein "alleiniger vorgeburtlicher Einsatz" der Züchtung von Organoiden aus fetalen Zellen lasse aber "eine direkte therapeutische Konsequenz für eine vorgeburtliche Therapie noch nicht erwarten."
Grundsätzlich sei irgendwann ein Einsatz in der personalisierten Medizin mit "maßgeschneiderten Therapieansätzen" denkbar, ist Mandy Laube, Laborleiterin Neonatologie am Pädiatrischen Forschungszentrum des Uniklinikums Leipzig, sicher. Doch auch sie sieht den Nutzen der Organoide zunächst "in der Therapieentwicklung und Wirkstofftestung sowie in der Untersuchung von Krankheitsentstehung".
Eine Mini-Version des Menschen?
Vor 15 Jahren ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstmals gelungen, Organoide in Petrischalen zu züchten - der Startschuss für personalisierte Medizin. "Die Hoffnung ist, dass es in Zukunft von jedem Menschen eine Mini-Version gibt", erklärte Biologin Sina Bartfeld von der Technischen Universität Berlin vor Kurzem der "Zeit". Zellhaufen von jedem Organ eines Menschen würden dann in Biobanken aufbewahrt und bei Bedarf herausgeholt, zum Beispiel, wenn dieser an Krebs erkrankt.
Der Vorteil: Mithilfe von Organoiden ließen sich personalisierte Medikamente entwickelt. So könnte jeder Mensch das Arzneimittel bekommen, das perfekt auf ihn, seine Organe und seine Zellen abgestimmt ist. Außerdem könnten medizinische Behandlungen vorab an Organoiden anstatt direkt am Menschen getestet werden.
Allerdings gibt es auch ethische Bedenken. So wird etwa befürchtet, dass Spender der Ursprungszellen eine emotionale Bindung zu diesen lebenden Gebilden aufbauen könnten. Bei Gehirn-Organoiden wird diskutiert, ob sie Eigenschaften eines tatsächlichen Gehirns, zum Beispiel ein Bewusstsein, entwickeln könnten. Für Kontroversen sorgt auch die Forschung mit Organoiden, die Chimären aus menschlichen und tierischen Zellen sind.
Quelle: ntv.de